# taz.de -- WWE-Doku „Mr. McMahon“ auf Netflix: Der gefallene Patriarch | |
> Vince McMahon machte Wrestling groß. Nun wird ihm schwerer Missbrauch | |
> vorgeworfen – und er damit zum Problem der Netflix-Dokuserie „Mr. | |
> McMahon“. | |
Bild: Vince McMahon und Superstar Hulk Hogan | |
Sein berühmtester Satz ist: [1][„You’re fired!“] Vince McMahon war nicht | |
nur 40 Jahre lang der Chef des Wrestlingverbands WWE, machte diesen zum | |
Marktführer und Wrestling zu einem Massenphänomen. Er stellte auch vor den | |
Kameras einen Chef dar, und zwar einen tyrannischen. Leute feuern, | |
weibliche Angestellte erniedrigen, seinen eigenen Sohn verprügeln – derlei | |
sind die Lieblingsbeschäftigungen der Figur Mr. McMahon. | |
Diese Figur habe mit seiner Privatperson nichts zu tun, sagt er selbst in | |
der [2][Dokuserie „Mr. McMahon“, die nun bei Netflix erschienen ist.] Die | |
Figur sei eine Übertreibung seiner Privatperson, sagen viele der anderen | |
Interviewten. Und einige sagen auch: Da ist gar kein Unterschied. Genauso | |
aggressiv wie bei seinem berühmten „You’re fired!“ habe McMahon auch hin… | |
den Kulissen oft geschrien. | |
McMahon sagt auch, er könne sich nicht vorstellen, jemals in Rente zu | |
gehen. Die Interviews mit ihm wurden 2021 aufgezeichnet. 2022 wurden | |
Schweigegeldzahlungen bekannt, durch die der WWE-Chef Affären mit vier | |
ehemaligen Angestellten verhüllt haben soll. Anfang dieses Jahres hat nun | |
eine der vier Frauen, Janel Grant, McMahon wegen sexuellen Missbrauchs und | |
Sexhandels verklagt. Er soll sie psychisch erniedrigt und kontrolliert und | |
auch zu Sex mit anderen im Unternehmen angewiesen haben. Die Details der | |
Klageschrift sind schockierend, die US-Staatsjustiz ermittelt und McMahon | |
ist in Rente. | |
Der Serientitel verweist auf die Figur, die in den Shows als „Mister“ | |
angesprochen wurde. Wie der Porträtierte und auch das Wrestling an sich | |
gerne die Grenze zwischen Fakt und Fiktion verwischt, sollte wohl | |
ursprünglich ein Leitmotiv sein. Sowie eine Familiengeschichte: McMahon | |
soll von seinem Vater, dem er das Unternehmen einst abkaufte, wenig | |
Anerkennung erfahren haben. In der letzten von sechs Folgen verdient sich | |
dann sein eigener Sohn Shane eine seltene Umarmung – weil er in einem Match | |
gegen den Undertaker von einem Käfigdach gesprungen und durch den | |
Kommentatorentisch geschmettert ist. Auch diese Art [3][pervertierter | |
Rührseligkeit] ist typisch fürs Wrestling. Das wäre also sehr passend und | |
gut gewesen für eine Wrestling-Dokuserie. Nur überschatten die | |
Anschuldigungen gegen McMahon nun alles andere. | |
## Was ernst zu nehmen ist | |
Die Serienmacher haben deshalb nachgedreht: In den letzten dreißig Minuten | |
werden die Anschuldigungen behandelt, oder eher: abgehandelt. Statt des | |
titelgebenden Protagonisten und illustrer Wrestlingpersönlichkeiten | |
sprechen nun Journalist*innen des Wall Street Journal, die berichtet | |
haben. Janel Grant lehnte eine Anfrage der Serienmacher ab. | |
Verständlich: Sie wäre eine Nebenfigur in einer Serie, die trotz allem die | |
Geschichte eines mutmaßlichen Täters erzählt. Es dauert nicht bis zur | |
letzten Folge, bis das klar wird: Schon 1992 warf Rita Chatterton, damals | |
die erste weibliche Schiedsrichterin, McMahon eine Vergewaltigung vor. Im | |
selben Jahr gaben minderjährige Mitglieder der Ringcrew an, von | |
WWE-Angestellten belästigt worden zu sein. Vince McMahon sei wahrscheinlich | |
der Beihilfe schuldig, mindestens aber der Nachlässigkeit, sagt in der | |
Serie der Sportjournalist Phil Mushnick. Er war damals einer der Ersten, | |
die Wrestling ernst genug nahmen, um darüber kritisch zu berichten. Die | |
vielen Skandale zeigen: [4][Das war richtig.] | |
„Mr. McMahon“ ist das erste Projekt dieser Art überhaupt, für das der | |
Unternehmer sich bereitwillig beleuchten ließ, ohne Kontrolle über das | |
Ergebnis zu haben. Mit vielen Aussagen präsentiert er sich selbst als | |
skrupellosen Geschäftsmann, der schon so viele Skandale überstanden hat, | |
dass er sich zu diesem Zeitpunkt unantastbar wähnt. Das erinnert an andere | |
reiche Männer der Unterhaltungsindustrie, deren Delikte lange im Dunkeln | |
blieben. | |
Das Timing der Produktion ist Stärke und Schwäche zugleich: Ein Porträt, | |
das McMahon derart nah kommt, wird es wohl nicht noch einmal geben. Dass | |
die Serie nun mitunter wirkt wie ein True-Crime-Format, das den Täter | |
verstehen will, während die Leichen noch nicht einmal begraben sind, hat | |
aber einen bitteren Beigeschmack. | |
6 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=FfpV5JVv9AY | |
[2] https://www.netflix.com/de/title/81048394 | |
[3] /Maennlichkeit-im-Wrestling/!5483020 | |
[4] /US-Proteste-gegen-Rassismus/!5688120 | |
## AUTOREN | |
Mathis Raabe | |
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