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# taz.de -- Feministisches Historiendrama „Rosalie“: Zwischen Selbst und Si…
> Stéphanie Di Giusto bringt eine Figur auf die Leinwand, die alle
> Konventionen sprengt. Ihr Film „Rosalie“ ist Plädoyer für den Mut, zu
> sich zu stehen.
Bild: Keine Berührungsangst: Clothilde (Juliette Armanet) und Rosalie (Nadia T…
Weil Rosalie (Nadia Tereszkiewicz) bedingungslos geliebt werden will,
wünscht sie sich ein Kind. Den Wunsch spricht sie früh im Film aus, mit
einem gewissen Nachdruck. Dennoch kann man ihn zunächst leicht überhören,
weil er wohl das Gewöhnlichste an der jungen Frau ist – und wahrscheinlich
das Einzige, das sie mit ihrer Zeit und den gängigen Erwartungen an die
Frau am Ende des 19. Jahrhunderts gemein macht.
Denn eigentlich fordert Rosalie die gesellschaftlichen Gepflogenheiten
ihrer Epoche radikal heraus – und würde ohne Zweifel auch in der Gegenwart
noch für aufgeregten Widerspruch sorgen. Allerdings nicht etwa durch
besondere Ansichten oder einen extravaganten Lebenswandel, sondern durch
ihre biologische Beschaffenheit, ihre schiere Existenz: Von Geburt an liegt
bei Rosalie eine Hormonstörung vor, die einen übermäßigen Haarwuchs
bedingt, sowohl am Körper als auch im Gesicht.
Im Wissen um die Provokation, die diese Abweichung von der Normalität mit
sich bringt, rasiert sie sich jeden Tag und legt regelmäßig Puder nach, um
das Aufkommen eines Bartes zu verhindern.
## Große Aufregung
Am Morgen, an dem das französische Historiendrama seine Erzählung beginnt,
gibt sich Rosalie besondere Mühe, denn ihr verwitweter Vater (Gustave
Kervern) will sie verheiraten. Da beide den Mann noch nicht kennen, der in
einem kleinen Dorf im Norden des Landes ein Café betreibt, ist die
Aufregung besonders groß.
Abel (Benoît Magimel) jedoch, der eigentlich nur wegen der Mitgift heiraten
wollte, kann sein Glück beim Anblick seiner künftigen Angetrauten kaum
fassen: Die junge Frau, die da vor ihm sitzt, ist überaus attraktiv und ihr
verlegenes Auftreten, das er wohl schlicht für geziemende weibliche
Zurückhaltung hält, geradezu liebreizend. Weil er der Sache nicht recht
traut, fragt er Rosalie noch, was sie zu verbergen hat, und zeigt sich
erleichtert, als sie besagten Kinderwunsch äußert.
Erneut deutet er die Zeichen falsch, stutzt nicht darüber, dass sie sich so
sehr nach „bedingungsloser Liebe“ sehnt – und wundert sich auch nicht,
weshalb sie nur auf diesem Wege tiefe Zuneigung finden zu können meint.
Wahrscheinlich verwechselt er den Wunsch schlicht mit weiblicher Sehnsucht
nach einem Dasein als Mutter.
## Behaarte Frauenbrust
Seine Empörung, als er in der Hochzeitsnacht dann auf eine behaarte
Frauenbrust stiert, ist deswegen umso größer. Es wäre ein Leichtes, Rosalie
daraufhin allein zur tragischen Heldin zu machen. Angesichts der Tatsache,
dass ihre gefahrenträchtige Andersartigkeit etwas ist, dem sie letztlich
nicht entrinnen kann, wäre es der naheliegendste Verlauf, den [1][der
zweite Spielfilm von Stéphanie Di Giusto], die sowohl für die Regie als
auch das Drehbuch zum Film verantwortlich zeichnet, hätte nehmen können.
Solch einem Fatalismus aber entzieht sich die unaufgeregte Inszenierung
ebenso wie das durchdachte Skript, das stattdessen ein berührendes
Beziehungsdrama und eine ermutigende, niemals naive Charakterstudie in sich
vereinigt. Denn Rosalie, die lose vom Schicksal der Clémentine Delait
inspiriert ist, weiß sich gegen die Widerstände zu behaupten.
Sie wagt es, mit einem der wenigen Cafébesucher ihres Gatten eine Wette
einzugehen: Wenn es ihr gelingt, sich binnen eines Monats einen prächtigen
Vollbart wachsen zu lassen, schuldet er ihr eine beachtliche Summe. Sie
gewinnt, wird zur Sensation und das kleine Lokal wirft plötzlich so viel
Geld ab, dass Abel all seine Schulden [2][bei dem einflussreichen Mäzen des
Ortes (Benjamin Biolay)] begleichen kann.
## Kein Verstecken mehr nötig
Anfangs zumindest scheint ihr Ehemann der Einzige zu sein, der nicht von
der Schönheit des Abweichenden in den Bann gezogen wird. Fast zu groß wirkt
die Begeisterung, die ihr von der ländlichen Bevölkerung entgegenschlägt,
beinah berauschend wiederum das Gefühl der Befreiung, das Rosalie erfährt,
da sie sich plötzlich nicht mehr zu verstecken braucht.
Die Probleme und auch der eigentliche Plot des Filmes beginnen damit aber
erst. Mit psychologischer Präzision und einem durchweg herausragend
aufspielenden Cast arbeitet Stéphanie Di Giusto heraus, wann die allgemeine
Entzückung erneut in Feindseligkeit umschlägt – und tätigt dabei
scharfsinnige Beobachtungen über das Begehren, das sich nun mal nicht gerne
an eine enggefasste Sittenlehre hält.
Aus Scham oder Verunsicherung über diese Dissonanz zwischen Anziehung und
dem, was angeblich der Anstand verlangt, werden ausgerechnet jene, denen
Rosalies einnehmende Lebensfreude und umwerfende Anmut am stärksten
imponieren, zu ihren unerbittlichsten Widersachern.
Dass Rosalie sich weiterhin zur Wehr setzt, hat mit der Aussicht darauf,
dass sie die Akzeptanz ihrer Person noch erleben wird, und sei es durch die
Liebe eines Kindes zu seiner Mutter, zu tun. Ohne in Pathos oder
Plattitüden abzugleiten, erzählt Di Giusto so auch vom immensen Wert der
Hoffnung, der an Bedeutung für das eigene Überdauern nur noch von der Treue
zu sich selbst übertroffen wird. Vielleicht, so suggeriert es „Rosalie“ am
Ende, ist das der einzige Zusammenhang, in dem es tatsächlich auf so etwas
wie „Bedingungslosigkeit“ ankommt.
19 Sep 2024
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## AUTOREN
Arabella Wintermayr
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