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# taz.de -- Neues Album der Antilopen Gang: Abgrenzung als Prinzip
> „Alles muss repariert werden“ ist das neue Album der Antilopen Gang. Sie
> untermauern ihren Sonderstatus als widersprüchliche Liedermacher im
> HipHop.
Bild: Das Politische nur zur Selbstinszenierung genutzt? Die Antilopen Gang
Die Vorabsingle zum neuen Album „Alles muss repariert werden“ kam im April
genau zur richtigen Zeit. [1][„Oktober in Europa“ war das einzige
deutschsprachige Stück, das das Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober
2023] und die darauf einsetzende internationale antisemitische Welle wegen
des israelischen Gegenangriffs thematisierte. Gerappt mit spürbarem
Betroffenheitsgestus, der in der Albumversion durch Streicher und
Klagegesang von Sophie Hunger noch verstärkt wird.
Mit dem ungebrochenen Politsongtext sticht „Oktober in Europa“ aus den
übrigen Stücken des neuen Albums heraus. Und er ist zugleich exemplarisch,
in dem Sinne, dass „Alles muss repariert werden“ wie ein Versuch klingt,
alles möglichst negativ und abgeklärt-verzweifelt zu gestalten. Auch wenn
die Frage, ob die in der Albumversion von „Oktober in Europa“ hinzugefügten
Schluchzgeigen und der Klagegesang Sophie Hungers geeignete musikalische
Mittel sind, sich zumindest leise aufdrängt.
Ein anderes Register, das die Band inzwischen routiniert bedient, ist die
betont sich selbst widersprechende Positionierung. Antilopen Gang ist eine
der Bands, deren Songs in den vergangenen zehn Jahren vom Pop-Feuilleton am
liebsten diskutiert worden ist. Was auch deswegen so gut funktioniert, weil
Statements zu aktuellen Ereignissen und Textzeilen von der Band selbst
wieder relativiert oder ironisiert wurden.
Und das gleich 2014, am Anfang der Karriere, mit dem Durchbruchshit „Beate
Zschäpe hört U2“. Auf den folgten 2021 im Stück „Nazis rein“ von
Antilopenrapper Koljah die Zeilen „Man klopft sich die Schulter wund und
füttert das Phrasenschwein / Man hält nur daran fest, wofür man angetreten
ist / Doch vielleicht hört Beate Zschäpe heute Antilopen Gang“.
Damit das funktionieren kann, braucht es einen Bedeutungszusammenhang und
für die eigene Bedeutsamkeit hat die Antilopen Gang sich die Linke als
Kontext, Hassliebe und Gegner zugleich imaginiert, liberal oder radikal. Es
ist die Übertragung eines HipHop-Prinzips auf den politischen Diskurs: Man
macht klar, dass man, in der Umgebung, über die man rappt, schlicht der
Geilste ist.
## Maximierte schlechte Laune
Martin Seeliger, Sänger der Punkband Shitlers, promovierter Soziologe sowie
Co-Autor der Autobiografie von Antilopen-Mitglied Panik Panzer, nannte
diese Konstellation in einem 2020 auf dem „Abbruch Abbruch“-Symposium
gehaltenen Vortrag eine „Bedarfsgemeinschaft“, die die Band mit der Linken
eingegangen sei. Eine mögliche Lösung des Problems, vor dem jede:r*
Rapper*:in steht, so Seeliger, nämlich irgendwas zu finden, über das er
rappen kann.
Das zentrale Stück von „Alles muss repariert werden“ ist in dieser Hinsicht
„Traumtänzer und Schönmaler“. Es geht gegen die angeblich blauäugige „…
sind mehr“-Rhetorik: „Ich seh nur Negation als die legitime Haltung an /
Alles andere ist Karneval und Ballermann / Ich zieh mich zurück auf die
Position des Kritikers / Ich weiß, dass alles falsch ist / Aber nicht, wie
man es richtig macht“.
Als Popsong funktioniert das sehr gut: Maximierte schlechte Laune, die sich
als Verzweiflung präsentiert, hat traditionell große ästhetische
Strahlkraft, gerade wenn alles widersprüchlich schillert und, wie hier,
dann auch noch ungreifbar bleibt, sich alles selbst immer wieder infrage
stellt. Heißt auch: Es nicht sonderlich ergiebig, bei einer Band, die
ständig mit der eigenen Widersprüchlichkeit kokettiert und den
Abgrenzungskrampf zum Prinzip perfektioniert hat, darüber zu streiten, ob
das jetzt „richtig“ sei oder „falsch“.
## Die Frage ist, ob es ballert
Die erste Frage im Pop ist schließlich nicht, ob ein Stück falsch oder
richtig ist, die Frage ist, ob es ballert oder einen berührt oder halt
kaltlässt. Und warum. Was dann wiederum die Frage nach dem Versprechen ist,
das eine Band ihren Hörerinnen und Hörern macht.
Und diese Frage entscheidet sich bei der Antilopen Gang, die zwischen
großartigen Tracks und latent wohlfeiler Grütze mit immer wieder
überraschenden Ergebnissen hin und her schaltet, vor allem an den
Songtexten, die im ausdauernden Endreim vorgetragen werden. Nicht so sehr
an der Musik. Über die wird denn auch eher selten gesprochen. Und viel ist
da auch nicht zu holen.
Auf dem HipHop-Teil von „Alles muss repariert werden“ ist ein leichter
Liedermacher-Einschlag zu hören, im Auftaktstück „Nichts ist für immer“,
das melancholisch das traurige Glück der Nichtfestlegung besingt, und im
wirklich sehr schönen „Für wenige“. Soundästhetisch hätte dieses Werk
jedenfalls auch in den Nullerjahren veröffentlicht werden können.
## Launige Alltagsbeschreibungen
In der zweiten Hälfte von „Alles muss repariert werden“ spielt die
Antilopen Gang zwölf Punkstücke, musikalisch an Bands wie Pisse und Team
Scheiße orientiert. Dann wird die Laune besser, die Stimmung hellt sich
auf. Und die Songtexte ähneln launigen Alltagsbeschreibungen und kurzen
Figurenporträts, zum Beispiel von meinungsstarken Männern, Romantikern und
Fitnessstudiobesuchern. Das kommt nach der ersten Albumhälfte wirklich
erleichternd und wirkt so, als würde eine Band, die von den eigenen
Routinen zunehmend genervt ist, versuchen sich freizuspielen.
Egal in welchem Format, wenn es ballert, erscheint einem, was die Antilopen
Gang ablässt, als schlau, witzig, dreimal klug gebrochen und trotzdem auf
den Punkt. Dann kann man zu einer These wie der von [2][Samuel Salzborn
kommen, der die Ästhetik der Antilopen Gang einst als „Kritische Theorie
2.0“] bezeichnet hat: „Widersprüche ertragen, weil sie objektiv sind, weil
Eindeutigkeit gerade in der bürgerlichen Gesellschaft nicht hergestellt
werden kann, das Individuum zerrissen ist in den Potenzialen von Freiheit
und Emanzipation, die in Momenten möglich sind, aber eben nur jenen, die
sich ebendieser Vergesellschaftung entziehen.“
Wenn die Stücke einem mit Macht auf den Keks gehen, erscheint einem
wiederum ein Befund von Martin Seeliger plausibel. Der lautet, dass
zumindest das „Politikwerk“ der Antilopen Gang sich für Politik eigentlich
nicht sonderlich interessiert, sondern das Politische zur
Selbstinszenierung und -verortung nutzt. Das gilt für das neue Album zwar
weniger als für die Vorgänger, aber ganz ohne Politik geht es halt nicht.
„Ihr seid dumm dumm dumm“, heißt es in „Traumtänzer und Schönmaler“,…
wenn man auf so was Bock hat, ist das geil, man soll es nicht verleugnen.
## Unironisch von der eigenen Erfahrung ausgehen
Es scheint bei ihnen eine Form von Bescheidwissen und Überlegensein im
Wissen durch, dass die eigene Position auch nicht konsistent sein kann.
Durch dieses Wissen noch cleverer zu erscheinen, ist bei den Antilopen
eines der zentralen Versprechen. Die Suggestion ist, dass Bedeutsames
kommuniziert wird, sonst funktioniert es nicht. Dafür muss das Distinktive
als Hauptmotiv aber ausgeblendet werden, zumindest wenn man nicht wirken
will wie irgendein arroganter Arsch, sondern eben wie der Topchecker, der
man gerne wäre.
Musikalisch und textlich am besten waren schon immer jene Tracks der
Antilopen Gang, die unironisch von der eigenen Erfahrung ausgehen und diese
so erzählen, dass etwas Allgemeines sich vermittelt. Dann stimmt auch meist
der Flow, und die Reime sind weniger staksig. „Outlaws“,
„Patientenkollektiv“ und „Trenn dich“ zum Beispiel, um mal drei Stücke…
älteren Alben zu nennen.
Auf „Alles muss repariert werden“ sind es vor allem „Für wenige“, das
Drogenlied „Alter Wegbegleiter“ und „Rannte der Sonne hinterher“, eine
Liebeserklärung an den [3][2023 verstorbenen Egotronic-Sänger Torsun
Burkhardt] mit schön antiken Neunzigerjahre-Breakbeats. In diesen Momenten
entsteht etwas, das über „Ihr seid dumm dumm dumm“ weit hinausgeht.
15 Sep 2024
## LINKS
[1] /Antisemitismus-im-Deutschrap/!6003969
[2] /Album-Aber-der-Abgrund-von-Koljah/!5592624
[3] /Trauer-um-Torsun-Burkhardt-von-Egotronic/!5981937
## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
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