# taz.de -- „Oktober in Europa“ von Antilopen Gang: Mit dem Schürhaken hin… | |
> Der Song „Oktober in Europa“ der Antilopen Gang wird kontrovers | |
> diskutiert. Dabei ist es eine berührende Momentaufnahme in Sachen | |
> Antisemitismus. | |
Bild: Traurige Intervention in einer toxischen gesellschaftlichen Situation: di… | |
„Oktober in Europa“ von [1][der Antilopen Gang] ist ein zutiefst trauriger | |
Song über das erneute Aufkommen des Antisemitismus und einen verfehlenden | |
Umgang damit. In seinen musikalischen Mitteln ist das Lied eher schlicht – | |
ein schleppender Rhythmus, dunkle, getragene Streicher –, doch entscheidend | |
sind die glaubhaft vorgetragenen Ich-Botschaften, die der Text sendet. | |
„Du gehst mit Kippa noch nicht mal auf die Champs-Élysées“ und „Seit de… | |
10. will ich das Gespräch nicht mehr suchen / Überraschung: [2][Auch Greta | |
hasst Juden“] heißt es in der ersten Strophe. Die zweite Strophe schildert | |
eine ganz konkrete und tatsächlich realistische Szene: „Es ist kalt | |
geworden, sie macht die Heizung an / Und bringt die Klein’n dann ins Bett, | |
sagt ihn’n: ‚Keine Angst‘ / Dann nimmt sie die Mesusa aus dem Türrahm’… | |
Dafür steht hinter der Tür jetzt ein Schürhaken“. | |
Öffentlich getragene jüdische Symbole bringen einen in Gefahr, man wappnet | |
sich mit einem Schürhaken für mögliche Überfälle. Das sind in diesem Song | |
keine aggressiv vorgetragenen Slogans, es ist eine verstörende und in | |
vielem auch ratlos machende Momentaufnahme. | |
„Mein Taxifahrer redet wie ein Nazi / Führe lieber keine Diskussionen auf | |
der Party“, heißt es in der zweiten Strophe weiter. Ein toxisches | |
gesellschaftliches Klima wird nachvollziehbar beschrieben. Vor diesem | |
Hintergrund wendet sich die dritte Strophe direkt an die deutsche Indie-, | |
Rap- und Antifa-Szene, also konkret auch an die Fans der Band. | |
Über ein Konzert vor der Roten Flora heißt es: „Siebentausend Antifas | |
machen ein’n auf Wir-Gefühl“, und im übernächsten Vers kommt die bittere | |
Wendung: „Und ein’n Monat später waren alle seltsam ruhig.“ Auch hier ist | |
ganz klar, worauf sich der Text bezieht: die in vielem indolente und | |
relativierende, teilweise auch offen das Geschehen negierende Reaktion in | |
linken Kreisen auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel. | |
## „Nachfahr'n der Juden-Vergaser“ | |
Erst fast ganz am Schluss des Songs fallen die beiden Verse, die die | |
Kollegin Lea Fauth [3][in dieser Zeitung] vehement angegriffen hat. | |
„Zivilisten in Gaza sind Schutzschild der Hamas“, lautet der eine Vers, | |
woran es, bei aller Bitterkeit, wenig zu deuteln gibt. Der entscheidende | |
Vers aber lautet dann: „Schutzschild der Nachfahr’n der Juden-Vergaser“. | |
Aus diesem Vers leitet Lea Fauth eine Holocaust-Relativierung und eine | |
Projektion deutscher Schuld auf andere ab. Das ist aber ein großes | |
Missverständnis. Dass mit den „Nachfahr’n der Juden-Vergaser“ wir heute | |
lebenden Deutschen gemeint sind, wird aus dem Zusammenhang des Textes klar. | |
Das ganze Lied wird aus einer Perspektive vorgetragen, der bewusst ist, aus | |
einer postarischen Gesellschaft zu stammen. Die Intervention richtet sich | |
ja gerade gegen Menschen, die das vergessen. Außerdem ist gleich im | |
nächsten Vers von „,Blabla, nie wieder Blabla'-auf-Instagram-Sager[n]“ die | |
Rede; also eindeutig von deutschen Diskursteilnehmern. | |
Dass die Zivilisten in Gaza als Entschuldigung für Antisemitismus in | |
Deutschland herhalten und in diesem Sinne „Schutzschild der Nachfahr’n der | |
Juden-Vergaser“ sein müssen, ist ein harter und auch diskussionswürdiger | |
Vorwurf. Doch diese Lyrics stammen nicht aus einem Thesenpapier, sondern | |
einem Rapsong. Sie intervenieren in eine konkrete gesellschaftliche Lage. | |
Wer diesen Vorwurf kritisiert, sollte ihm direkt ins Auge sehen und ihn | |
keineswegs dazu benutzen, die ratlose Traurigkeit und den mit ihr | |
verbundenen konkret kritischen Impuls dieses Songs zu delegitimieren. | |
9 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Danger-Dan-ueber-Solidaritaet/!5768195 | |
[2] /Antisemitismus-bei-Fridays-for-Future/!5970911 | |
[3] /Oktober-in-Europa-der-Antilopen-Gang/!6000435 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
## TAGS | |
Rap | |
Antisemitismus | |
Hamas | |
Israel | |
Deutschland | |
HipHop | |
Antisemitismus | |
Antilopen Gang | |
HipHop | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Antisemitismus im Deutschrap: Er steht fast allein da | |
Antisemitismus im Deutschrap ist real. 2018 hat sich der frühere Rapper Ben | |
Salomo aus der Szene zurückgezogen. Nun sensibilisiert er Schüler. | |
„Oktober in Europa“ der Antilopen Gang: Der Antisemitismus der anderen | |
Die Band Antilopen Gang macht mit ihrem neuen Track vor, was gerade sehr | |
verbreitet ist: Deutsche Schuld wird auf andere abgeladen. | |
Danger Dan über Solidarität: „Grüße an Herrn Schleifer“ | |
Rapper Danger Dan spricht über Solidarität mit Menschen, die von Nazis | |
bedroht werden, den Pazifismus von Albert Einstein und seine Beziehung zum | |
Klavier. | |
Antilopen Gang mit Symposium: Diskursives Aufmuskeln | |
HipHop als Punk im Punk: Die Antilopen Gang lud anlässlich ihres neuen | |
Albums „Abbruch Abbruch“ in Berlin zu einem Symposium. |