# taz.de -- Neue Ostasien-Präsentation in Hamburg: Bierhumpen aus China-Porzel… | |
> Die neue China-Präsentation in Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe | |
> offenbart frühe Exportbeziehungen nach Europa. Und viele ungeklärte | |
> Provenienzen. | |
Bild: Vertraute Symbole: drei Drachen und die Attribute der Acht Unsterblichen … | |
Sie ist menschhoch, rosa-grün-bunt und tonnenschwer: die riesige Vase am | |
Eingang der neu sortierten China-Dauerausstellung in Hamburgs Museum für | |
Kunst und Gewerbe (MKG), mit glücksbringenden Drachen, Fledermäusen, | |
Blumen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden solche Vasen | |
als Auftragswerke für europäische Herrschaftshäuser. Exportware also. | |
Und gerade weil sie so klischeehaft, in europäischen Augen „typisch | |
chinesisch“ ist, wollte Kuratorin Wibke Schrape sie nicht wieder zeigen, | |
als sie die Dauerausstellung neu konzipierte. Aber als die Vase eine | |
Zeitlang nicht zu sehen war, gab es so viele Nachfragen von BesucherInnen | |
und KollegInnen, dass Schrape sie wieder aufstellte. „Schließlich ist es | |
eine Sammlung für die BürgerInnen“, sagt sie. | |
Außerdem sei es vielleicht hilfreich, die BesucherInnen beim Vertrauten | |
abzuholen, ihnen so den Einstieg in die neue Präsentation von „Inspiration | |
China“ zu erleichtern. Bis dato hatte das Museum nämlich Japan, Korea, | |
China zur „Ostasien“-Abteilung“ zusammengefasst, was die Differenzierung | |
nicht beförderte. | |
Nun bekommt jedes Land eigene Räume. Nach Japan folgte jetzt China, wo von | |
rund 2.600 Stücken 220 gezeigt werden – so viele wie zuvor. Sie sind | |
allerdings nicht mehr chronologisch, sondern modular geordnet, nach | |
Materialien, Formen, Techniken. Denn das Motto „Inspiration“ knüpft an die | |
Gründungsidee des 1877 eröffneten Museums an, das anfangs auch | |
Kunstgewerbeschulen umfasste. Kunsthandwerk aus allen Kontinenten wurde da | |
gesammelt und als Vorbild und Muster für KunsthandwerkerInnen präsentiert, | |
zur kreativen Belebung der einheimischen Produktion. | |
## Interkultureller Austausch | |
Derart will auch Wibke Schrape die heutigen BesucherInnen inspirieren und | |
webt ins Vertraute en passant jene kulturelle Wechselwirkung ein, um die es | |
letztlich geht. Gleich hinter besagter „Lieblingsvase“ steht eine Vitrine | |
mit – gleichfalls klischeehaft-vertrautem – chinesischem | |
Blauweiß-Porzellan. | |
Der zweite Blick offenbart den interkulturellen Austausch, denn auch dies | |
war Exportware für ausländische Märkte: Ein Blauweiß-Krug der Ming-Dynastie | |
(1368–1644) ähnelt einem Bierhumpen und wurde in der Tat für einen | |
bayerischen Adligen gefertigt. Für den persischen Markt waren die | |
kugelbauchigen Kannen mit schlankem Hals gedacht. Daneben prangt eine Kanne | |
Meißner Porzellans in Blauweiß. Inspiration funktionierte auch in | |
umgekehrter Richtung. | |
Begonnen hatte die europäische Nachfrage nach chinesischem Porzellan | |
während des Kolonialismus – obwohl es in China „bloß“ einzelne koloniale | |
Stützpunkte gab – 1602 mit Gründung der Niederländischen | |
Ostindien-Kompanie, die Porzellan im großen Stil importierte. | |
Um die Sammelwut europäischer Adliger zu befriedigen, entwickelten die | |
chinesischen Manufakturen eine sehr effektive modulare Arbeitsmethode: | |
Standardisierte Elemente wurden für den jeweiligen Auftraggeber variiert, | |
neu zusammengesetzt, in verschiedene Größen transponiert. Die drei in der | |
Grundform ähnlichen, im Detail aber verschiedenen Bronzegefäße der | |
Shang-Dynastie (1600–1100 v. Chr.) in dem Hamburger Museum verdeutlichen | |
das Prinzip. | |
Ein weiterer Effekt der starken Nachfrage nach Exportware: ein | |
arbeitsteiliger Produktionsprozess, bei dem jeder für einen Schritt | |
zuständig war und ihn derart zur Perfektion brachte, dass Massenware aus | |
perfekten Einzelstücken entstand – ein für aufs „Original“ bedachte | |
EuropäerInnen schwer begreifbares Phänomen. Interessant auch, dass China | |
besagte arbeitsteilige Massenfertigung 1.600 vor Chr. erfand und Europa | |
erst im 19. Jahrhundert – gut 3.000 Jahre später. | |
Immer wieder reflektiert die Hamburger Ausstellung auch die subjektive, | |
europäisch-wertende Sicht auf die Objekte. Im Modul „monochron“ steht eine | |
graue, eckige Vase aus dem 12. Jahrhundert. EuropäerInnen verglichen sie | |
oft mit dem Bauhaus-Stil und empfänden sie als „modern“, sagt Schrape. Und | |
das ist als Kompliment gemeint. | |
Wie all diese Werke in den europäischen Kunsthandel kamen? „Das ist | |
kompliziert und oft schwer festzustellen“, sagt Silke Reuther, die | |
Provenienzforscherin es Museums. Sie betreut den 2021 im Nachgang der | |
[1][Ausstellung „Raubkunst“] eingerichteten „Provenienz-Parcours“, der … | |
roten Pfeilen anzeigt, zu welchen Exponaten bereits geforscht wurde. | |
Natürlich bestehe bei chinesischen Exponaten die Möglichkeit | |
[2][unrechtmäßiger Herkunft,] vor allem infolge des unter deutscher | |
Beteiligung 1901 niedergeschlagenen „Boxeraufstands“ gegen die Dominanz | |
ausländischer Mächte in China. Daraufhin wurde damals massiv Kunst geraubt | |
und nach Europa gebracht – ein bislang wenig erforschtes Kapitel, dem sich | |
das bundesweite Projekt „Spuren des Boxerkrieges in deutschen | |
Museumssammlungen“ von November 2021 bis Juni 2024 widmete. | |
Auch das Museum für Kunst und Gewerbe nahm teil; das Fazit: „Wir haben in | |
der Ausstellung kein Stück, das wir direkt dem Boxerkrieg zuordnen können“, | |
sagt Schrape. Auch gebe es bislang bundesweit keine Resitutionsforderung | |
aus [3][China]. „In China werden allerdings Listen der Objekte geführt, die | |
etwa aus den einstigen Kaiserlichen Sammlungen verschwunden sind“, sagt | |
Schrape. Auch in chinesischen Medien werde das Thema präsenter und dringe | |
allmählich ins Bewusstsein. | |
Allerdings seien die Objektbiographien vielschichtig, sagt | |
Provenienzforscherin Reuther. „Gerade aus den Kaiserlichen Werkstätten | |
wurde vieles zum Beispiel an Diplomaten verschenkt.“ Zudem habe das | |
Kaiserhaus Anfang des 20. Jahrhundert aus Finanznot viele Objekte verkauft, | |
deren Wege man nicht rekonstruieren könne. „Auch ist unklar, wie weit der | |
Handel mit Exportporzellan als belastet anzusehen ist und ob die | |
chinesischen Werkstätten damals angemessen bezahlt wurden“, sagt Reuther. | |
Aber selbst die „nur“ 80 Jahre zurückliegende NS-Zeit lässt sich nicht | |
immer rekonstruieren. Bei einem bronzenen Pferdekopfschmuck, entstanden um | |
1.000 v. Chr., „wissen wir zum Beispiel außer von einem Zwischenhändler | |
nichts Genaues über die NS-Zeit“, sagt Reuther. Der gleich alte | |
Deichselkopf darunter indes wurde nicht in der NS-Zeit geraubt, „aber wie | |
er nach Europa kam, wissen wir nicht“. | |
## Unklarer Weg ausgegrabener Objekte | |
Ganz und gar unübersichtlich wird es bei ausgegrabenen Objekten wie der | |
4.000 Jahre alten, einst als Hirsebehälter genutzten Vase und den | |
Keramik-Hofdamen aus einem Grab des 8. Jahrhunderts. „Da wissen wir nicht: | |
Wurden sie vor 1.000 Jahren von Grabräubern ausgegraben oder vor 100 Jahren | |
beim Eisenbahnbau?“, sagt Reuther. | |
„Heute kauft unser Museum nur noch Objekte an, bei denen Grabungsdokumente | |
und Ausfuhrgenehmigung vorliegen“, sagt Kuratorin Schrape. Und verweist, um | |
den „Inspirations-Kreis zu schließen, zum Schluss auf ein Beispiel | |
innerchinesischer, sogar modularer Inspiration: Sie zeigt auf das riesige | |
Hängerollen-Gemälde „Sommerberge – Weite Ferne“ (1722) von Huang Ding, | |
Sinnbild idealer Landschaft und Regierung. | |
Gegenüber hängt das Video „Rising Mist“ (2014) des in Shanghai lebenden | |
Künstlers [4][Yang Yongliang]. Der traditionelle Bildaufbau – Berge über | |
Wasser, dazwischen Nebel – findet sich auch im Video. Aber dann wird das | |
Ganze systematisch dekonstruiert: Die „Bäume“ erweisen sich als | |
Strommasten, die Berge sind von Baustellen übersät. Der Nebel verdichtet | |
sich zu Smog. Er überlagert sukzessive das ganze Bild und alles, wofür es | |
steht. | |
13 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Benin-Bronzen-und-die-Rueckgabedebatte/!5769586 | |
[2] /Asiatika-Diebstahl-in-Museen/!5997017 | |
[3] /Buch-ueber-chinesisches-Denken/!5960867 | |
[4] /Fotofestival-ueber-den-Zustand-der-Welt/!5110541 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
China | |
Antike | |
Raubkunst | |
Provenienz | |
Museum für Kunst und Gewerbe | |
Europäische Union | |
China | |
Film | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Chinesische Zölle auf EU-Waren: Peking straft Paris ab | |
China antwortet auf die EU-Zölle auf E-Autos mit Zöllen auf Branntwein. Das | |
trifft vor allem französische Hersteller. Die EU zieht vor die WTO. | |
Wirtschaft in China: Die Stimmung droht zu kippen | |
Die Regierung in der Volksrepublik hat ein großes Konjunkturpaket | |
angekündigt – doch das lässt auf sich warten. Das enttäuscht die Börsen. | |
Film „Sleep With Your Eyes Open“: Dauerhafte Durchreise | |
Der Film „Sleep With Your Eyes Open“ erzählt von jungen Chinesinnen, die in | |
Brasilien arbeiten. Ihr Leben führen sie in einer luxuriösen Parallelwelt. |