| # taz.de -- Buch über Konflikte in der Gesellschaft: Der Transformationsblues | |
| > AfD, Klimastreit, Bauernproteste: Vier Wissenschaftler*innen haben | |
| > die Verwerfungen um die sozial-ökologische Transformation untersucht. | |
| Bild: Der Wunsch nach Zäsur von rechts: Wahlplakat der AfD in Thüringen im Au… | |
| Sachsen im Hochsommer. Alle paar Meter grüßt ein aggressives Wahlplakat. | |
| Die AfD findet „Keine Heizung ist illegal“, die rechtsextremen Freien | |
| Sachsen wollen ausländische Kriminelle „nach Berlin abschieben“. Auf | |
| anderen Plakaten wird über Lastenfahrräder, Bioessen und Gendersternchen | |
| hergezogen. | |
| Wer wissen will, warum es gerade die Grünen sind, die derzeit nicht nur | |
| [1][im Osten zur Zielscheibe politischer Hetze werden], sollte die | |
| soziologische Analyse von vier Wissenschaftler*innen der Universität | |
| Jena lesen. Dennis Eversberg, Martin Fritz, Linda von Faber und Matthias | |
| Schmelzer haben in einer repräsentativen Umfrage 4.000 Menschen zu ihren | |
| Einstellungen und Gefühlen bezüglich des gesellschaftlich-ökologischen | |
| Wandels sowie zu ihren Alltagsgewohnheiten und sozio-ökonomischer Situation | |
| befragt. | |
| Die Ergebnisse haben sie in dem Band „Der neue sozial-ökologische | |
| Klassenkonflikt“ zusammengefasst, der eine Art Mentalitätslandkarte | |
| Deutschlands entwirft. | |
| Heiter ist diese Landkarte nicht gerade: Die sozial-ökologische | |
| Transformation der Gesellschaft drohe zu scheitern, schreiben die | |
| Autor*innen. [2][Im Gegensatz zur vielbeachteten „Triggerpunkte“]-Analyse | |
| der Wissenschaftler*innen [3][um Steffen Mau, die Ende 2023 noch eine | |
| stabile Mitte und einen Konsens für notwendige Veränderungen in der | |
| deutschen Bevölkerung vorfanden], sieht das Quartett aus Jena diesen | |
| Konsens nun „ausgehöhlt“. | |
| Und das nicht nur an den politischen Rändern: Die | |
| Wissenschaftler*innen sprechen von einer „gemeinsamen Frontstellung | |
| gegen eine Klima- und Transformationspolitik, die als sozial unausgewogen, | |
| übereilt und ideologiegetrieben wahrgenommen wird“. | |
| ## Wohlhabende gegen „einfache“ Leute? | |
| Wohlhabende städtische Grünenwähler*innen gegen überforderte | |
| „einfache“ Leute? So einfach ist es laut den Autor*innen nicht. Der | |
| Konflikt um einen klimagerechten Umbau des Landes finde nicht nur von oben | |
| nach unten statt – sondern genauso auf der Horizontalen, zwischen einem | |
| „materiell-eigentumsbasierten“ und einem „postmateriell-bildungsbasierten… | |
| Lager. Während die einen von Geschwindigkeit und Ausmaß des | |
| gesellschaftlichen Wandels überfordert sind, blicken die anderen | |
| optimistisch auf Veränderungen. | |
| Dieser Veränderungskonflikt werde politisch und medial allerdings | |
| überbetont und falsch dargestellt, finden die Autor*innen. So sei das | |
| ökosoziale Spektrum sehr uneinheitlich und die pauschale Unterstellung von | |
| sozialer Unsensibilität ungerechtfertigt: Viele Wohlhabende träten sehr | |
| wohl für sozialen Interessensausgleich ein – andere wieder lebten | |
| ökonomisch prekär und seien eher konservativ-verzichtsorientiert | |
| eingestellt. | |
| Nach Ansicht der Autor*innen verläuft der Konflikt nicht ideologisch | |
| zwischen Grünen- und AfD-Wähler*innen, wie gängige Analysen behaupten. Die | |
| entscheidenden Widerstände gegen transformative Politik kämen aus den | |
| Zentren wirtschaftlicher Macht und von einer besitzenden Klasse; gegen eine | |
| angemessene Beteiligung großer Vermögen an den Kosten, gegen Sozialbindung | |
| und verbindliche Regeln. | |
| Ein Verteilungskonflikt also, auf Kosten derer, die im Buch als „innere“ | |
| und „äußere Peripherie“ bezeichnet werden: Pflege- und | |
| Dienstleistungsbeschäftigte, landwirtschaftliche Saisonkräfte, Mittellose | |
| und diejenigen, die anderswo die Grundlagen unseres Wohlstands | |
| erwirtschafteten. | |
| ## Verschleierte Interessenspolitik | |
| FDP und Union und AfD versuchten von dieser Konfliktdimension abzulenken, | |
| indem sie die im übergeordneten Überlebensinteresse aller liegende | |
| Klimapolitik zum Spezialanliegen der Grünen umdeuteten – und so die | |
| Interessen wohlhabender Eigenheim- und Autobesitzer*innen schützten. | |
| Kann es unter diesen Vorzeichen eine Klimawende überhaupt geben? Die Jenaer | |
| Autor*innen bejahen das sehr vorsichtig und geben politische | |
| Empfehlungen: Keine Moralappelle an die Einzelnen, sondern verbindliche | |
| politische Weichenstellungen für alle samt Ausbau einer | |
| ressourcenschonenden öffentlichen Infrastruktur. Umverteilung durch höhere | |
| Belastung der Vermögens-und „Vermschmutzereliten“. Mehr demokratische | |
| Partizipation statt Werben um „Akzeptanz“. | |
| Dann, und nur dann, könnte die ökosoziale Transformation, so schlecht sie | |
| derzeitig politisch durchsetzbar sei, doch noch gelingen. | |
| 31 Aug 2024 | |
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| Nina Apin | |
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