# taz.de -- Zusammenleben nach dem Solinger Anschlag: Gemeinsam gegen Extremism… | |
> Nach dem Anschlag spüre ich die Erwartung, dass ich mich als geflüchteter | |
> Syrer und Journalist äußern sollte. Dabei hat die Tat nichts mit mir zu | |
> tun. | |
Bild: Zusammenhalt nach dem Anschlag: Eine Notfallbegleiterin vor der Gedenkfei… | |
Am 24. August wurden auf dem Solinger Stadtfest „Festival der Vielfalt“ | |
drei Menschen getötet, mindestens acht wurden verletzt, davon vier | |
lebensgefährlich. Der Mörder ist offenbar ein 26-jähriger Syrer aus Deir | |
er-Zor. Er kam Ende 2022 nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Der | |
sogenannte Islamische Staat (IS) hat die Verantwortung für den Anschlag | |
übernommen. | |
Ich möchte eigentlich nicht in die [1][Diskussionen über Asyl oder | |
Abschiebungen] einstimmen. Es wurde so viel dazu gesagt, geschrieben und | |
gepostet, und wir haben als Gesellschaft so wenig gewonnen oder gelernt. | |
Aber ich habe noch so viele offene Fragen. | |
War der Täter bereits in Syrien IS-Mitglied? In einem Interview sagen seine | |
Familienmitglieder, er sei vor der Gewalt der Terrormiliz geflüchtet. Was | |
geschah mit ihm in Europa? Hat er sich in Deutschland radikalisiert? Gab es | |
Hinweise auf seine menschenfeindlichen Einstellungen? Wurde er von | |
Terroristen des [2][IS] im Inland angeleitet? | |
Das muss alles geklärt werden. Im besten Fall, damit Politiker*innen | |
dann darauf basierend Entscheidungen treffen können. So sehen es auch 60 | |
Prozent der Befragten in einer Forsa-Umfrage zu dem Anschlag in | |
[3][Solingen]. Sie befürworten, „in Ruhe und nach Vorliegen der genauen | |
Ermittlungsergebnisse über mögliche Gesetzesänderungen und andere Maßnahmen | |
zu entscheiden“. | |
## Stehe ich immer unter Verdacht? | |
Ich habe das Gefühl, dass ich mich als Syrer, als syrischer Medienmacher, | |
[4][als ehemaliger Geflüchteter öffentlich positionieren sollte.] Aber | |
warum eigentlich? Was hat diese furchtbare Tat mit mir zu tun? Will ich | |
mich rechtfertigen, um der Mehrheitsgesellschaft zu sagen: Guck mal, ich | |
bin einer von den Guten? | |
Ich muss bei diesen Gedanken etwas weiter ausholen. Im Jahr 2017 habe ich | |
an einer Weiterbildung für Medienschaffende teilgenommen, mit 14 weiteren | |
Geflüchteten. Als der [5][Terrorangriff auf das Ariana Grande-Konzert] in | |
Manchester passierte, legte uns die Kursleiterin nahe, dass wir uns | |
öffentlich dagegen aussprechen, weil wir doch auch Geflüchtete und einige | |
von uns Muslim*innen seien. | |
Es folgte eine kleine Kampagne, an der ich teilnahm und durch die ich mich | |
irgendwie erleichtert fühlte. Ich hatte mich distanziert, von einem | |
Angreifer, von dem ich nichts wusste und mit dem ich nichts gemeinsam | |
hatte. Aber ich hatte der Kursleiterin und ein paar hundert Personen auf | |
Facebook gezeigt, dass ich gegen den Terror des Islamischen Staates war. | |
Erst Monate später begann ich, die Aktion zu hinterfragen. Sollte ich mich | |
bei jedem Vorfall, bei dem ein (angeblicher) Muslim oder Geflüchteter eine | |
Rolle spielt, äußern? Wie oft sollte ich das wiederholen? Wann wird mir | |
geglaubt? Oder stehe ich wegen meiner Religion oder meiner Nationalität | |
immer unter Verdacht? | |
Ich habe irgendwann entschieden: Niemand spricht in meinem Namen! Genau so, | |
wie ich heute nicht für andere Syrer*innen schreibe, sondern nur für | |
mich persönlich. Ich bin vor Krieg und Tod geflüchtet. Ich bin als Muslim, | |
als Mensch, als Geflüchteter gegen jede Gewalt. Ich kann und will das nicht | |
ständig unter Beweis stellen müssen. Ist die Art und Weise wie ich hier in | |
Hamburg ein neues Leben aufgebaut habe nicht Beweis genug? | |
Ich bin kein Experte für islamistischen Terror, oder dafür, warum sich | |
Menschen radikalisieren (lassen). Ich weiß nur, dass der Anschlag in | |
Solingen mich und alle Menschen in meinem Umfeld schockiert hat, unabhängig | |
davon, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder ob sie Muslim*innen | |
sind. Wer in dieser Gesellschaft zusammenleben will, muss sich jetzt gegen | |
alle Formen von Radikalisierung und Extremismus stellen. Wir brauchen | |
einander, und wir sollten uns gegenseitig schützen, denn ohne diesen | |
[6][Zusammenhalt] können wir nicht in Frieden leben. | |
10 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Hussam Al Zaher | |
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