# taz.de -- Zwangsräumung in Neukölln: Die Häuser denen, die drin wohnen | |
> Sebastian H. ist aus seiner Wohnung in der Hermannstraße in Neukölln | |
> zwangsgeräumt worden. Der Fall ist ein Paradebeispiel für den Berliner | |
> Mietenwahnsinn. | |
Bild: Kartons im Treppenhaus eines Altbaus (Symbolbild) | |
Berlin taz | Wie ein Schäferhund wacht der Gerichtsvollzieher im | |
Hauseingang der Hermannstraße 123. Dort stehen ein kleiner Koffer, ein | |
Wanderrucksack und eine handvoll Menschen. Inmitten von ihnen Sebastian H. | |
Der 41-Jährige wurde kurz vorher, am Montagmorgen, aus seiner Wohnung | |
zwangsgeräumt. | |
Nachbarn und andere Leute aus der Gegend sind gekommen, um ihm beizustehen. | |
Die Berliner Gruppe [1][Zwangsräumungen verhindern!] hatte am Morgen über | |
die sozialen Medien mobilisiert. Nachdem einer der Unterstützer den | |
Gerichtsvollzieher fragt, wie es sich anfühle, gerade jemanden auf die | |
Straße gesetzt zu haben, ist die Stimmung angespannt. | |
Die Wohnung befindet sich in einem Haus, das im Dezember 2023 von Alexander | |
Scheinin gekauft wurde. Er ist einer der geschäftsführenden Gesellschafter | |
der Immobilienfima Jaas, die für Luxusbauten bekannt ist. Die | |
Hausverwaltung übernahm nach dem Verkauf die von Rüden GmbH. Sebastian H. | |
arbeitet als Selbstständiger in der Filmbranche. Im Winter hatte er kaum | |
Aufträge. Er konnte keine Miete zahlen. | |
## Lange Wartezeiten beim Bürgergeld | |
„Ich hatte einen sehr depressiven Winter und habe im November Bürgergeld | |
beantragt. Das war ein Spießrutenlauf und hat ein halbes Jahr gedauert“, | |
sagt er zur taz. Daraufhin wurde ihm fristlos gekündigt. Das, so Sebastian | |
H., sei die perfekte Situation für die Immobilienfirma gewesen, weil diese | |
froh sei, wenn solche Schwachstellen entstehen. Dann könnten sie die Leute | |
rauswerfen. | |
Die Räumungsklage sei ihm direkt zugestellt worden. Den Termin vor dem | |
Amtsgericht habe er verpasst. Daraufhin sei die Chance, seine Situation vor | |
der zuständigen Richterin darzulegen, vertan worden. Sowohl vor als auch | |
nach der fristlosen Kündigung hatte Sebastian H. den Hausverwalter über | |
seine finanzielle Situation und seinen psychischen Zustand informiert. Auch | |
über den positiven Bescheid vom Jobcenter, der bestätigte, dass sein Antrag | |
bearbeitet und er das nötige Geld bekommen wird. | |
Letztlich habe er [2][resigniert]. Ein bisschen Zeit konnte sich Sebastian | |
H. durch eine Rechtshelferin verschaffen – unter anderem mit einem | |
psychologischen Attest. Zwei Räumungstermine hatte er somit abwenden | |
können, den am 9. September nicht mehr. Die Wohnung, aus der Sebastian H. | |
geräumt wurde, hatte er nach seinem Einzug noch selbst saniert. Jetzt kommt | |
er vorübergehend bei Freunden unter. | |
Kim Mayer, Sprecherin vom [3][Mietwahnsinn-Bündnis], ist auch dabei, als | |
Sebastian H. zwangsgeräumt wird. Sie verweist auf die Wohnung nebenan, die | |
seit dem Verkauf des Wohnhauses, also seit knapp einem Jahr, leer steht. | |
Die Räumung von Sebastian H. zeige, wer am längeren Hebel sitzt. Das sei | |
der Grund, warum die Betroffenen einknicken. Gleichzeitig würden sich die | |
Leute mit den steigenden Mieten und der Verdrängung abfinden. | |
## Solidarische Unterstützung | |
Sebastian H. ist überwältigt von der Unterstützung, die er erfährt. | |
Herzlich klopft er den sieben Personen im Hauseingang auf die Schulter und | |
sagt: „ich könnte wirklich heulen über die Schuffis.“ Der | |
Gerichtsvollzieher und drei Polizeibeamte wachen noch ein wenig an der | |
Haustür. Eine Stunde nach der Zwangsräumung sind auch sie weg und eine | |
zweite Wohnung im Wohnhaus Hermannstraße 123 steht nun leer. | |
9 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Buendnis-Zwangsraeumung-verhindern/!5886955 | |
[2] /Mentale-Gesundheit-und-Zwangsraeumungen/!5958340 | |
[3] /Grossdemo-der-Mietenbewegung/!6012832 | |
## AUTOREN | |
Martha Blumenthaler | |
## TAGS | |
Zwangsräumung | |
Berlin-Neukölln | |
Wohnen | |
Bauwirtschaft | |
Mieten | |
Zwangsräumung | |
Zwangsräumung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wohnungsnot in Deutschland: Kaum noch Baugenehmigungen | |
Selbst ein WG-Zimmer kostet in Deutschland im Schnitt mittlerweile 489 Euro | |
im Monat. Derweil gerät die Bauwirtschaft immer tiefer in die Krise. | |
Tausende bei Mieten-Demo: Bunter Umzug gegen den Wahnsinn | |
Tausende Menschen demonstrieren gegen hohe Mieten und Verdrängung – mit | |
Zwischenstopp am Hafenplatz, wo 700 Wohnungen und Gewerbe weichen sollen. | |
Mentale Gesundheit und Zwangsräumungen: Die Krisen-Maschine | |
Jährlich werden über 1.000 Menschen in Berlin zwangsgeräumt. Oft ein | |
vermeidbares Schicksal, wären Bürokratie und Markt nicht so unerbittlich. | |
Polizeieinsatz in Berlin-Spandau: Tödliche Zwangsräumung | |
In Spandau hat ein Mann sich seiner Zwangsräumung widersetzt und am Ende | |
selbst das Leben genommen. Einmal mehr wird eine Räumung zur Tragödie. |