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# taz.de -- US-Thaiboxerin über Feminismus: „Wie die Bewegung einer Ballerin…
> Die US-Amerikanerin Sylvie Von Duuglas-Ittu steigt in Thailand als
> Thaiboxerin in den Ring. Dort kämpft sie auch gegen das Patriarchat.
Bild: Über 280 Kämpfe hat Sylvie von Duuglas-Ittu schon absolviert
taz: Frau Von Duuglas-Ittu, was fasziniert Sie am Muay Thai?
Sylvie Von Duuglas-Ittu: Die Faszination ist mit meinem Engagement für den
Sport gewachsen. Als ich anfing, war ich noch nicht so besessen davon. Ich
hatte vorher auch noch nie Muay Thai gesehen. Mein Mann hatte eine sehr
umfangreiche Kung-Fu-Filmsammlung. Als wir zusammenzogen, haben wir uns all
diese Filme angesehen. Das hat mir aber nie viel gegeben. Dann zeigte er
mir den thailändischen Spielfilm „Ong-Bak“. In einer Kampfszene gibt es ein
spektakulär umgedrehtes Knie. Da fiel mir die Kinnlade runter. Ich wollte,
dass mein Körper diese Bewegungen macht, so wie jemand, der die Bewegungen
einer Ballerina sieht und denkt: „Das will ich auch machen.“
taz: Also haben Sie angefangen, zu trainieren?
Von Duuglas-Ittu: Ja, mit 24 Jahren. Nach ein paar Versuchen fand ich
Meister K., einen 70-jährigen Thai, der in seinem Keller in New Jersey
unterrichtete und in mir dasselbe Gefühl auslöste wie der Film. Als ich
[1][zum ersten Mal nach Thailand] ging, fühlte ich mich der Freundlichkeit
und dem Ursprung des Sports dort sehr verbunden.
taz: Sie leben nun seit 12 Jahren in Thailand. Das Land ist als sehr
patriarchalisch und streng hierarchisch bekannt. Wie erleben Sie das?
Von Duuglas-Ittu: Die meisten Amerikaner sehen Thailand gar nicht als ein
sehr patriarchalisches Land. Das war auch bei mir so. In der Schule habe
ich nichts über Thailand gelernt und bis dahin außer meinem Trainer keine
Thais getroffen. Ich hätte das Land nicht einmal auf der Karte gefunden.
Als ich nach Thailand kam, wurde mir klar, dass viele Dinge, die ich an
Meister K. schätzte, eigentlich typisch für Thais waren. Der Sexismus, den
es auch in Thailand gibt, ist nicht einmal besonders einzigartig. Aber
einiges war neu. Zum Beispiel sind die Menstruationstabus hier stärker
ausgeprägt als in Amerika, und da sind sie ja schon sehr stark.
taz: Inwieweit merkt man das?
Von Duuglas-Ittu: Weibliche Kämpferinnen müssen in Thailand zum Beispiel
unter dem untersten Seil in den Ring gehen. Es gibt die Vorstellung, dass
die Kraft der weiblichen Menstruation die Elemente, die den Ring schützen
sollen, zerstören und entmachten kann. Früher durften Frauen den Ring
deshalb nicht einmal berühren. Mittlerweile dürfen sie in den beiden großen
Stadien durch das mittlere Seil. Auch der Zugang zu bestimmten heiligen
Stätten wird Frauen aufgrund von Menstruationstabus verwehrt. Gleichzeitig
gibt es hier eine Leichtigkeit in der Sprache, sodass man tatsächlich über
all das sprechen kann. Etwas, was die puritanischen Amerikaner nicht
können. Der Sexismus in Thailand ist aber nichts, was mir fremd oder härter
vorkommt als im Westen. Aber es ist viel schwieriger, als
Nicht-Thailänderin direkt etwas dagegen zu sagen. Ich habe also eine
sanftere Art, an diese Dinge heranzugehen, während ich in Amerika eine
schärfere Sprache verwenden würde.
taz: Sie haben einen Youtube-Kanal, auf dem Sie unter anderem Interviews
mit Muay-Thai-Legenden führen und sich gegen das Patriarchat aussprechen.
Wie kommt das an?
Von Duuglas-Ittu: Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Thailänder
meine Videos sehen. Ich glaube aber nicht, dass die meisten meine Videos
verstehen. Sie sehen vor allem, wie ich mit diesen Muay-Thai-Legenden
interagiere. Ich möchte aber verstehen, was Thailänder zum Beispiel davon
halten, wenn Frauen unter dem Seil in den Ring müssen. Die Männer, mit
denen ich spreche, sind meist zwischen 40 und 60 Jahre alt und haben eine
geteilte Meinung. Einerseits sei es Tradition, gleichzeitig erklären sie
mir: „Ich verstehe es nicht wirklich, denn wir stammen alle von unseren
Müttern ab.“ Einige Männer haben mir sogar ganz offen gesagt, dass sie das
untere Ringseil für Blödsinn halten.
taz: Wie können Frauen im Muay Thai sichtbarer werden?
Von Duuglas-Ittu: Wir Frauen sind beim Zugang zum Sport und bei den
Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, im Hintertreffen. Im Großen und
Ganzen sind wir einfach noch nicht so gut wie die Männer. Die Kämpferinnen
müssen besser werden, sich weiterentwickeln und den Prozess ernst nehmen,
um dadurch mehr Sichtbarkeit zu bekommen. Frauen tragen die Ästhetik, die
Schönheit und die Tradition des Sports viel stärker in sich als Männer.
Vielleicht neigen wir Frauen auch dazu, viel traditioneller zu sein, um
auszugleichen, dass wir in diesem Bereich nicht vollständig anerkannt sind.
Der Sport ist in Thailand ein starker Ausdruck von Männlichkeit. Er wird
als etwas sehr Maskulines angesehen.
taz: Ist das auch im Westen so?
Von Duuglas-Ittu: Das Einzigartige an Muay Thai ist, dass diese
Ausdrucksformen der Männlichkeit im Westen weiblich wirken können. Zum
Beispiel wird der Tanz zu Beginn des Kampfes, der Ram Muay, im Westen als
weiblich angesehen. Aber die Bewegungen sind eigentlich sehr männlich und
stammen aus dem Ramayana, dem indischen Schöpfungsmythos, der nach Thailand
kam. [2][Die Bewegungen sind allesamt Kriegerposen], die im Westen aber
nicht als solche erkannt werden, weil sie weich und fließend sind. Frauen
können diese Bewegungen sehr gut übernehmen. Es gibt auch eine Doppelmoral
unter Thais. Sie lieben es, dass man Muay Thai ohne Kraft anwenden kann.
Der kleine Körper eines thailändischen Mannes, der in der Regel viel
kleiner ist als sein westliches Gegenstück, kann einen stärkeren Mann durch
Technik und Cleverness besiegen. Das sollten sie auch auf Frauen
übertragen, die durch Geschick und Finesse sehr gut im Muay Thai sein
können. Sie müssen nicht stark, muskulös und bullig sein.
taz: Sie behaupten in einem Video, dass Sie Ihre Sexualität als Frau
kastrieren müssen, um in Thailand zu trainieren. Was heißt das?
Von Duuglas-Ittu: Die thailändische Kultur trennt Männer und Frauen von
Pubertät an. Es ist eine konservative Gesellschaft, in der Jungen und
Mädchen nicht viel Zeit miteinander verbringen. Auch Gyms sind eine
unglaubliche Männerdomäne. Wenn man dann als Frau in ein Gym voller Männer
kommt, kommen die Körper in Kontakt. Das kann zu einer Spannung führen,
denn so gehen Jungen und Mädchen in Thailand einfach nicht miteinander um.
Jungen – und auch erwachsene Männer – hingegen berühren sich sehr oft. Sie
kokettieren sogar auf scherzhafte Weise miteinander, kneifen und
begrapschen sich gegenseitig. Mit Mädchen können sie das nicht machen. Es
wird nie nur freundschaftlich sein.
taz: Aber Ihr Training erfordert ja diesen Körperkontakt.
Von Duuglas-Ittu: Genau. Ein Teil des Muay-Thai-Trainings ist körperlich
und eng, vor allem das Clinchen. In normalen Gyms gibt es meist nur ein
oder zwei Frauen und es ist schwierig, nicht sexualisiert zu werden. Wenn
du eine natürliche Sexualität hast und dein Humor aus sexuellen Witzen
besteht, kann das in anderen etwas Unkontrollierbares auslösen. Und dann
kann man nie hinter eine Grenze zurückkehren, die man bereits überschritten
hat. Also versuche ich ständig, Grenzen zu wahren. Wenn ich sage, dass ich
mich im Gym entsexualisiere, bin ich übermäßig vorsichtig und konservativ.
Ich will nicht in eine Situation geraten, in der ich meine Position im Gym
nicht mehr unter Kontrolle habe. Männer hingegen müssen sich darüber in
keiner Weise Sorgen machen.
9 Sep 2024
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## AUTOREN
Martin Seng
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