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# taz.de -- Fotobuch über Rom und Las Vegas: Wo Tourismus zum Horror wird
> Was hat Las Vegas mit dem alten Rom gemein? Den Spuren einer berühmten
> Studie geht der Architekturfotograf Iwan Baan mit einem Bildband nach.
Bild: Römische Spolien in einer Mall in Las Vegas: Iwan Baan aus „Rome-Las V…
Das Architektenpaar [1][Denise Scott Brown und Robert Venturi] besuchte
1968 gemeinsam mit dem Kollegen Steven Izenour den Las Vegas Strip. Den 6,4
Kilometer langen Boulevard an den Grenzen der Wüstenstadt, flankiert von
Hotels, Malls und Casinos, wollten sie mit damals neuartigen, visuellen
Erkundungsformen als extremes Beispiel für eine urbane Zersiedelung
untersuchen.
5.000 Farbdias, 3.000 Filmmeter sowie eine Fülle von Karten und Tabellen
nutzten sie für ihre städtebauliche Analyse. 1972 entstand daraus die
kontrovers diskutierte Publikation „Learning from Las Vegas“. Sie gilt bis
heute als ein Standardwerk der postmodernen Architekturtheorie.
Die autoorientierte US-Metropole vermessen die drei Autor:innen darin
auch immer wieder im Kontrast zu Rom, der „Ewigen Stadt“ eines
christlich-antik geprägten Europas. Robert Venturi hatte 1954 einen
zweijährigen Aufenthalt an der American Academy in der italienischen
Hauptstadt angetreten. Auch [2][Denise Scott Brown], seine im Süden Afrikas
als Tochter jüdischer Eltern aufgewachsene Partnerin, kannte Rom, sie hatte
an einem städtebaulichen Masterplan für die Stadt mitgearbeitet. „Wir haben
Rom als Metapher benutzt“, bemerkte Scott Brown in einem späteren Interview
zu ihrer Las-Vegas-Studie.
„Die letzte unserer idealen Bildwahrheiten ist die Vorstellung, [3][dass
Rom alt] und Las Vegas neu ist“, mahnt der US-Architekturkritiker Ryan
Scavnicky in Iwan Baans neuem Bildbuch „Rome – Las Vegas. Bread and
Circuses“. Gut 50 Jahre nach der opulenten Erstveröffentlichung widmet Baan
ihr nun seine Hommage „Learning from Las Vegas“.
Der niederländische Fotograf, der sonst für die größten Architekturbüros
die Welt bereist, um ihre Gebäude zu fotografieren, folgt darin den Spuren
der Pioniere visuell gestützter Stadterkundungen und arbeitet die von ihnen
hergestellte Beziehung zwischen dem europäischen Rom und der US-Wüstenstadt
Las Vegas noch einmal heraus.
Baan blickt durch seine Kamera vom Hubschrauber aus scheinbar allwissend
über beide Städte, um sich ihnen dann detailliert, in Ausschnitten und
Zooms vom Boden aus, zu nähern. „Der Las Vegas Strip ist keine chaotische
Zersiedelung, sondern eine Reihe von Aktivitäten, deren Muster wie in
anderen Städten von der Technologie der Bewegung und dem wirtschaftlichen
Wert des Landes abhängt […]. Wir bezeichnen es als Zersiedelung, weil es
ein neues Muster ist, das wir noch nicht verstanden haben“, analysierten
noch Venturi, Scott Brown und Izenour.
Geradezu anklagend sind die Bilder von Iwan Baan: „In diesem Buch wird die
Stadt des globalen Tourismus als ein Horror […] dargestellt. Wer die
Fotografien betrachtet, sieht die Stadt als eine von Menschenhand
geschaffene Maschine, die sich unserem Verständnis entzieht“, so Ryan
Scavnicky. Immer wieder taucht auf ihnen „The Sphere“ auf, der mit 54.000
Quadratmetern größte LED-Bildschirm der Welt auf einer Kugel vor einer
Konzerthalle in Las Vegas.
Baans Buch beschießt die Augen, mit 180 Abbildungen. Zeigen Doppelseiten
ein Gegenüber beider Städte, ist darauf kaum mehr zu erkennen, wo das
eigentlich sein soll: „Sowohl Vegas als auch Rom drehen ihr Image ständig
um, und wie ein Meisterdieb kommen beide damit durch“, bemerkt Ryan
Scavnicky. Illusionistischer Fake und trumpesker Pomp tauchen in der Alten
wie in der Neuen Welt auf, wenn Baan zu Sitzbänken umgeschliffene Säulen
mit USB-Steckdosen in einer Mall oder das von Touristen überschwemmte Rom
als Open-Air-Themenpark ablichtet.
In Vegas sieht man einige Obdachlose auf der Straße oder
„Fun-Service“-Dienstleister bei der Pause in der Raucherecke. Richtige
Bewohner:innen scheinen beide Städte nicht mehr zu haben, zumindest
nicht in diesem Buch.
26 Aug 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Jochen Becker
## TAGS
zeitgenössische Fotografie
Architektur
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Tourismus
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