Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Intendant über das Musikfest Bremen: „Wichtig ist der Spirit“
> Zwischen Jever und Petersburg, zwischen Mittelalter und heute:
> Festivalchef Thomas Albert über musikalische Querverbindungen beim Bremer
> Musikfest.
Bild: Lassen den Jazz-Funk der Siebziger wieder aufleben: Das französische Tri…
taz: Herr Albert, nach dem Vorabkonzert mit Daniel Barenboims West-Eastern
Divan Orchestra erklingen demnächst „mediterrane Klangzaubereien“. Eine
weitere Ost-West-Verbindung?
Thomas Albert: In der Tat verbinden der israelische Mandolinist und der
mazedonisch-amerikanische Klarinettist Ismail Lumanowski – Spezialist für
Musik des Balkans, der Türkei und des Mittleren Ostens sowie Leiter der New
York Gipsy All Stars – multiple kulturelle Einflüsse. Aber der politische
Aspekt ist hier nicht entscheidend. Beim nun schon 35. Musikfest Bremen
geht es um das Verbindende, das Überraschende, den Spirit. Nicht um das
Label.
taz: Aber die Mittelmeer-Anrainer bilden per se einen musikalisch und
politisch vielstimmigen Raum.
Albert: Ja, es war immer ein Melting Pot von Einflüssen, von
Handelsverbindungen, in deren Gefolge Kulturen aufeinanderprallten und sich
austauschten. Nordafrika und Europa zum Beispiel oder die
spanisch-italienisch-türkisch-griechische Handelsroute. Ich halte das
südliche Mittelmeer für eine der spannendsten Regionen, deren
jahrhundertealte musikalische Verbindungen der Gambist und
Alte-Musik-Spezialist [1][Jordi Savall], in der Vergangenheit mehrfach bei
uns zu Gast, eindrücklich vor Augen führt. In diesem Jahr wird unter
anderem das belgische Vokalensemble Vox Luminis diese Wechselbeziehung
aufzeigen.
taz: Inwiefern?
Albert: Die MusikerInnen präsentieren Werke des zu Lebzeiten berühmtesten
spanischen Komponisten Cristóbal de Morales (1500–1553). Zehn Jahre seines
Lebens verbrachte er in Rom – als Sänger in der päpstlichen Kapelle und als
Komponist etlicher geistlicher Werke, die gekonnt römische und spanische
Elemente verbinden.
taz: Und welche Querverbindungen wird das armenische Naghash-Ensemble
enthüllen?
Albert: Diese Ensemble, das mit Stimmen, dem Oud, diversen Trommeln und dem
Flügel arbeitet, ist nach dem mittelalterlichen Dichter und Priester
Mkrtich Naghash (1394–1470) benannt. Weil er in Amida – dem türkischen
Diyarbakır – eine Kirche gebaut haben soll, deren Turm höher war als die
Moscheen, musste Naghash ins Exil gehen, wo er 15 Gedichte über Einsamkeit
und Glauben schrieb. Das Naghash Ensemble präsentiert sie als „Songs of
Exile“, vertont von John Hodian, nach eigenem Bekunden armenischstämmiger
Enkel von Überlebenden des [2][Völkermords]. Er hat eine ergreifende
Synthese aus christlich-mittelalterlichen Klängen, Neuer Musik, Rock und
Pop geschaffen.
taz: Was verbirgt sich hinter dem „Atelier Katharinas Hofmusik“?
Albert: Wie schon im vorigen Jahr erarbeiten internationale KünstlerInnen
in einwöchigen Ateliers anhand alter Editionen in der Schlossbibliothek
Jever ein Konzert mit barocker Vokalmusik, diesmal eine frühe Kantate von
Händel.
taz: Was verbindet Katharina die Große mit Jever?
Albert: Die russische Zarin war eine Prinzessin des Hauses Anhalt-Zerbst
und erbte 1792 das Jeverland, über das sie bis 1795 herrschte. Sie hatte
zwar vermutlich keine eigene Hofkapelle, war aber eine große Förderin von
Musik – weshalb ihre Bibliothek viele Kammermusik-Editionen von
Barockkomponisten birgt. Diesen Schatz möchten wir Stück für Stück heben,
indem die MusikerInnen diese Quellen studieren und die Werke aufführen.
taz: Und wer war Hermann Allmers, in dessen Haus Sie ein Kammerkonzert
anbieten?
Albert: [3][Allmers] (1821–1902) war der damals populärste Marschendichter,
der sein Haus in Rechenfleth in einem interessanten Stilmix gestaltete: Der
Antikensaal etwa ist im Stil des italienischen 18. Jahrhunderts gehalten,
mit Statuen wichtiger Persönlichkeiten. Der Marschensaal wiederum huldigt
den Marschendichtern inklusive einiger Gemälde von Allmers. Allmers selbst
stammte aus einer betuchten bäuerlichen Familie, war gut gebildet, reiste
durch Europa und pflegte Kontakt zu Persönlichkeiten der europäischen Elite
– etwa mit Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), dem Archäologen und
Kunsthistoriker der Aufklärung. In seinem Haus, der zugehörigen
Kunstscheune und dem Garten planen wir ein Wandelkonzert mit Werken von
Liszt, Brahms und Ives, angelegt wie ein musikalisches Sommerfest, wie es
vielleicht Allmers gegeben hätte.
taz: Kommen wir zum Organisatorischen: Sind Auslastung und Gagen wieder auf
Vor-Corona-Niveau?
Albert: Die Hoffnung, dass sich die Gagen der MusikerInnen etwas nach unten
relativieren würden, ist bei einigen der vernünftigeren Partner
festzustellen, um es diplomatisch zu formulieren. Die Furcht, das Publikum
zu verlieren, war dagegen unbegründet: Die Menschen kommen zurück mit einem
großen Hunger, interessante Dinge zu erleben. Leider stehen den Einnahmen
große Kostensteigerungen bei allen Dienstleistungen entgegen. Das
Bewusstsein dafür ist allerdings gewachsen: Bevor die Lampen ausgehen oder
etwas gar nicht stattfindet, bemühen sich alle, Dinge möglich zu machen –
durch Umschichtungen, neue Partnerschaften oder Sponsoren. Damit die
MusikerInnen wieder Geld verdienen können, seit die Coronaförderungen aus
Berlin ausgelaufen sind.
taz: Und wie entwickelt sich der ökologische Fußabdruck des Musikfestes?
Albert: Wir können und wollen niemandem verbieten zu fliegen. Und wir
werden weiterhin MusikerInnen etwa aus den USA einladen, das gehört zum
Kulturaustausch einfach dazu. Aber ein Orchester aus Frankreich reist heute
eher per Bus als mit dem Flugzeug, und MusikerInnen bilden vermehrt
Fahrgemeinschaften. Ich glaube, die Notwendigkeit, [4][klimafreundlich] zu
reisen, ist bei allen angekommen, vor allem bei der jüngeren Generation.
16 Aug 2024
## LINKS
[1] /Festival-in-Barcelona/!5999092
[2] /Autorin-ueber-Genozid-Aufarbeitung/!6003640
[3] /Archiv-Suche/!6026715&s=Hermann+Allmers&SuchRahmen=Print/
[4] /Forscher-ueber-CO-Zertifikate/!5987081
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Musikfest Berlin
Barock
Konzert
Schwerpunkt Coronavirus
Ökologischer Fußabdruck
Klassik
Barock
Andalusien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Musikfest-Chef über sinkende Gagen: „Es wird eine Umverteilung geben“
Thomas Albert rechnet damit, dass mit den Zuschauerzahlen auch die Gagen
der Stars sinken werden. Daraus ergebe sich eine Chance für den Nachwuchs.
Kneipenmusik beim Musikfest Bremen: „Kirchenmusiker in Pubs“
Kneipenmusik des englischen Barock: der norwegische Violinist Bjarte Eike
über einen besonderen Moment der Musikgeschichte.
Musikfest Bremen startet mit Totenklage: Politischer Flamenco nach Barcelona
Gitarrist Pablo Sáinz Villegas funktioniert beim Musikfest Bremen ein
gefälliges Werk zur Totenklage um und erinnert an die jahrhundertelange
religiöse Toleranz im maurischen Spanien
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.