# taz.de -- G20-Prozess in Hamburg: Im Schwarzen Block wird gespitzelt | |
> Haben V-Personen Teilnehmende der G20-Proteste angestiftet? Für den | |
> Rondenbarg-Prozess wäre das laut Verteidigung ein Einstellungsgrund. | |
Bild: Wie viele Spitzel sind wohl im Schwarzen Block? | |
Hamburg taz | V-Personen des Verfassungsschutzes könnten den | |
Rondenbarg-Prozess zum Einsturz bringen. Wie in der Hauptverhandlung | |
bestätigt wurde, hatte das [1][niedersächsische Landesamt für | |
Verfassungsschutz] mehrere V-Personen bei den Protesten gegen den | |
G20-Gipfel im Juli 2017 im Einsatz. | |
Das hatte der Abteilungsleiter Linksextremismus des niedersächsischen | |
Landesamtes, Marc-Alexander Schindelar, Ende Juli im Prozess ausgesagt. Die | |
Information ist zwar nicht überraschend, aber aufgrund der | |
Rechtskonstruktion, die eventuell zur Verurteilung der beiden Angeklagten | |
G20-Gegner*innen führen wird, könnte es für die Richterin zum Problem | |
werden. | |
Die Kammer hatte die Anwesenden in einer der letzten Sitzungen des nun | |
schon seit Januar andauernden Prozesses darüber informiert, dass sie eine | |
Verurteilung in Erwägung ziehe, bei der sie die Angeklagten „nur“ wegen | |
Beihilfe zu Straftaten schuldig sprechen würde. | |
Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft ihnen schweren Landfriedensbruch, | |
tätlichen Angriff, versuchte gefährliche Körperverletzung, Bildung einer | |
bewaffneten Gruppe und Sachbeschädigung vorgeworfen, [2][ohne ihnen | |
individuelle Taten zuzuweisen]. Im Laufe des Verfahrens bröckelten alle | |
Vorwürfe, bis auf den des schweren Landfriedensbruchs weg. Doch auch der | |
lässt sich nur noch schwer halten. In Betracht komme nun, so die Richterin, | |
aber auch ein Schuldspruch wegen Beihilfe zu schwerem Landfriedensbruch. | |
## Von „Taten“ zu sprechen, ist gewagt | |
Und die könnte so ausgesehen haben: Durch ihre Anwesenheit und das Tragen | |
szenetypischer Kleidung sollen die G20-Gegner*innen andere zu ihren Taten | |
ermutigt und ihnen das Verschwinden in der Masse ermöglicht haben. Von | |
„Taten“ zu sprechen, ist allerdings einigermaßen gewagt. Am Rande der | |
Demonstration war ein geringer Sachschaden entstanden – zerbrochene | |
Gehwegplatten und Mülleimer waren auf die Straße gezerrt, der | |
Fahrplanhalter einer Bushaltestelle beschädigt worden. | |
Aus der Demo wurden außerdem Steine und Böller in Richtung der Polizei | |
geworfen, trafen jedoch niemanden. Dieser Steinbewurf ist jedoch für die | |
Verhandlung irrelevant, weil er zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem niemand | |
mehr die Demo verlassen konnte, weil sie von vorn und hinten von zwei | |
Polizeieinheiten angegriffen wurde. Innerhalb von Sekunden zerlegten die | |
Polizist*innen die Demo und nahmen Teilnehmer*innen fest. Für eine | |
mögliche Schuld der Angeklagten ist nur relevant, ob die Demo schon | |
unfriedlich war, als sie sie noch hätten verlassen können. | |
In den bisher 21 Verhandlungstagen, zu denen die beiden Angeklagten immer | |
stundenlang anreisen müssen, ging es vor allem um die Fragen: War die | |
Versammlung eine vom Versammlungsrecht geschützte Demo oder ein geschützter | |
Protestzug im Rahmen der Fünf-Finger-Taktik, mit denen Protestierende die | |
Zufahrtswege der G20-Staatschef*innen lahmlegen wollten? Oder war es ein | |
auf Chaos und [3][Zerstörung ausgerichteter Schwarzer Block] wie in der | |
Elbchaussee? | |
## Bloße Teilnahme am Schwarzen Block nicht strafbar | |
Auch die bloße Teilnahme an einem Schwarzen Block ist nach bisheriger | |
Rechtsprechung nicht strafbar. Sollte die Kammer die Angeklagten dennoch | |
verurteilen, wäre das eine gravierende Änderung der gängigen | |
Rechtsauslegung. | |
Doch die Verteidiger*innen wiesen am Donnerstag auf ein Problem hin: | |
Wenn das bedrohliche Szenario, zu dem die Angeklagten beigetragen haben | |
sollen, durch Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes mitgestaltet | |
wurde, wäre es höchst problematisch, die Demonstrant*innen dafür zu | |
verurteilen. „Wir müssen ausschließen, dass staatlich bezahlte Akteure das | |
Bedrohungsszenario mitgestaltet haben, für das andere bestraft werden | |
sollen“, sagte Verteidiger Sven Richwin. Die V-Personen hätten sonst – | |
genau wie die Angeklagten – durch ihre stille Solidaritätsbekundung und das | |
Tragen szenetypischer Kleidung Beihilfe geleistet. | |
Eine solche aktive Teilnahme an kriminellen Handlungen wäre eine | |
rechtsstaatswidrige Tatprovokation. Der Anwalt Adrian Wedel sagte: „Das | |
wäre ein rechtsstaatswidriges Verfahrenshindernis und müsste zur | |
Einstellung des Verfahrens führen“ – die die Verteidigung sogleich | |
beantragte. | |
## Waren V-Personen in der Rondenbarg-Demo? | |
Aber waren die V-Personen aus Niedersachsen – und vermutlich weiteren | |
Bundesländern – wirklich in der Rondenbarg-Demo? Der Abteilungsleiter des | |
niedersächsischen Verfassungsschutzes hatte das in seiner Zeugenbefragung | |
nicht verraten. So konkrete Angaben seien von seiner Aussagegenehmigung | |
nicht gedeckt, gab er an. | |
Aus Sicht der Verteidigung spricht aber einiges dafür. So befanden sich | |
unter den am Rondenbarg Festgenommenen der Hamburger Halil Simsek, den der | |
Verfassungsschutz vor Gipfel-Beginn als einen von drei | |
Hauptorganisator*innen des Protestes im Internet geoutet hatte. | |
Unwahrscheinlich, dass die Spitzel sich während der Proteste nicht an seine | |
Fersen hefteten. | |
Zudem befanden sich unter den Festgenommenen bekannte Göttinger Linke – für | |
die sich niedersächsische Verfassungsschützer ebenfalls interessiert haben | |
dürften. Ende 2018 enttarnten Göttinger Aktivist*innen den V-Mann | |
Gerrit Greimann, der als Spitzel an den Protesten teilgenommen hatte. | |
Zweifelsfrei feststellen, ob Greimann und andere wirklich an der | |
Rondenbarg-Demo teilnahmen, konnte das Gericht bisher aber nicht – wegen | |
der beschränkten Aussagegenehmigung des VS-Abteilungsleiters Schindelar. | |
Die Verteidigung forderte per Eilverfahren das Verwaltungsgericht Hannover | |
auf, für Schindelar eine erweiterte Aussagegenehmigung anzuordnen. | |
Bis zum nächsten Termin am 26. August könnte dort eine Entscheidung | |
ergangen sein – dann müsste Schindelar noch mal aussagen. Falls das nicht | |
passiert, deutete die Richterin allerdings schon an, dass sie den Prozess | |
zu Ende bringen will – notfalls auch, ohne den Zweifel über die Beteiligung | |
der V-Personen auszuräumen. Ein Urteil soll am 3. September ergehen. | |
15 Aug 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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