# taz.de -- G20-Proteste in Hamburg vor Gericht: „Schwarzer Block“ im Mitte… | |
> Waren G20-Gegner*innen am Rondenbarg Teil einer Demo oder gewaltbereite | |
> Störer*innen? Für den Ausgang des Prozesses ist das entscheidend. | |
Bild: So sieht er aus, der „Schwarze Block“, aber gehörten die Demonstrier… | |
HAMBURG taz | „Was ist eigentlich der Schwarze Block?“, ist das Erste, was | |
die Richterin Sonja Boddin von dem Bremer Protestforscher Sebastian Haunss | |
wissen will. Es ist der zwölfte Verhandlungstag [1][im | |
G20-Rondenbarg-Prozess] und Haunss ist als Sachverständiger am Hamburger | |
Landgericht geladen. | |
Haunss hat mit anderen Wissenschaftler*innen im Rahmen des groß | |
angelegten Forschungsprojekts „Mapping #NoG20“ die Proteste gegen den | |
G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg analysiert. | |
„Der Schwarze Block ist eine Demonstrationstaktik“, sagt der | |
Wissenschaftler. Die Hauptfunktion sei die symbolische Kommunikation nach | |
außen: Sie drücke die Radikalität des eigenen Handelns aus und | |
signalisiere, man sei in der Lage, sich zu wehren – ohne dass es regelhaft | |
dazu komme. „Militanz ohne Militanz“, sei eine passende Formel dafür, sagt | |
Haunss. | |
Die Konfrontation mit der Polizei nähmen Teilnehmer*innen in Kauf, | |
suchten sie aber nicht, da sie dabei nur verlieren könnten. Für das | |
Geschehen am 7. Juli 2017 am Rondenbarg halte er den Begriff „Schwarzer | |
Block“ aber nicht für zutreffend. | |
Damals waren rund 200 Personen am frühen Morgen vom Protestcamp Richtung | |
Innenstadt gestartet und in der Straße Rondenbarg in einem Hamburger | |
Industriegebiet auf zwei Polizeieinheiten gestoßen. Innerhalb weniger | |
Minuten zerlegten Einheiten aus Eutin und dem baden-württembergischen | |
Blumberg die Demonstration. Das Ergebnis waren 14 schwer verletzte und 70 | |
festgenommene Demonstrant*innen. Im Januar eröffnete das Gericht das | |
Verfahren gegen sechs Angeklagte. Mittlerweile sind nur noch zwei übrig. | |
Zwei Angeklagte hatten einen Deal der Staatsanwaltschaft angenommen und | |
sich grundsätzlich von Gewalt distanziert, sowie eine Geldstrafe von 300 | |
beziehungsweise 600 Euro bezahlt. Für sie ist der Prozess damit zu Ende. | |
Gegenüber einer anderen Angeklagten wurde die Verhandlung aus persönlichen | |
Gründen ausgesetzt und ihr Verfahren abgetrennt. Eine Person ist | |
untergetaucht, auch ihr Verfahren wurde abgetrennt. Übrig sind zwei | |
Angeklagte, die den Deal der Staatsanwaltschaft aus Überzeugung abgelehnt | |
haben. | |
## Nur noch ein Tatvorwurf übrig | |
Auch von den ursprünglichen Tatvorwürfen ist nur noch einer übrig: | |
Landfriedensbruch. Bei Erhebung der Anklage im Januar hatte die | |
Staatsanwaltschaft den Angeklagten zusätzlich noch tätlichen Angriff, | |
versuchte gefährliche Körperverletzung, Bildung einer bewaffneten Gruppe | |
und Sachbeschädigung vorgeworfen, ohne ihnen individuelle Taten | |
zuzurechnen. Doch die Beweisaufnahme verläuft bislang schleppend. | |
Die meisten Zeugen können sich fast sieben Jahre nach den Geschehnissen | |
kaum noch erinnern. Stein- und Böllerwürfe auf Polizist*innen sind auf | |
keinem der zahlreichen Beweisvideos dokumentiert. Von den Zeug*innen, die | |
bislang ausgesagt haben, will nur einer – ein Polizist aus Eutin – solche | |
Steinwürfe gesehen haben. | |
Die Frage, ob die G20-Gegner*innen am Rondenbarg Teil einer Demonstration | |
waren oder eine Gruppe Störer*innen, die darauf zielte, Polizeikräfte zu | |
binden und Schaden anzurichten, ist zentral für die Bewertung des | |
Geschehens. Die Staatsanwaltschaft führt die einheitliche schwarze Kleidung | |
und den Sachschaden – eine entglaste Bushaltestelle, auf die Straße | |
gezerrte Mülleimer und Baumaterialien – als Belege für den kriminellen | |
Charakter der Gruppe an. | |
Die Verteidigung argumentiert, die Gruppe sei [2][Teil der sogenannten | |
Finger-Taktik gewesen], nach der am betreffenden Morgen im Juli 2017 | |
mehrere Gruppen an unterschiedlichen Treffpunkten in Richtung Hamburger | |
Innenstadt gelaufen seien. | |
Die Fingertaktik wurde bei den Castor-Protesten entwickelt und zielt | |
darauf, sich aufzuteilen, um Polizeiketten besser zu überwinden. Die Finger | |
unterscheiden sich meist farblich anhand ihrer politischen Ausrichtung: | |
lila für queerfeministisch, grün für klimabewegt, rot für kommunistisch. | |
Und, wie Haunss sagt, im Falle der Rondenbarg-Gruppe, eben schwarz für | |
anarchistisch oder autonom. | |
## Mitgefangen – aber auch mitgehangen? | |
Für den Prozess ist diese Frage deshalb so relevant, weil die Gruppe damit | |
als politische Demonstration vom Versammlungsrecht geschützt wäre. | |
Demonstrant*innen wegen Landfriedensbruchs zu bestrafen, obwohl sie | |
selbst keine Gewalt verübt haben, ist nach bisheriger Rechtsauffassung | |
nicht vorgesehen, eine Strafe nach dem „Mitgefangen-Mitgehangen-Prinzip“ | |
ist seit der Liberalisierung des Versammlungsrechts in den 70er-Jahren | |
eigentlich nicht möglich. | |
Für einen Protestzug wie den an der Elbchaussee, wo G20-Gegner*innen von | |
der Polizei ungestört großen Sachschaden anrichteten, gilt das nicht, | |
[3][hatte eine andere Kammer im Jahr 2020 geurteilt]. Die | |
Teilnehmer*innen hätten sich damals dem Schwarzen Block angeschlossen, | |
um „psychische Beihilfe“ zu Gewalttaten zu leisten und Einzelnen zu | |
ermöglichen, in der Masse unterzutauchen. | |
Am Rondenbarg seien die Vorzeichen ganz andere gewesen, sagt Haunss dem | |
Gericht. Die Teilnehmer*innen der verschiedenfarbigen Demo-Finger | |
hätten sich hinter einem Aktionskonsens versammelt, der vorher | |
veröffentlicht worden war und ein Kernelement der Fingertaktik darstelle. | |
## Aktionskonsens schloss Eskalation aus | |
„Wir werden auf die Orte des Gipfeltreffens zuströmen und sie mit unseren | |
Körpern und kreativ eingesetzten Materialien blockieren“, steht darin. „Von | |
uns wird keine Eskalation ausgehen“, zitiert Haunss [4][aus dem noch immer | |
im Internet einsehbaren Aktionskonsens.] Für ihn ist eindeutig: Die Gruppe | |
am Rondenbarg war der schwarze Finger. | |
Der Vertreterin der Staatsanwaltschaft reicht das nicht. Hätte man nicht | |
mit der Wahl der Farbe schwarz eine gewisse Gewaltbereitschaft | |
ausgedrückt?, fragt die Vertreterin. Und stellt in den Raum: „Ob die Gruppe | |
vielleicht Polizeikräfte binden wollte, um dem Schwarzen Block an der | |
Elbchaussee Ungestörtheit zu ermöglichen?“ „Das halte ich für eine sehr | |
wilde Theorie“, entgegnet Haunss. Allein aus der schwarzen Kleidung eine | |
Gesinnung zur Gewaltbereitschaft abzuleiten, sei falsch. | |
Der Prozess vor dem Hamburger Landgericht wird wohl früher als ursprünglich | |
geplant zu Ende gehen. Nach dem Ausscheiden der Mehrzahl der Angeklagten | |
entschlackte die Richterin das Beweisprogramm und will schon im Juni statt | |
im August zu einer Entscheidung kommen. | |
12 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /G20-Proteste-in-Hamburg-vor-Gericht/!5984093 | |
[2] /Ziviler-Ungehorsam-der-Klimabewegung/!5858374 | |
[3] /Elbchaussee-Prozess-in-Hamburg/!5694475 | |
[4] http://www.blockg20.org/aktionsbild/ | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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