# taz.de -- Elbchaussee-Prozess in Hamburg: Auf keiner Seite ein Erfolg | |
> Im G20-Prozess sind am Freitag fünf Männer verurteilt worden. Richterin | |
> Meier-Göring äußerte sich kritisch gegenüber der Staatsanwaltschaft. | |
Bild: Rauch über Hamburg: Während des G20-Gipfels brannten in der Elbchaussee… | |
HAMBURG taz | Selten habe die Wahrheit in einem Gerichtsverfahren so sehr | |
in der Mitte gelegen, wie im [1][Elbchaussee-Prozess], konstatierte die | |
vorsitzende Richterin des Hamburger Landgerichts, Anne Meier-Göring, als | |
sie am Freitag Morgen das Urteil verkündete. Entsprechend im mittleren | |
Bereich befindet sich auch das Strafmaß: Zwei Angeklagte aus Hessen, die | |
zum Tatzeitpunkt minderjährig waren, kommen mit Arbeitsauflagen davon, die | |
beiden anderen Hessen mit Bewährungsstrafen. Der [2][französische | |
Angeklagte Loïc S.] wird zu drei Jahren Haft verurteilt. | |
Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen vorgeworfen, sich am Morgen des 7. Juli | |
2017 im Rahmen des G20-Protests an den Ausschreitungen in der Elbchaussee | |
beteiligt zu haben. Rund 200 Personen waren etwa eine halbe Stunde lang von | |
der Polizei unbehelligt durch das Reichenviertel gezogen und hatten massive | |
Sachschäden angerichtet. Sie setzten Autos und Mülleimer in Brand und | |
schlugen Scheiben von Geschäften und einem Wohnhaus ein. Zudem wurde die | |
Tür eines Linienbusses beschädigt, in dem sich verschreckte Fahrgäste | |
befanden. | |
Doch trotz der wohl aufwendigsten Öffentlichkeitsfahndung der | |
Polizeigeschichte war es den Ermittler*innen nicht gelungen, die | |
tatsächlichen Brandstifter*innen und Steinwerfer*innen zu erwischen. Die | |
fünf Angeklagten waren zwar dabei, richteten aber, so sieht es auch die | |
Staatsanwaltschaft, persönlich keinen Schaden an – bis auf einen Böllerwurf | |
durch Loïc S. Ihm rechnet das Gericht außerdem vier Stein- und | |
Flaschenwürfe im Schanzenviertel zu. | |
Trotzdem forderte der Staatsanwalt, den Angeklagten alle aus der | |
Demonstration verübten Taten und den gesamten Sachschaden von geschätzt | |
einer Million Euro zuzuschreiben. Der Aufzug sei arbeitsteilig organisiert | |
und auf größtmögliche Zerstörung ausgerichtet gewesen – deshalb seien alle | |
für alles haftbar zu machen. Es wäre ein neues Kapitel Rechtsgeschichte | |
gewesen. | |
Kritische Worte zur Staatsanwaltschaft | |
Doch Meier-Göring folgte dieser Rechtsauslegung nur in Teilen. Die | |
vermummten Angeklagten hätten sich dem Schwarzen Block angeschlossen, um | |
sich mit der Gewalt, die von einem schwarzen Block normalerweise ausgehe, | |
zu solidarisieren und psychische Beihilfe zu leisten. Deshalb machten sie | |
sich des Landfriedensbruchs und der Beihilfe zu Brandstiftungen schuldig. | |
Mit den Angriffen auf das Wohnhaus und den Linienbus hätten sie jedoch | |
nicht rechnen können, da es für solche Aktionen in linken Kreisen keinen | |
Konsens gäbe. | |
Mit deutlichen Worten wendete sich die Richterin an die Staatsanwaltschaft | |
und den ersten Strafsenat des Oberlandesgerichts. „Sie haben politische | |
Stimmungsmache gegen die Kammer und die Angeklagten betrieben“, so der | |
Vorwurf der Richterin. Die Staatsanwaltschaft hatte die Kammer zu Beginn | |
des Verfahrens als „zu milde“ abgelehnt. Meier-Göring ist dafür bekannt, | |
polizeiliche Ermittlungen kritisch zu hinterfragen. Bereits im Verlauf des | |
Prozesses kritisierte sie die Polizeiarbeit scharf. Auf das Wort der | |
Hamburger Sonderkommission „Schwarzer Block“ sei kein Verlass, hatte die | |
Richterin im Laufe der Zeugenbefragungen festgestellt. | |
Die Behauptung der Staatsanwaltschaft und des Oberlandesgerichts, der | |
Aufzug sei genau durchgeplant und paramilitärisch organisiert gewesen, sei | |
ein juristischer Trick gewesen, eine Mär, die mit der Beweisaufnahme nichts | |
zu tun habe, so Meier-Göring. Zwischen den Zeilen schwingt mit: Die | |
Staatsanwaltschaft habe sich nicht dafür interessiert, was die | |
Beweisaufnahme ergab. Sie hatte ihre politische Agenda. | |
Trotz des relativ milden Urteils für die hessischen Angeklagten ist das | |
Urteil auch für die Verteidigung kein Erfolg. Alle Verteidiger*innen hatten | |
auf Freispruch plädiert: Ihre Mandanten hätten lediglich ihr Grundrecht auf | |
Versammlung ausüben wollen. Es wäre Aufgabe der Polizei gewesen, eine | |
friedliche Versammlung zu ermöglichen, so die Verteidigung. | |
Mit dem Urteil ist einer der letzten großen Komplexe in der juristischen | |
Aufarbeitung der G20-Proteste zu Ende gegangen – vorerst. Die | |
Staatsanwaltschaft hat bereits durchklingen lassen, dass sie ein | |
niedrigeres Urteil als die geforderten Haftstrafen von zweieinhalb und drei | |
Jahren für die Hessen und knapp fünf Jahren für Loïc S. nicht akzeptieren | |
würde. Dann muss die letzte Instanz entscheiden: Der Bundesgerichtshof. | |
10 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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