# taz.de -- Disney+-Serie „The Bear“: Ein Bär im Winterschlaf | |
> In der dritten Staffel der Restaurant-Serie „The Bear“ scheinen die | |
> Figuren mehr zu leiden als zu kochen. Warum es sich dennoch lohnt, sie | |
> anzuschauen. | |
Bild: Gestresstes Duo: Jeremy Allen White als Chefkoch Carmen „Carmy“ Berza… | |
Mutig ist das Wort, das die dritte Staffel [1][„The Bear“] wohl am besten | |
beschreibt. Die ersten beiden Staffeln der Serie über ein Chicagoer | |
Restaurant wurden mit etlichen Preisen ausgezeichnet. Die dritte startet | |
auf völlig andere Weise. Nicht nur für [2][„The Bear“], für Serien | |
überhaupt. Unterlegt mit atmosphärischer Musik reihen sich in Folge 1 | |
Rückblicke aneinander. Sie geben Einblick in die Psyche von Carmen Berzatto | |
(Jeremy Allen White), dem Koch, Restaurantchef und Protagonisten. | |
Bilder vom Schneiden, Kochen, Braten, Ernten, von echten Szenen aus | |
Chicago, frischem Obst, Gemüse, Fisch, Bilder davon, wie Teig geknetet und | |
Essen auf Tellern angerichtet wird. Die Grenzen zwischen Realität und | |
Fiktion verschwimmen. Man fühlt sich beim Zusehen fast wie in Trance. | |
Das Risiko, auf solch unkonventionelle Art die Staffel zu eröffnen, lohnt | |
sich: Die erste Folge ist beeindruckend, wirkt fast wie ein Musikvideo. | |
Dennoch ist sie ein schlechtes Omen für den Rest der Staffel. Sie wird, wie | |
die erste Folge, handlungsarm bleiben und ein Großteil der Figuren wird in | |
Erinnerungen festhängen. | |
Nachdem der [3][Sternekoch] Carmen, oder Carmy wie ihn alle nennen, den | |
Sandwichladen „The Beef“ seines verstorbenen Bruders Mikey (Jon Bernthal) | |
übernahm und ihn in ein gehobenes Restaurant namens „The Bear“ verwandelte, | |
geht es in Staffel 3 darum, dass Carmy sich einen Stern erkochen will. Er | |
und sein Team streben mit ausgeklügelten Menüs, den besten Produkten und | |
raffinierten Kochtechniken kulinarische Exzellenz an. Doch dabei verwandelt | |
sich das Restaurant in einen toxischen Arbeitsort. Zwischenmenschliches | |
bleibt auf der Strecke. | |
Besonders die Beziehung zu Sydney (Ayo Edebiri), Carmys Geschäftspartnerin | |
und Sous-Chefin, kühlt aus. Es gelingt ihnen nicht mal mehr, sich in der | |
Küche zu inspirieren. Jeder scheint in der eigenen mentalen Blase gefangen | |
zu sein. Carmy ist traumatisiert vom Selbstmord seines Bruders und kommt | |
nicht über seine Ex Claire hinweg. | |
## PDF-Dokument-Trauma | |
Er hört mit dem Rauchen auf und hat neben dem Bruder- auch | |
Kühlschranktrauma, nachdem er sich im vorigen Staffelfinale dort | |
einsperrte. Sydney leidet unter PDF-Dokument-Trauma, denn das kann sie | |
nicht unterzeichnen, um vollwertige Geschäftspartnerin zu werden, auch weil | |
sie ein Jobangebot von einem anderen Restaurant bekommt. | |
Der Patissier Marcus (Lionel Boyce) ist deprimiert wegen des Todes seiner | |
Mutter. Auch Carmys Schwester, Natalie (Abby Elliott), hat Mutter-Trauma – | |
spätestens seit dem desaströsen Weihnachtsabend in „Fische“ (S2/E6) ist | |
klar, warum. Carmys Cousin, der Kellner Richie (Ebon Moss-Bachrach) ist | |
furchtbar einsam und alle sind konstant schlecht gelaunt. | |
Es mag dafür relevant sein, wie man die Charaktere versteht, doch es macht | |
nicht wirklich Spaß. Nur die Faks, Carmys Cousins, sorgen für ein bisschen | |
Heiterkeit. Leider machen sie das mit unerträglichem Slapstick, für den | |
viel zu viel Sendezeit geopfert wird, statt die Handlung etwas | |
voranzutreiben. | |
Sie sind wohl der einzige Grund, warum „The Bear“ theoretisch als Komödie | |
gilt. Dabei ist das einzig Lustige an der deprimierenden Serie, dass sie | |
als Komödie kategorisiert wurde. Obwohl es nur schleppend vorangeht, fühlt | |
man sich beim Zusehen oft gestresst. Das liegt nicht nur am ständigen | |
Rumschreien, „Hands!“, „Behind!“, „Shut the fuck up, Chef!“, auch am | |
Visuellen: Stellenweise sind die Aufnahmen regelrecht klaustrophobisch. Oft | |
verbringt man – wie auch in Staffel 2 – lange Szenen oder eine gesamte | |
Folge an einem einzigen Ort. | |
Hinzu kommen Ultranahaufnahmen, die einem jede einzelne Mikroexpression der | |
Schauspieler_innen zeigen. Ihre Leistungen sind weiterhin überragend. | |
Fantastisch ist die Folge „Ice Chips“, in der die schwangere Natalie | |
niemanden telefonisch erreichen kann, als die Wehen einsetzen und sie | |
gezwungen ist, ihre neurotische Mutter Donna (Jaime Lee Curtis) ins | |
Krankenhaus zu bestellen. | |
## Gentrifizierungsprojekt | |
40 TV-Minuten lang bringt einen das Drama im Kreißsaal mal zur Weißglut, | |
zum Lachen, dann zum Weinen, während man dabei zusieht, wie sich Mutter und | |
Tochter wieder annähern, nachdem sie eine Ewigkeit keinen Kontakt hatten. | |
Eins schmeckt wirklich bitter: „The Bear“ ist ein einziges | |
Gentrifizierungsprojekt. Charaktere wie Ibrahim, ein Sandwich-Macher, der | |
das kritisiert, werden einfach dargestellt, als sträubten sie sich vor | |
Veränderung. Die ehemaligen Kund_innen von „The Beef“ werden sich Carmys | |
175-Dollar-Menüs jedenfalls nicht leisten können. Ist „The Bear“ eine | |
Selbstbestätigung für Carmy oder eine Notwendigkeit, weil sich sein | |
kulinarisches Genie irgendwo materialisieren muss – koste es, was es wolle? | |
Staffel 3 und die finale Staffel 4 sollen am Stück gedreht worden sein. | |
Wenn die nächste sitzt, könnte es sein, dass man diese Staffel aus einer | |
anderen Perspektive betrachten kann, birgt sie doch viel Tiefe, viel | |
Vorbereitung und Antizipation. | |
Möglicherweise wird sie sich sogar zum Favoriten unter Fans entwickeln. | |
Gerade aber wirkt es so, als sei „The Bear“ im Winterschlaf. | |
13 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Valérie Catil | |
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