# taz.de -- Kampf gegen Rechtsextremismus in Berlin: Vorortidylle, AfD und Bür… | |
> In Blankenburg steht das „Braune Haus“. Vielen im Nordosten Berlins ist | |
> es ein Dorn im Auge. Auch Michaele Fuchs, die dort jeden Sonntag | |
> demonstriert. | |
Bild: Stabil: Blankenburgs „Netzwerk für Respekt, Toleranz und Vielfalt“ | |
Berlin taz | Das „Braune Haus“ ist eigentlich gelb. Michaele Fuchs nennt es | |
bloß so, weil es das Bürgerbüro der AfD Pankow ist. Die Rollladen sind | |
runtergelassen, der Pavillon vor dem Eingang angeschmort, Plastik hängt in | |
Fetzen herunter. Bis vor wenigen Tagen lag daneben noch das Wrack eines | |
verkohlten Autos, wahrscheinlich Brandstiftung. Gegenüber steht die | |
Dorfkirche, schon seit dem 13. Jahrhundert steht sie dort, im | |
20-Minuten-Takt hält ein Bus davor. | |
Jeden Sonntag blickt die Grundschullehrerin Michaele Fuchs hier am | |
Blankenburger Dorfanger auf die gelbe Fassade, hinter deren Glastür sich | |
nichts rührt. Fuchs hat eigentlich einen anderen Namen, den sie hier nicht | |
nennen möchte. | |
Mit dem [1][„Netzwerk für Respekt, Toleranz und Vielfalt Blankenburg“] will | |
sie die Nachbarschaft zusammenbringen, heute kommen etwa zwei Dutzend | |
Menschen. „Unser Dorf bleibt hell und bunt“, heißt es auf ihrem Banner. Zu | |
Beginn des Jahres gingen Hunderttausende gegen Rechtsextremismus auf die | |
Straße. Wer sind die Menschen, die dort immer noch stehen? | |
## Aufgeben ist keine Option | |
Michaele Fuchs trägt ein blaues Kleid und eine passende Spange im weißen | |
Haar, als wollte sie der AfD nicht nur den Platz am Dorfanger, sondern auch | |
ihre Farbe nehmen. Sie ist in Osnabrück aufgewachsen, katholische Familie, | |
ihr Vater bei der CDU. Nach der Kirche ging es immer zum Frühschoppen – | |
Alkohol am Vormittag, übersetzt sie, während sie auf ihrer Terrasse sitzt, | |
noch bevor sie loszieht zum Bürgerbüro. | |
„Es wurde geraucht, getrunken, und über Politik geredet, für die Kinder gab | |
es Salzstangen“, erinnert sie sich. Politik langweilte das Mädchen. Später | |
trug sie selbst gebatikte Malerhosen und Birkenstocksandalen, die damals | |
noch etwas bedeuteten, doch Schienen hat sie nie blockiert. Mutig fand sie | |
das, sich selbst nicht. | |
Heute sagt sie: Werfe ihr jemand einen Stein durchs Fenster, mache sie erst | |
recht weiter. Weiter damit, Wimpel zu basteln, Liedtexte zu kopieren und | |
sonntags vor dem „Braunen Haus“ aufzukreuzen. Obwohl Fuchs dachte, mit 57 | |
sei sie „raus aus dem Demoalter“. Die Signal-Gruppe des Netzwerks | |
Blankenburg sei kaum je still, „tonk, tonk, tonk“ macht Fuchs das Geräusch | |
der eintreffenden Nachrichten nach. | |
Politisches Engagement neben dem Grundschulunterricht, neben den Kindern | |
und Enkeln in ihrem Leben, das sei viel. Ob sie irgendwas dazu bringen | |
würde, aufzugeben? Sie schweigt lange, überlegt. Und sagt: „Dafür ist es | |
jetzt zu spät.“ | |
## Vermieter selbst der rechten AfD zu rechts | |
In dem Bürgerbüro der AfD Pankow war im November 2023 der österreichische | |
Rechtsextremist Martin Sellner zu Gast, [2][wie eine taz-Recherche zeigte]. | |
Der Vermieter des Hauses, Andreas Geithe, ist so rechts, dass sich sogar | |
die Berliner AfD von ihm distanzierte. „Am Montag nach der Europawahl | |
hätten wir alle heulen können“, sagt Fuchs. In Blankenburg hatten nur 39 | |
Prozent gewählt, [3][davon jeder fünfte die AfD]. | |
Blankenburg gehört zu Berlin, auch wenn man das schnell vergisst. Die | |
Vorortsiedlung im Nordosten ist voller Einfamilienhäuser. Eine der größten | |
Kleingartenanlagen des Landes liegt hier, darin wehen Deutschlandflaggen. | |
Michaele Fuchs gießt sich auf ihrer Terrasse selbst gemachten Eistee in ein | |
Glas. Im Garten steht ein Trampolin, hinter dem Rosenstrauch ein platt | |
gedrücktes Planschbecken. Zwei Luftballons schweben durchs Wohnzimmer, sie | |
bilden eine 11, es war Kindergeburtstag. Fuchs weiß, dass sie es hier gut | |
hat, sie spricht von „Privilegien“ und „unserem reichen Land“. | |
Aber sie erlebt auch, wie sich dieses Land anderen gegenüber verhält. Ihr | |
Schwiegersohn hat Uganda verlassen, weil er politisch verfolgt wurde. Der | |
direkte Nachbar grüße ihn nicht, ansonsten sei alles okay. Er werde bloß | |
öfter nach seinem Ausweis gefragt, seine Anträge bei den Ämtern langsamer | |
beantwortet als die seiner Frau. Man lässt ihn warten, rumstehen, | |
ausharren, so übersetzt sich Rassismus in den Alltag. | |
Die Sonne schiebt sich hinter dem Schirm hervor, strahlt Michaele Fuchs | |
jetzt auf den Kopf, den sie über all das schüttelt. Dann schultert sie | |
ihren blauen Gitarrenkoffer, es geht los. | |
## Angst macht Fuchs die Angst | |
Die Straße, an der ihr Haus liegt, hat keine Schattenseite, man muss durch | |
die Hitze. Einige Dächer tragen Solarpanels, ein Porsche parkt mit | |
angelassenem Motor in einer Einfahrt, auf einem Stromkasten steht FCK AFD. | |
Fuchs weiß nicht, wer hier rechts wählt. Angst macht ihr vor allem die | |
Angst: Dass sie, wenn sich eine Journalistin ankündigt, erst googelt, ob es | |
wirklich eine ist. Dass sie Kratzer auf dem Auto hat und nicht weiß, woher. | |
Dass sie sich fragt, ob ihre Enkelin mit dem Nachnamen des Schwiegersohns | |
später eine Wohnung findet. | |
„Ich will so nicht leben“, sagt sie, und das ist Grund genug, um sonntags | |
vor der gelben Fassade zu stehen, die Gitarre vor den Bauch gebunden. Fuchs | |
stimmt eine umgedichtete Version der Europahymne „Ode an die Freude“ an, | |
lauter Leute mit Schiebermützen und Cargo-Hosen singen auf dem Dorfanger: | |
„A-lle Men-schen sind Ge-schwis-ter“. | |
Den Schwung in Fuchs’ Stimme hört man über die anderen hinweg. An der | |
Bushaltestelle steigen Menschen aus und laufen weiter. Manchmal fährt ein | |
Auto vorbei, wirbelt den trockenen Staub auf. Die Rollladen des „Braunen | |
Hauses“ bleiben weiterhin unten. | |
8 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jolinde Hüchtker | |
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