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# taz.de -- Todesstrafe in Belarus: Minsker Märchenstunde
> In Belarus wurde ein Deutscher zum Tod verurteilt. Jetzt fleht er im
> belarussischen Staats-TV um Gnade. Nach wie vor bleibt der Fall nebulös.
Bild: Im belarussischen Staatsfernsehen vorgeführt: Der Deutsche Rico Krieger …
Berlin taz | Der Titel des Beitrages, der auf der Website des staatlichen
belarussischen Fernsehsenders Belarus 1 am Donnerstag dieser Woche über den
Äther geht, lautet: „Beichte eines deutschen Terroristen, der zum Tode
verurteilt ist.“ Zu sehen ist ein junger Mann, der in einem Raum hinter
Gitterstäben sitzt und Handschellen trägt.
Es soll sich um den deutschen Staatsbürger Rico Krieger handeln, und das
Urteil bereits im Juni ergangen sein. Einer von mehreren Vorwürfen lautet,
der Beschuldigte sei für eine Explosion an der Bahnstation Oserischtsche in
der Nähe der Hauptstadt Minsk verantwortlich.
Die Geschichte des deutschen Staatsbürgers Rico Krieger werde in den
Medien, auch im Ausland, rege diskutiert, heißt es in der Anmoderation des
Beitrages. Wann genau dieser erstellt wurde bleibt im Dunkeln. Da gebe es
viele unzuverlässige Informationen, Spekulationen, Manipulationen und
Versuche, diese Person als Opfer darzustellen, so der TV-Sprecher.
Die offiziellen deutschen Behörden schwiegen, aber Krieger sei „kein
zufälliges Opfer“, sondern ein „hoch motivierter Krimineller“. Er habe s…
vorsätzlich auf den Terroranschlag eingelassen, heißt es weiter.
Dann spricht Krieger, dessen Ausführungen ins Russische übersetzt werden.
Es ist ein öffentliches Mea Culpa, wie man es aus Belarus kennt. Vor einem
Jahr habe er die Entscheidung getroffen, sich in der Ukraine nützlich zu
machen.
Als Angehöriger des Sicherheitspersonals der US-Botschaft in Berlin habe er
Kenntnisse im Umgang mit Waffen erworben, jedoch auch als Rettungssanitäter
gearbeitet. Dann habe er Kontakt zu einem Regiment aufgenommen, sagt
Krieger. Im Falle seines Todes hätte seine Familie umgerechnet 420.000 Euro
erhalten sollen.
## Ukrainischer Geheimdienst als Auftraggeber
Von welchem Regiment genau Rico Krieger spricht, bleibt unklar. [1][Laut
der belarussischen Menschenrechtsorganisation Viasna (Frühling)], die in
der vergangenen Woche den Fall öffentlich gemacht hatte, könne es sich
dabei um das Kastus-Kalinouski-Regiment gehandelt haben – eine Gruppe von
Belarussen, die an der Seite Kyjiws in der Ukraine gegen die russischen
Besatzer kämpfen.
Laut Krieger habe ihn jemand mit dem ukrainischen Geheimdienst SBU in
Verbindung gebracht. Bei einem Gespräch sei ihm vorgeschlagen worden, sich
zwecks Erledigung wichtiger Aufgaben nach Minsk zu begeben. Eingereist sei
er per Flugzeug über Aserbaidschan.
Zunächst habe er Fotos von militärische Objekten in der Stadt Osipowitschi
gemacht und diese dann per Messenger verschickt. Am 5. Oktober habe er
einen Rucksack an der Bahnstation Oserischtsche deponieren müssen. Einen
Tag später sei er auf dem Minsker Flughafen festgenommen worden. „Ich habe
erst da erfahren, dass es eine Explosion gegeben hat, mehr wurde mir nicht
gesagt. Ich bedauere das alles“, sagt Krieger.
Laut Viasna habe Kriegers Prozess hinter verschlossenen Türen
stattgefunden. Er jedoch sagt, Diplomaten der deutschen Botschaft in Minsk
hätten den Gerichtsverhandlungen beigewohnt.
## Bitte um Begnadigung
„Jetzt fühle ich mich wie eine Art Giraffe, die gleich erschossen wird“,
sagt Krieger. „Die Regierung muss für mich kämpfen. Aber Deutschland will
keinen Kontakt zu Belarus aufnehmen. Jetzt arbeitet die Zeit gegen mich.
Das Urteil kann jederzeit vollstreckt werden.“ Am Ende bricht Krieger in
Tränen aus und bedauert das, was er getan habe. Er hoffe, dass Staatschef
Alexander Lukaschenko ihm verzeihe und ihn begnadige.
Laut Belarus Segodnja, Hauptorgan der gleichgeschalteten Presse in Belarus,
werden dem Deutschen neben Terrorismus auch noch Söldnertum, Spionage,
Bildung einer „extremistischen Formation“, illegale Handlungen im
Zusammenhang mit Schusswaffen und Sprengstoffen sowie vorsätzliche
Zerstörung eines Verkehrsobjektes zur Last gelegt. Das [2][Internetportal
Mediasona Belarus ] berichtete, Krieger habe sich eines Anklagepunktes,
nämlich der Spionage, schuldig bekannt.
Die Causa Krieger war am Freitag auch Thema der Regierungspressekonferenz
in Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „ist wie die ganze
Bundesregierung besorgt über die Vorgänge“, sagte Vize-Regierungssprecherin
Christiane Hoffmann. Zu dem belarussischen TV-Beitrag hieß es, es sei „in
Belarus wohl leider gängige Praxis, Menschen entsprechend auch in Videos
oder im Fernsehen vorzuführen“. Sie könne nur an die Regierung in Minsk
appellieren, „so etwas zu unterlassen“.
Was die sogenannten Vorgänge angeht gibt es derzeit weitaus mehr Fragen als
Antworten. Wird Rico Krieger konsularisch betreut? Wenn ja, wie sieht diese
Betreuung aus? Hat von deutscher Seite jemand direkten Zugang zu dem
Inhaftierten? Hält das Auswärtige Amt (AA) Kontakt zu Ricos Kriegers
Familie in Deutschland? Liegen dem AA Erkenntnisse darüber vor, wie Krieger
nach Belarus gelangt ist?
Eine entsprechende Anfrage der taz ließ das AA mit Verweis auf die oben
zitierten Ausführungen der Bundespressekonferenz am Freitag unbeantwortet.
## Auffällige Parallelen
Der Fall Krieger weist so einige Parallelen zu dem Schicksal des Belarussen
Roman Protassewisch auf. Der 29-Jährige frühere regimekritische Blogger und
Journalist war im Mai 2021 auf dem Rückflug von Athen in die litauische
Hauptstadt Vilnius, wo er damals im Exil lebte. Die Maschine der Ryanair
wurde [3][über dem belarussischen Luftraum abgefangen] und wegen einer
angeblichen Bombendrohung in Minsk zur Landung gezwungen.
Protassewisch wurde umgehend festgenommen. Bei mehreren Auftritten im
Staatsfernsehen – teilweise mit blauen Flecken im Gesicht – [4][gestand er
seine „Schuld“ und gab Ergebenheitsadressen für Lukaschenko ab].
Letztendlich wurde er begnadigt.
Belarus ist das einzige Land in Europa, [5][in dem die Todesstrafe noch
vollstreckt wird]. Nach Angaben der Weltkoalition gegen die Todesstrafe
(WCADP) wurden im Mai 2023 in Belarus vier Personen zum Tod verurteilt. Die
letzte bekannte Vollstreckung eines Todesurteils wurde im Jahr 2022
registriert. 2020 und 2021 wurde niemand hingerichtet.
26 Jul 2024
## LINKS
[1] /Ausstellung-ueber-Belarus/!6014637
[2] https://mediazonaby.com/
[3] /Nach-Entfuehrung-von-Roman-Protassewitsch/!5776551
[4] /Entfuehrter-Oppositioneller-in-Belarus/!5776475
[5] /Lukaschenko-gegen-Belarus/!5902071
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
Belarus
Todesstrafe
Menschenrechte
Social-Auswahl
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Schwerpunkt Krisenherd Belarus
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