| # taz.de -- Pflanzenökologin über Klimawandelfolgen: Die Wiese in der Krise | |
| > Gräser, Kräuter, Sträucher: In Experimenten zeigt Ökologin Lotte Korell, | |
| > wie sich Grünflächen im Klimawandel verändern, und sagt, was nun zu tun | |
| > wäre. | |
| Bild: Weidelgras wächst schnell und ist nahrhaft für Nutztiere – aber nur b… | |
| taz: Frau Korell, wenn Sie einen Ausflug ins Grüne machen – sehen Sie dann | |
| sofort, ob Sie an intensiv oder extensiv genutzten Wiesen vorbeiradeln? | |
| Lotte Korell: Ja, das ist nicht so schwer. Gerade jetzt im Sommer ist | |
| extensiv genutztes Grünland gut zu erkennen. Da wachsen viele | |
| unterschiedliche Gräser und Kräuter, diese Wiesen sind bunt. Auf intensiv | |
| genutzten Wiesen stehen meist nur ein paar wenige Gräser wie das | |
| Wiesenknäuelgras und Weidelgras. Dazwischen wachsen vielleicht noch ein | |
| paar Hülsenfrüchte wie der Wiesenklee, das war es dann… | |
| … und auf extensiv genutzten Wiesen? | |
| Auf unseren Versuchsflächen sind es über 50 Gräser und Kräuter. Das ist | |
| abhängig vom jeweiligen Standort, auf einem Halbtrockenrasen etwa wachsen | |
| typischerweise die aufrechte Trespe, Skabiosen oder Flockenblumen. Auf | |
| feuchten Standorten sind es vielleicht Flutender Schwaden oder | |
| Kuckucks-Lichtnelke. Am schönsten sind Bergwiesen, mit Klapperkopf, | |
| Storchschnabel oder Teufelskralle. | |
| Diese Vielfalt ist weniger produktiv als die wenigen Arten für intensiv | |
| genutzte Wiesen? | |
| Unter optimalen Bedingungen ist das so. Weidelgras, Knäuelgras und so | |
| weiter sind sehr produktive Arten, die sind auf hohe Erträge gezüchtet. Man | |
| kann sie vier mal im Jahr mähen und danach auch jedesmal mit mineralischem | |
| [1][Dünger] düngen; sie wachsen dann schnell und kräftig nach. Wenn, wie | |
| beispielsweise in diesem Jahr, das Wetter relativ feucht ist und optimale | |
| Wachstumsbedingungen herrschen, dann garantieren sie den Landwirten einen | |
| hohen Ertrag – darum ist es ja auch jahrzehntelange Praxis, diese Sorten | |
| anzubauen. | |
| Wann bereiten den [2][Landwirten] Weidelgras und Knäuelgras Probleme? | |
| Wenn es im Zuge des Klimawandels zu Extremereignissen kommt, etwa zu langen | |
| Hitze- und Trockenperioden. Damit kommen die intensiven Grasländer nicht | |
| klar. Wie häufig in der Natur, gibt es hier einen Zielkonflikt: Die | |
| Grasarten sind sehr wachstumsstark, dafür aber nicht so trockenresistent. | |
| Pflanzen investieren in unterschiedliche Strategien, also entweder in eine | |
| hohe Produktivität oder in Trockenresistenz. Beides geht nicht. Die Wiesen | |
| vertrocknen also schneller, und dann kommen die typischen Wildkräuter wie | |
| Vogelmiere und Hirtentäschel. Die haben die Bauern nicht gerne auf ihren | |
| Wiesen, denn ihre Futterqualität ist schlecht, oder sie sind sogar giftig, | |
| wie das Greiskraut. Mit Trockenbedingungen kommen diese Unkräuter super | |
| klar, sie können etwa sehr lange als Samen im Boden überdauern. | |
| Auf den extensiv genutzten Wiesen treten sie weniger auf? | |
| Genau, dort haben wir sie auf unseren Versuchsparzellen in wesentlich | |
| geringerer Anzahl gefunden. Wahrscheinlich macht die große Artenvielfalt | |
| die Wiesen resistenter gegenüber [3][einwandernden Arten]. | |
| Lassen sich die Ergebnisse auf den Versuchsflächen denn einfach auf echte | |
| Landwirtschaftsflächen übertragen? | |
| Das ist möglich, denn unsere Versuchsfläche bei Bad Lauchstädt in der Nähe | |
| von Halle ist riesig, wir haben 50 Parzellen von jeweils 16 Meter mal 24 | |
| Meter Größe. Das ist so groß, dass wir sie mit normalen | |
| landwirtschaftlichen Geräten befahren und bearbeiten können. In unserem | |
| Experiment haben wir die Wechselwirkung von Klimabedingungen und | |
| Landnutzung untersuchen können, das macht es besonders. Betreibt man nur | |
| beobachtende Forschung, kann man nie genau die Faktoren bestimmen, die | |
| letztlich zum Tragen kommen. Hat jetzt wirklich die Sommertrockenheit | |
| bestimmte Effekte erzielt, oder war es doch eher die Bodenbeschaffenheit? | |
| Das konnten wir in unserem Experiment auf kontrollierten Versuchsflächen | |
| ausschließen. | |
| In Ihrem Experiment haben Sie zukünftiges Klima simuliert. Lässt sich denn | |
| wirklich schon vorhersagen, wie sich Niederschlagsmengen oder Temperaturen | |
| in Sachsen-Anhalt verändern werden? | |
| Es gibt regionale Modelle, die künftige Klimabedingungen abbilden. Es ist | |
| zwar schwierig, solche Bedingungen konkret vorherzusagen, aber die Modelle | |
| geben Bereiche an, Möglichkeiten. Es ist absehbar, dass es in dieser Region | |
| in Zukunft im Frühjahr und im Herbst mehr Niederschlag geben wird, im | |
| Sommer dafür längere Dürreperioden bei höheren Temperaturen. Der | |
| Klimawandel besteht aus vielen Faktoren. | |
| Könnte man die produktiven Grassorten und die Kräuter extensiver Wiesen | |
| mischen? | |
| Nein, die Arten haben ganz andere Ansprüche an Pflege, Dünger, und so | |
| weiter. Sinnvoller wäre eine kleinräumigere Landnutzung, also intensiv | |
| neben extensiv genutzten Flächen. Kleinräumige Landnutzung wäre positiver | |
| für die Artenvielfalt, nicht nur für Pflanzen, sondern auch für Insekten | |
| und Vögel. Und es wäre eine Versicherung für die Landwirte. Denn auf | |
| intensiv genutzten Grasländern haben sie eben dieses Problem mit Ausfällen. | |
| Dann verfügen sie über zu wenig Futter mit schlechterer Qualität, sie | |
| müssen Futter dazu kaufen. Bei den extensiven Wiesen ist die Ernte | |
| geringer, aber stabiler. | |
| Müssen die naturnahen Wiesen auch gepflegt werden? | |
| Man muss sie auch mähen, aber nicht so häufig wie die Intensivstandorte. | |
| Gedüngt werden sie natürlich nicht. | |
| Sind artenarme Hochleistungswiesen eine deutsche Spezialität? | |
| Nein, sie kommen überall dort vor, wo es industrielle Landwirtschaft gibt; | |
| in Südamerika werden Wälder gerodet, um Wiesen zu etablieren und | |
| Weidewirtschaft zu betreiben. | |
| Warum befassen Sie sich eigentlich ausgerechnet mit Grünland? | |
| Wiesen sind für Ökologen interessant, weil sie sehr artenreiche Lebensräume | |
| sind. Als nächstes untersuche ich die Altersstruktur von bestimmten | |
| Pflanzenarten extensiv genutzter Wiesen. Ich will berechnen, wie schnell | |
| die Populationen bestimmter Arten unter welchen Bedingungen wachsen. Ich | |
| untersuche, wie dominante Arten wie die aufrechte Trespe mit Trockenheit | |
| oder Hitze bei der Keimung, im Wachstum oder während der Samenbildung zu | |
| recht kommen. Anschließend wissen wir hoffentlich genauer, warum bestimmte | |
| Arten häufiger oder seltener werden. | |
| 5 Aug 2024 | |
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