| # taz.de -- Gespräch über Reisebücher für Kinder: „Kids haben einen ander… | |
| > Britta Schmidt von Groeling verlegt Reisebücher speziell für Reisende mit | |
| > Kindern. Schwierige Themen wie Kolonialismus spart sie keineswegs aus. | |
| Bild: Hauptfigur der Reisebücher ist oft die blauhaarige Kim | |
| taz: Frau Schmidt von Groeling, Sie sind schon immer viel gereist. Als Sie | |
| kleine Kinder hatten, haben Sie sie auch auf Fernreisen mitgenommen? | |
| Britta Schmidt von Groeling: Ja, wir haben uns gesagt, wenn wir zu zweit | |
| reisen können, können wir das mit Kindern auch. Also sind wir los, im | |
| Geländewagen mit Dachzelt, waren in Sambia und vielen Ländern im südlichen | |
| Afrika, in Asien, in Europa. | |
| Was ist anders am Reisen mit Kindern? | |
| Wer als Familie unterwegs ist, gerade mit kleinen Kindern, hat einen ganz | |
| anderen Zugang zu den Menschen. Du bist als Eltern unterwegs und wirst auch | |
| so angesprochen und nicht nur als Fremde. Da geht es in erster Linie um die | |
| Gemeinsamkeit, und das sind die Kinder. Das hat uns viel Mut gemacht. | |
| Was hat Sie dazu gebracht, Reiseführer zu schreiben? | |
| Irgendwann waren die Kinder so alt, dass sie Fragen gestellt haben: Was ist | |
| das für eine Frucht? Wieso holt der Affe die Kokosnüsse von den Bäumen? | |
| Weshalb gibt es hier so kleine Häuschen, in die Leute Reisschalen stellen? | |
| Wir waren damals in Thailand unterwegs, und ich hätte gerne für die Kinder | |
| ein Buch gehabt, in dem steht, welche Tiere es hier gibt, welche Pflanzen, | |
| was die Alltagsgeschichten sind. Und das gab’s nicht. Als wir das zweite | |
| Mal da waren, dachte ich, das musst du doch machen. Und da habe ich | |
| angefangen zu schreiben. Das war 2015, und ich hab noch in der IT | |
| gearbeitet. | |
| Ein völlig anderes Metier. | |
| Das mir auch Spaß gemacht hat, aber ich wollte immer noch etwas Kreatives | |
| machen, Sachtexte schreiben halt. Über die Mangos beispielsweise. Das soll | |
| informativ sein, die Kinder sollen etwas dabei lernen. Es soll sie | |
| neugierig machen, auch witzig sein. Es muss kurz und knackig sein. Dann | |
| habe ich noch von Thailand aus meine erste Illustratorin gesucht, Britta | |
| Bolle, die dieses blauhaarige Mädchen kreiert hat, und sie hat dann | |
| angefangen. | |
| Da hatten Sie sich schon überlegt, alles konsequent aus Kinderperspektive | |
| zu schreiben. [1][Kim, das blauhaarige Mädchen, erzählt Kindern von ihren | |
| Erlebnissen und Entdeckungen in Thailand]. Inzwischen gibt es ja mehrere | |
| Kids, die von ihren Ferien erzählen. | |
| Ja, ich habe mir überlegt, was interessiert denn die Kinder eigentlich? Die | |
| interessieren sich nicht für Sehenswürdigkeiten oder dafür, welche | |
| Spielplätze es gibt, für sie ist das neue Land der Spielplatz. Kinder | |
| entdecken jeden Tag Neues, und dazu brauchen sie keinen speziellen Ort, | |
| sondern gucken einfach am Straßenrand. Sie haben auch eine viel niedrigere | |
| Perspektive. | |
| Sie sehen ganz andere Sachen als Erwachsene. | |
| Ja, Kids haben einen anderen Blick auf die Dinge, sehen eher die kleinen | |
| Sachen, Details und vergleichen das mit ihren Erfahrungen, die sie von zu | |
| Hause mitbringen, und stellen fest: Das ist anders. Und dann fragen sie | |
| natürlich: Warum ist das anders? | |
| Gibt es in Ihrer Reihe einen Autor, eine Autorin, der oder die keine Kinder | |
| hat? | |
| Nein, das geht nicht. Du kannst nicht in ein Land fahren und glauben, du | |
| guckst dir das Land aus Kinderaugen an. Es ist auch überraschend, was Kids | |
| vor Ort spannend finden. Als Autorin muss man mit Kindern in das Land | |
| fahren, worüber man schreibt, und schauen: Was finden die da cool? Und das | |
| kommt ins Buch und sonst nichts. | |
| Es gibt keine Sightseeingtouren oder Restauranttipps, sondern zusätzlich zu | |
| den genannten Themen Ratespiele, Ausmalseiten, Raum für Notizen. | |
| Unsere Bücher versorgen Kinder mit Informationen, die für sie spannend | |
| sind. Und sie bieten mit den interaktiven Elementen auch Beschäftigung. Die | |
| Eltern können sich dann einen Familienreiseführer nehmen und damit Routen | |
| planen, Hotels finden. Ich bin der Meinung: Kinder interessiert etwas ganz | |
| anderes. Die sind eher in dem Wieso, Weshalb, Warum unterwegs, und das ist | |
| eher das, was wir machen. | |
| [2][World-for-kids-Bücher] sind also eher Reisebegleiter als klassische | |
| Reiseführer. Dennoch sind die Bücher alle ähnlich strukturiert. | |
| Ja. Es gibt sechs Kapitel, die immer gleich sind: die Tiere, die Pflanzen, | |
| Essen und Trinken. Das Leben. Sozusagen der erste Eindruck, wenn man ins | |
| Land kommt. Wie sieht es da aus, wie begrüßt man sich, was sprechen die | |
| Leute für eine Sprache? | |
| Da sind auch immer ein paar Vokabeln mit drin. Und ein bisschen Geografie. | |
| Wie leben die Kinder da, was ist besonders, zum Beispiel Schuluniformen. | |
| Bei England und Frankreich haben wir extra Sprachkapitel gemacht. Dann gibt | |
| es immer eine Vorlesegeschichte und ein Kapitel über die Geschichte des | |
| Landes. | |
| Wie geht kindgerechtes Schreiben? | |
| Ich mache kein Lehrbuch, ich will auch keinen chronologischen | |
| Geschichtsabriss. Als Autorin überlege ich: Wo steckt ein Abenteuer drin, | |
| wo gibt es einen Konflikt, oder wo ist jemand besonders wagemutig gewesen? | |
| Gibt es eine Figur, die man heute auch immer noch interessant finden kann? | |
| Und dann gibt es immer noch zwei landesspezifische Kapitel. | |
| Ja, da können sich die Autor*innen aussuchen, was sie hervorheben wollen. | |
| Bei der Ostsee war das viel zu Schiffen, bei Kanada die Weite des Landes. | |
| Bei Griechenland kommen natürlich die alten Griechen vor. Und manchmal | |
| bleiben Themen übrig, die nicht so einfach zu erzählen sind. | |
| [3][Zum Beispiel wollten wir im Kanadabuch das Thema Bärenbegegnungen mit | |
| den Verhaltensregeln rüberbringen]. Da hat die Autorin eine | |
| Vorlesegeschichte draus gemacht. Oder bei Tschechien, das eine so bewegte | |
| Geschichte hat. Gerade die jüngere Geschichte finde ich gar nicht so leicht | |
| zu erzählen. | |
| Also habe ich die tschechische Geschichte aus Sicht eines alten Hauses | |
| erzählt, das in einer tschechischen Stadt stand. In ihm wohnte eine | |
| tschechische Familie, und das Haus erzählt, in großen Zeitsprüngen, wie es | |
| der Familie geht, während im Haus gegenüber immer die wohnen, die das Land | |
| gerade besetzt haben, also die Deutschen, die Russen und ganz am Anfang | |
| noch die Habsburger, k. u. k. | |
| Dabei ist es mir wichtig, die Texte nicht wertend zu schreiben. Wir wollen, | |
| dass sie mit offenen Augen in die Welt gehen und sich dort umgucken. | |
| Vergleiche kann man natürlich anstellen. Was ist was, wie machen wir es zu | |
| Hause, wie wird es hier gemacht? Aber es gibt da kein Richtig und kein | |
| Falsch, jeder macht es so, wie er es aus seiner Kultur, aus seiner | |
| Tradition heraus kennt oder aus den Möglichkeiten, die man vielleicht hat, | |
| oder aus dem Klima. | |
| In den Geschichtskapiteln werden auch schwere Themen wie Kolonialismus | |
| aufgegriffen. | |
| Ja, ich finde, man darf Kindern eine Menge zutrauen. Oft werde ich von | |
| Autorinnen gefragt: Soll ich das nicht rauslassen, das ist ja zu brutal für | |
| die Kinder. Ich sage dann immer: Du musst es ja nicht brutal schreiben. | |
| Aber ich finde nicht, dass man die Dinge verschweigen sollte, nur weil man | |
| gerade nicht weiß, wie man sie erklären kann. Und gerade wenn es darum | |
| geht, dass einheimische Bevölkerungsgruppen von denen, die von außen kamen, | |
| unterdrückt wurden, ist es wichtig, das auch zu benennen. | |
| In Australien, in Neuseeland, aber auch in Kanada spielt das eine große | |
| Rolle, aber auch in den europäischen Ländern wie beispielsweise Portugal. | |
| Wir erklären es sachlich, nicht, dass der eine der Gute und der andere der | |
| Böse ist, sondern: Die haben das gemacht, und dann ist denen das passiert. | |
| Die Wertung können die Kinder selbst vornehmen. | |
| Noch ein Tipp zum Schluss? | |
| Reisen mit Kindern ist einfacher als gedacht. Eltern sollten sich | |
| allerdings wohlfühlen, wenn sie die Reise antreten. Wenn man die ganze Zeit | |
| nur Sorge hat, dass etwas passiert, dann ist man unentspannt, und das färbt | |
| auf die Kinder ab. | |
| 24 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sylvia Prahl | |
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