# taz.de -- Poller im Straßenraum: „Stärkere müssen sich zurücknehmen“ | |
> Der „Gestaltungsbeirat Öffentliche Räume“ rät dem Senat zu weniger | |
> Pollern. Der Verkehrsplaner Martin Haag, Mitglied des Gremiums, erklärt, | |
> warum. | |
Bild: Vielleicht nicht schön – aber verzichtbar? Pollergeschutz eines Radweg… | |
taz: Herr Haag, Sie sind eines von sechs Mitgliedern des Berliner | |
[1][„Gestaltungsbeirats Öffentliche Räume“]. Was ist das überhaupt? | |
Martin Haag: Wie der Name schon sagt: Der Beirat ist ein Gremium, das den | |
Senat in Fragen der Gestaltung des öffentlichen Raums berät. Eingesetzt | |
wurde er noch vom rot-rot-grünen Senat Ende 2020. Das Baukollegium, das | |
sich in ähnlicher Form mit Architektur und Städtebau auseinandersetzt, gibt | |
es schon deutlich länger und dürfte auch bekannter sein. Aber die Frage, | |
wie man mit dem öffentlichen Raum umgeht, ist ein großes Zukunftsthema. | |
taz: Auf seiner Sitzung am 12. Juli hat der Beirat unter anderem über | |
„Protektionselemente für den Radverkehr“ nachgedacht. Das wurde von den | |
Medien eifrig aufgegriffen – gab es das vorher schon einmal bei einem | |
Thema, das in der Runde besprochen wurde? | |
Haag: Nein, und das zeigt wohl, dass dieses Thema in Berlin ein gewisses | |
Erregungspotenzial hat. Wir erörtern immer wieder spannende Fragen, die | |
eine Berichterstattung wert wären, aber dieses Jahr hat unsere Empfehlung | |
erstmals eine größere Resonanz ausgelöst. | |
taz: Sie haben sich also, vereinfacht gesprochen, die Poller vorgeknöpft. | |
Haag: Zunächst haben wir mit Vertretern von Senat und Bezirksämtern | |
erörtert, welche Anforderungen es an solche Protektionselemente gibt, was | |
bei ihrer Auswahl zu beachten ist, welche Aufgaben sie erfüllen können. | |
Dazu haben wir uns die Einschätzungen von Experten aus Verkehrs- und | |
Stadtplanung angehört und uns auch das Berliner Mobilitätsgesetz noch | |
einmal genau angesehen. Daraus geht ein verbindlicher Einsatz von Pollern | |
nicht hervor, die Vorschriften formulieren klare Ziele aber schreiben keine | |
Maßnahmen vor. | |
taz: Und der Beirat fordert, künftig auf Poller zu verzichten? | |
Haag: Das kann man so nicht sagen. Wir teilen das Ziel, mehr subjektive wie | |
objektive Sicherheit im Radverkehr herzustellen – auch mit | |
Protektionselementen, denn die zeigen, dass die Stadt es angeht, dem stark | |
wachsenden Radverkehr zu einem angemessenen Flächenanteil zu verhelfen. | |
Diese Sichtbarmachung halten wir für eine wichtige Funktion. Wir sind aber | |
auch der Meinung, dass das kein dauerhafter Zustand sein kann. Ziel muss es | |
sein, einen Straßenraum für alle zu schaffen und zu einer Kultur des | |
Miteinanders zu kommen. Wobei ich jetzt aus Reaktionen gelernt habe, dass | |
„Miteinander“ in Berlin ein politisches Reizwort beim Thema Mobilität ist … | |
aus Freiburger Perspektive hatte ich das nicht auf dem Schirm. Aber | |
grundsätzlich ist ja ein besseres Miteinander kein schlechtes Ziel. | |
taz: Die Kritik an Pollern ist ästhetischer Natur, richtig? | |
Haag: Wir sind der Meinung, dass es auf Dauer keine Lösung ist, die Stadt | |
damit vollzustellen. Aber wichtiger als die Ästhetik ist die Frage, wie wir | |
eine Mobilitätskultur der Zukunft herausbilden können. Deshalb sagen wir | |
auch: Protektionselemente dürfen ruhig eine temporäre Anmutung haben, und | |
sie sollten wiederverwendbar sein: Denn wenn sich in einer Straße eine neue | |
Situation eingestellt hat, können sie woanders zum Einsatz kommen. | |
taz: Die Kritik dazu lautet: Nur mit baulich geschützten Radwege können wir | |
irgendwann die „Vision Zero“ erfüllen. | |
Haag: Es gibt ja neben den Strecken, die ich durch bauliche Elemente | |
abgrenzen kann, viele Abschnitte, wo das gar nicht geht. Gerade an | |
Straßeneinmündungen passieren viele Unfälle, und die kann ich mit Pollern | |
nicht schützen. Da greift das Argument Vision Zero zu kurz. | |
taz: Es gibt auch andere Optionen als die klassischen rot-weißen Pfosten. | |
Haag: Richtig, es gibt Betonborde und Ähnliches. Wir dürfen aber nicht | |
vergessen, dass Straßen auch sicher zu Fuß querbar bleiben müssen. Und es | |
war auch nicht unsere Herangehensweise, die Trennung der Verkehrswege | |
schöner zu gestalten. Berlin setzt aktuell sehr stark auf eine harte | |
Trennung der Verkehrsarten. Wir setzen darauf, dass die Stärkeren sich | |
zurücknehmen müssen, weniger fließender und ruhender Kraftfahrzeugverkehr | |
und geringere Geschwindigkeiten. 30 km/h Höchstgeschwindigkeit zum Beispiel | |
reduzieren bei Unfällen das Risiko schwerer Verletzungen deutlich. | |
taz: Also Tempolimits statt Poller? | |
Haag: Nicht alleine, aber Geschwindigkeit spielt beim Thema Sicherheit eine | |
große Rolle. Die Gefährlichkeit von Kfz entsteht aus der Kombination von | |
Gewicht und Geschwindigkeit – da müssen wir mit Reduzierungen arbeiten, | |
aber auch mit übersichtlichen, klar definiertenStraßenräumen. Wie gesagt: | |
Entscheidend ist die Frage des Miteinanders und der Verträglichkeit aller | |
Verkehrsarten. Es muss darum gehen, den Verkehr in einer 4-Millionen-Stadt | |
zukunftsfähig zu machen. | |
taz: Aktuell sind Sie Verkehrsbürgermeister von Freiburg. Wie geht man dort | |
mit dem Thema um? | |
Haag: Natürlich diskutieren wir diese Fragen in Freiburg auch, und es gibt | |
es auch hier Verfechter einer klaren baulichen Trennung und andere, die es | |
für zielführender halten, die Geschwindigkeit herunterzunehmen in | |
Verbindung mit der Anlage von Radverkehrsanlagen. Freiburg war nicht von | |
ungefähr Gründungsmitglied der Initiative „Lebenswerte Städte durch | |
angemessene Geschwindigkeiten“, die sich für das Recht der Kommunen | |
einsetzt, selbst über Tempolimits zu entscheiden. Allerdings haben wir zum | |
Teil auch andere Rahmenbedingungen als Berlin: Viele Straßen bei uns sind | |
deutlich schmaler, da kann man nicht unbedingt eine Fahrspur wegnehmen. | |
2 Aug 2024 | |
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[1] https://www.berlin.de/sen/uvk/ueber-uns/gestaltungsbeirat-oeffentliche-raeu… | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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