# taz.de -- Großbritannien will sparen: Labour stimmt auf Einschnitte ein | |
> Großbritanniens neue Regierung entdeckt riesige Haushaltslöcher und will | |
> sparen. Es geht aber um höhere Gehälter im öffentlichen Dienst. | |
Bild: Der britische Premierminister Keir Starmer: Um die Finanzen des Landes st… | |
Berlin taz | Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause und weniger als | |
einen Monat nach ihrer Machtübernahme bereitet Großbritanniens neue | |
Labour-Regierung das Land auf harte Sparmaßnahmen vor. In einer mit | |
Spannung erwarteten Rede vor dem Unterhaus warf Finanzministerin Rachel | |
Reeves am Montagnachmittag der konservativen Vorgängerregierung vor, eine | |
„katastrophale“ Hinterlassenschaft bei den Staatsfinanzen vor – nämlich | |
ungedeckte Ausgabenpläne in Höhe von 22 Milliarden Pfund (25 Milliarden | |
Euro). | |
„Die Tories haben die britischen Finanzen in ihrem schlechtesten Zustand | |
seit dem Zweiten Weltkrieg hinterlassen“, [1][schrieb die regierende | |
Labour-Partei vorab auf X (vormals Twitter)]. „Diese Labour-Regierung wird | |
harte Entscheidungen treffen, um langfristige Lösungen zu finden.“ | |
Schon direkt nach ihrem Wahlsieg am 4. Juli hatte Reeves eine Überprüfung | |
der Staatsfinanzen angekündigt. Den nächsten regulären Staatshaushalt für | |
2025 legt sie erst am 30. Oktober vor, aber einige Dinge können nicht so | |
lange warten. Dringend sind Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst nach | |
monatelangen Streiks. | |
Unabhängige Schiedsstellen hatten vor den Wahlen Gehaltssteigerungen von | |
5,5 Prozent für die 1,5 Millionen Angestellten des staatlichen | |
Gesundheitsdienstes und 450.000 Lehrkräfte an Schulen vorgeschlagen. Labour | |
hatte sich verpflichtet, diese Empfehlungen vollumfänglich umzusetzen, was | |
nach unabhängigen Schätzungen rund 10 Milliarden Pfund im Jahr kostet; | |
Reeves sprach jetzt von 9 Milliarden. Nun lautet ihr Vorwurf an die | |
Konservativen, dafür kein Geld hinterlassen zu haben. Teile der Ärzteschaft | |
fordern weiterhin noch deutlich höhere Gehaltserhöhungen, die die Regierung | |
offensichtlich zumindest teilweise erfüllen will. | |
## „Ich räume auf“ | |
„Die vorige Regierung gab Geld aus, ohne an den nächsten Tag zu denken, | |
weil sie wusste, dass jemand anders die Rechnung bezahlen muss“, sagte | |
Finanzministerin Reeves am vergangenen Wochenende der Sunday Times. „Sie | |
machten eine Zusage nach der anderen, ohne zu sagen, wo das Geld herkommt. | |
Ich räume auf.“ | |
Die konservative Opposition, allen voran der bisherige Finanzminister | |
Jeremy Hunt, weist diese Vorwürfe zurück und sagen, alle relevanten Zahlen | |
hätten vor den Wahlen zur Verfügung gestanden. Im Wahlkampf hatte Labour | |
zugesagt, keine Einkommensteuern, Sozialversicherungsbeiträge oder | |
Mehrwertsteuern zu erhöhen. | |
Der damalige konservative Premierminister Rishi Sunak hatte Labour | |
wiederholt vorgeworfen, in Wirklichkeit Steuererhöhungen zu planen. | |
„Nachdem sie vor den Wahlen 50mal versprochen haben, keine Steuern zu | |
erhöhen, brauchen sie jetzt einen Vorwand“, zitiert die Sunday Times Jeremy | |
Hunt zu Reeves’ Anküngigungen. | |
## Rückkehr zur Austeritätspolitik? | |
Die Labour-Regierung hatte sich auch verpflichtet, die bestehende | |
mittelfristige Haushaltsplanung der Konservativen beizubehalten. Die sieht | |
bis zum Haushaltsjahr 2028/29 nur noch geringe Steigerungen der laufenden | |
Staatsausgaben von inflationsbereinigt 1,2 Prozent pro Jahr vor. Explizit | |
ausgenommen sind davon das staatliche Gesundheitswesen, die staatliche | |
Finanzierung von Kinderbetreuung sowie Entwicklungshilfe und Verteidigung. | |
Hier gelten höhere Ansätze. | |
Das bedeutet automatisch reale Kürzungen in anderen Bereichen, vor allem | |
Justiz, innere Sicherheit und Pflege. „Angesichts der Zusagen Labours, | |
öffentliche Dienstleistungen zu verbessern, ist es sehr unwahrscheinlich, | |
dass die neue Regierung diese Pläne einhalten kann“, heißt es dazu in einer | |
[2][Studie des renommierten „Institute for Government“]. Wenn Labour sich | |
doch daran halte, würde es die restriktivste Ausgabenpolitik seit den | |
harten Austeritätsjahren vor 2015 fahren. | |
Das [3][„Institute for Fiscal Studies“] unter dem renommierten Ökonomen | |
Paul Johnson hatte bereits beim letzten konservativen | |
Staatshaushaltsentwurf im März vorausgesagt, die vorliegende Finanzplanung | |
werde sich als undurchführbar erweisen, egal wer die Wahlen gewinne. Am | |
Montag [4][wies Johnson im BBC-Frühstücksfernsehen darauf hin], dass das | |
von der neuen Finanzministerin Reeves identifizierte 20-Milliarden-Loch | |
problemlos gestopft werden könne, wenn Labour die im März beschlossene | |
Verringerung der Sozialversicherungsbeiträge rückgängig machen würde. | |
Stattdessen werden jetzt Ausgabenkürzungen in Milliardenhöhe erwartet. Im | |
Gespräch sind Verschiebungen der Renovierung von Schulen und Krankenhäusern | |
und die Absage mehrerer Projekte im Straßenbau und bei der | |
Eisenbahnsanierung. | |
Reeves forderte im Parlament alle Ministerien auf, Einsparmöglichkeiten zu | |
identifizieren, um die Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst | |
gegenzufinanzieren. Sie kündigte auch an, die bestehenden allgemeinen | |
Heizkostenbeihilfen für Rentner zukünftig nur noch an Sozialhilfeempfänger | |
auszuzahlen. | |
Exfinanzminister Hunt warf Reeves in seiner Antwort einen „schamlosen“ | |
Versuch vor, „schamlos“ den Boden für Steuererhöhungen zu bereiten. Erst | |
vor wenigen Tagen habe sie Ausgabenschätzungen für das laufende Jahr | |
vorgelegt, jetzt präsentiere sie völlig andere Zahlen auf der Grundlage | |
derselben Daten. | |
29 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://x.com/UKLabour/status/1817832562103841234 | |
[2] https://www.instituteforgovernment.org.uk/publication/fixing-public-service… | |
[3] https://ifs.org.uk/collections/spring-budget-2024 | |
[4] https://x.com/BBCBreakfast/status/1817806121354015028 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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