Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sommerserie „Im Schatten“ (2): Das Kreuz mit der Abkühlung
> Kirchengebäude könnten bei Hitzewellen ideale Schutzräume für vulnerable
> Gruppen sein. Trotzdem öffnen nur wenige Gemeinden tagsüber ihre Türen.
Bild: Wenigstens etwas Kühle: die St. Marienkirche am Alexanderplatz
Berlin taz | Einen Hitzeaktionsplan will der Senat zwar erst irgendwann im
kommenden Jahr vorlegen. Dafür gab das Landesamt für Gesundheit und
Soziales vor gut einem Monat bekannt, dass nun die Informationskampagne
„Bärenhitze“ richtig „durchstartet“.
Verwiesen wird dabei auch auf das Angebot „Kühler Raum“ – also auf
Rückzugsorte vor der Hitze in Berlin, die „sich beispielsweise in Kirchen,
öffentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken oder auch in
Nachbarschaftstreffs“ befänden. Und tatsächlich zeigt die auf der
entsprechenden „Bärenhitze“-Website mitgelieferte
[1][Online-Erfrischungskarte der Technologie Stiftung Berlin] zwar
unzählige praktische Orte „zum Erfrischen und Verweilen“ im kompletten
Stadtgebiet. Nur: Die versprochenen Kirchen sind kaum vertreten.
Dabei hatte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in
Deutschland, Annette Kurschus, bereits [2][im vergangenen Hitzesommer] an
Kirchengemeinden appelliert, ihre Gebäude als Schutzräume zu öffnen.
„Kirchen sind durch ihre bauliche Beschaffenheit und ohne den Einsatz von
Kühltechnik häufig die kühlsten Orte in Stadt und Land. Sie können Menschen
Schutz vor Hitze bieten“, sagte Kurschus. „Diesen Schatz möchten wir mit
möglichst vielen teilen, die von Hitze geplagt sind oder auch nur eine
kurze Abkühlungspause brauchen.“
Trotz des Appells sind die meisten Kirchengebäude in Berlin verschlossen
und werden nur für den Gottesdienst und, wenn es hoch kommt, vielleicht
zwei weitere Veranstaltungen pro Woche geöffnet. Ausnahmen bilden die
Kirchen mit touristischer Funktion im Stadtzentrum, aber auch die
katholische Gedenkkirche Maria Regina Martyrum, unweit der ehemaligen
Hinrichtungsstätte Plötzensee. Auch [3][die Kreuzberger Passionskirche lädt
regelmäßig nicht nur zu kommerziellen Konzerten], sondern auch zu anderen
öffentlichen Veranstaltungen und Sprechstunden ein.
## Sorge vor Vandalismus
Dabei war die geöffnete Kirchentür über Jahrhunderte Normalität. Kirchen
waren lange auch Pilgerherbergen, Versammlungs- und Repräsentationsräume.
Die offene Kirchentür bot Gläubigen zudem die Gelegenheit, wann immer sie
wollten, allein zu beten, ihre Sorgen artikulieren zu können oder einen Ort
zu finden, wo sie im Idealfall zur Ruhe kommen und Hilfe finden konnten.
Mit der Säkularisierung sank die Zahl der Menschen, die genau das tun
wollten. Die veränderte Stellung der Institution Kirche in der Gesellschaft
brachte es auch mit sich, dass die vormalige Ehrfurcht vor Kirchengebäuden
schwand. Hier picknickende Rucksacktouristen, die ihren Müll hinterlassen,
dort Diebstahl von historisch wertvollen Kunstgegenständen. Ein
Kirchenvertreter weiß sogar von Fäkalien zu berichten, die eine katholische
Gemeinde im Taufbecken vorgefunden hätte, als deren Tür noch jederzeit
offen stand.
Stefan Förner, der Sprecher des katholischen Erzbistums Berlin, sagt dann
auch: „Generell ist es nicht möglich, eine Kirche ohne eine Aufsicht offen
stehen zu lassen, dafür ist die Gefahr des Vandalismus zu groß.“ Und diese
Aufsicht müssten Mitglieder der immer kleiner werdenden Kirchengemeinden
ehrenamtlich leisten.
Anders als die katholische Kirche lehnt die evangelische ein Öffnen der
Kirchen ohne Aufsicht nicht grundsätzlich ab, doch die Entscheidung liegt
bei den Gemeinden. Die wiederum sind zwiegespalten: Einerseits wollen sie
ihre Sakralbauten öffnen auch für Nichtchristen, die sich aus
unterschiedlichen Gründen von Kirchen angezogen fühlen. Andererseits müssen
die Kirchengemeinden für die Reinigung aufkommen und sie haften bei
Diebstahl und Unfällen.
## Versicherungstechnische Unsicherheiten
Vor Jahrhunderten entstandene Kirchen entsprechen in der Regel nicht den
heutigen Sicherheitsstandards. Niedrige Deckenhöhen, unebene Stufen und
unsichere Treppenaufgänge sind der ortsansässigen Gemeinde vertraut, Gästen
aber nicht, sodass es leicht zu Unfällen kommen kann.
Die Versicherung der evangelischen Landeskirche kommt bei Diebstahl und
Vandalismus zudem nur für Gegenstände auf, die eingeschlossen sind. Bei
Taufschalen, Altarleuchtern, Kruzifixen und Gemälden ist das nicht möglich.
Die Landeskirche empfiehlt ihren Gemeinden deshalb, diese Gegenstände
außerhalb des Gottesdienstes in andere Räume zu stellen. Doch da müssen
sich erst einmal Ehrenamtler finden, die diese auch körperlich schwere
Arbeit regelmäßig auf sich nehmen.
So umfasste die Liste der evangelischen Kirche im vergangenen Hitzesommer
lediglich sieben tagsüber geöffnete Kirchengebäude in Berlin, bei der
katholischen Kirche sind es vier. Wobei es sich hier um Kirchen handelt,
die ohnehin unabhängig von der Jahreszeit öffnen.
Zum Beispiel die evangelische St. Marienkirche am Alexanderplatz. Hierher
kommen, so Pfarrer Michael Kösling, mehrere hundert Touristen pro Tag. Aber
auch sogenannte soziale Randgruppen suchen hier Ruhe und Schutz: verwirrte
Menschen, Alkoholkranke, Obdachlose.
Die Gemeinde hat sich entschieden, einen hauptamtlichen Kirchenwart
anzustellen, der von Ehrenamtlern unterstützt wird. Ein höheres
Besucheraufkommen an heißen Tagen hat der Pfarrer bisher aber nicht
festgestellt. „Wir bieten bisher auch kein Wasser oder anderen Hitzeschutz
an.“ Zudem sei die St. Marienkirche als einzeln stehendes Gebäude mit ihren
großen Fenstern bei hohen Temperaturen zwar immer noch erträglicher als
normale Wohnräume, aber eben auch nicht sonderlich kühl.
## Kritik von der Linken
Aber kann es sich Berlin in Zeiten des Klimawandels leisten, hunderte wohl
temperierte Sakralbauten in der Stadt nur dann offen zu halten, wenn die
immer kleiner werdenden Kirchengemeinden Ehrenamtler finden, die sich darum
kümmern? Nein, sagt Tobias Schulze, der Fraktionschef der Linken im
Abgeordnetenhaus.
Seine Fraktion forderte den Senat schon vor Monaten auf, [4][die
Erarbeitung eines Hitzeschutzplans zu beschleunigen und dabei die Bedarfe
vulnerabler Gruppen und Senioren besonders zu berücksichtigen]. Dazu sollen
öffentlich zugängliche Gebäude wie eben auch Kirchen in Hitzephasen als
Kühlzonen genutzt werden können. „Sakralbauten bleiben aufgrund ihrer
Bauweise in Hitzeperioden besonders kühl“, sagt Schulze der taz. „Es sollte
hier noch mal Absprachen mit der Landesregierung geben, die auch die
Probleme der personellen Absicherung lösen.“
Einige Bezirke sind im Juni bei der Erarbeitung von Hitzeschutzplänen
bereits auf die Kirchen zugegangen mit der Bitte, ihre Gebäude bei
Hitzewarnstufe 1 – also bei Temperaturen ab 32 Grad – zu öffnen. In
Charlottenburg-Wilmersdorf sind ganze zwei Kirchen der Bitte nachgekommen.
Auch hier handelt es sich um Gemeinden, die über genügend Ehrenamtler
verfügen oder die wegen anderer Projekte ohnehin häufiger mal öffnen.
Finanzielle Mittel werden hierfür nicht zur Verfügung gestellt.
28 Jul 2024
## LINKS
[1] /Sommerserie-Im-Schatten-1/!6022006
[2] /Deutscher-Wetterdienst-zur-Klimakrise/!5997749
[3] /Angesagte-Musik-in-Kirchen/!5409308
[4] /Klimawandel-in-Berlin/!5999106
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Sommerserie
Hitzewelle
Kirche
Schwerpunkt Klimawandel
Mischwald
Sommerserie
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Sommerserie
wochentaz
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sommerserie „Im Schatten“ (5): Auf die Dosis kommt es an
Alle reden vom Waldumbau. Dabei geht es auch um ein Wettrennen der
Baumarten. Das Kronendach zu lichten, ist dabei nicht mehr das Gebot der
Stunde.
Sommerserie „Im Schatten“ (4): Die Suche nach dem Mölsch
Unterricht der anderen Art: In der Waldschule Spandau lernen Kinder auch in
den Ferien. Allerdings geht es hier um die Faszination für die Natur.
Schutz gegen tödliche Hitze: Unverbindliche Empfehlungen
Während viel Geld in die Verkehrssicherheit geht, gibt es keines für den
Hitzeschutz. Dabei gibt es hierzulande mehr Hitzetote als auf den Straßen.
Hitzeschutz und Klimawandel: Siesta für alle
Im Sommer werden Städte oft zu Hitzeinseln, gerade für Alte, Kranke und
Kinder wird das bedrohlich. Sechs Wege, wie wir uns dagegen wappnen können.
Sommerserie „Im Schatten“, (1): Fresh durch die Sommerhitze
Mit der interaktiven Erfrischungskarte können Berliner*innen gezielt
schattige Plätze, kühle Trinkbrunnen und erfrischende Ruheorte entdecken.
Hitze im Sommer: My German Sommerangst
Noch bevor der Sommer da ist, kommt schon die Angst. Vor der
Schlaflosigkeit, Erschöpfung, Lustlosigkeit. Warum nur haben wir keine
Siesta-Kultur?
Klimawandel in Berlin: Kein Plan gegen die Hitze
Der Hitzeaktionsplan braucht noch ein Jahr – viel zu spät, kritisiert
Linke-Politiker Ferat Koçak. Hitzehilfe für Obdachlose unter
Finanzvorbehalt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.