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# taz.de -- Sommerserie „Im Schatten“ (5): Auf die Dosis kommt es an
> Alle reden vom Waldumbau. Dabei geht es auch um ein Wettrennen der
> Baumarten. Das Kronendach zu lichten, ist dabei nicht mehr das Gebot der
> Stunde.
Bild: Es geht auch von alleine: Naturverjüngung im Schlaubetal (Landkreis Oder…
Berlin taz | Ein Wettrennen – so nennt Boris Schnittker das, was sich auf
dem Waldboden bei Rautenkranz im Landkreis Oder-Spree abspielt. Kleine
Eichen, vielleicht 20 Zentimeter hoch, recken sich aus den Furchen in die
Höhe, neben ihnen Spitzahorn und Birken, aber auch Kiefern. Welche Baumart
wird das Rennen machen? „Für den Wald von morgen ist das die entscheidende
Frage“, sagt Schnittker.
Boris Schnittker ist der Betriebsleiter Forst bei der Stiftung Stift
Neuzelle. Nicht nur das ehemalige Zisterzienserkloster, Brandenburgs
Barockwunder, gehört zur Stiftung, sondern auch Wald. Viel Wald. 9.100
Hektar Wald nennt die Stiftung ihr eigen, sie ist damit die größte private
Waldbesitzerin in Brandenburg. Und sie möchte ihren Wald, der noch zu
großen Teilen aus Kiefernforsten besteht, fit machen für die Zukunft.
In Rautenkranz ist die Zukunft noch nicht entschieden. „Etablieren sich die
Kiefern vor den Laubhölzern wie Birken, Ahorn und Eichen, beanspruchen sie
die knappen Ressourcen wie Licht, Wasser und Nährstoffe für sich“, erklärt
Schnittker. Für Buchen wäre ein Weniger an Licht nicht so sehr das Problem,
als Schattenbaumarten mögen sie es lieber dunkel. „Lichtbaumarten wie
Eiche, Spitzahorn oder Birke vertragen dagegen deutlich weniger Schatten“,
weiß Schnittker. Allerdings kommen die anspruchsvollen Buchen mit den
kargen Böden im Revier nicht klar.
Beim Waldumbau in Rautenkranz soll die heimische Traubeneiche die
Hauptrolle spielen. Damit diese einmal „übernehmen“ kann, wie Schnittker es
formuliert, dürfen aber die durch Naturverjüngung hochgekommenen Kiefern
nicht von Anfang an dominieren. „Diesen Effekt bremsen die Förster über
eine dosierte Lichtsteuerung in den Beständen aus“, so Schnittker. „Unter
geschlossenem Kronendach hält sich die lichtbedürftige Kiefer mit ihrer
Verjüngung zurück.“ Diese Gelegenheit werde genutzt, um der Eiche über Saat
oder natürliche Verjüngung einen Vorsprung zu verschaffen: „Wir nutzen ganz
gezielt das Licht und den Schatten der Waldbestände im Waldumbau.“
Mit seinem Pick-up fährt Boris Schnittker ins Forstrevier Callinenberg
zwischen Schernsdorf und Rießen – die Dörfer gehören zu Siehdichum, der mit
81 Prozent Wald waldreichsten Gemeinde Brandenburgs. An den Forstwegen, die
das Gebiet durchziehen, hat er schon vor drei Jahren ein ambitioniertes
Projekt gestartet. Sogenannte Brandriegel aus Laubbäumen sollen in den
Kiefernforsten der Stiftung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen:
[1][Waldumbau und Waldbrandprävention].
„Ein 60 bis 100 Meter breiter Laubholzriegel stellt im Brandfall eine
Feuerbremse dar“, erläutert Schnittker. Und: „Mittelfristig werden die
benachbarten Waldflächen mit der Verjüngung aus den Laubbäumen der
Waldbrandriegel natürlich umgewandelt.“
Über 1,2 Millionen Eicheln aus eigenen Saatgutbeständen haben Schnittkers
Förster in den Winterhalbjahren 2022 und 2023 ausgesät. Unterstützt wurden
sie dabei von der Dezimierung des Schwarzwilds durch die Afrikanische
Schweinepest. „Hätten wir hier so viele Wildschweine gehabt wie früher,
wären vielleicht 50.000 Eicheln übrig geblieben“, hatte Schnittker im Mai
2023 auf einer Exkursion erzählt.
Nun kann man sehen, was aus den kleinen Eichen geworden ist: Am Rande der
Waldwege sind sie bereits mächtig in die Höhe geschossen, je weiter es in
den Forst hineingeht, desto niedriger ist ihr Wuchs. Auch das hat wieder
mit Schatten und Licht zu tun: „Auf beiden Seiten der Wege haben wir auf
einer Breite von 25 Metern einige alte Kiefern entnommen und das Kronendach
etwas aufgelichtet“, sagt Schnittker. Mehr Licht also für die
Eichenkeimlinge – aber zu wenig für die Kiefern. Dort, wo die Eichen mit
weniger Licht auskommen müssen, lassen sie sich mit dem Wachsen Zeit.
## Veraltetes Einmaleins
Szenenwechsel zum weltweit größten Kommunalwald: Ganze 29.000 Hektar Wald
bewirtschaften die Berliner Forsten. Dagegen besitzen Wien 8.650 Hektar,
Fürstenwalde 4.730 Hektar und New York City 2.400 Hektar – so zählt es,
nicht ohne Stolz, der BUND auf. Aber auch in Berlin ist Waldumbau das Gebot
der Stunde, denn auch in den Forsten der Hauptstadt bestimmt die Kiefer das
Waldbild: 60 Prozent aller Bäume sind Kiefern, in Brandenburg sind es 70
Prozent.
Seit 2012 läuft in der Stadt das so genannte Mischwaldprogramm. Um den
Kiefernforst in einen Laubmischwald umzubauen, wurden seitdem jährlich
zwischen 300.000 und 500.000 Laubbäume gepflanzt. Damit sie genügend Licht
bekommen, wurden zuvor die Kiefernbestände durchforstet. Mit einem lichten
Kronendach, so lautete lange Zeit das Einmaleins des forstlichen
Waldumbaus, gibt man den Jungbäumen die erforderliche Starthilfe.
Doch auch Förster müssen dazulernen. „Der Klimawandel und die Hitze haben
auch die Parameter für den Waldumbau geändert“, sagt Paul Scheytt. Der
Biologe, der im Herbst seinen Master machen will, gehört zur Waldinitiative
Berlin und steht in engem Austausch mit der Senatsverwaltung für Umwelt,
bei der die Berliner Forsten angedockt sind. Umweltstaatssekretärin Britta
Behrendt (CDU) hat [2][im Frühjahr auf die neuen Bedingungen reagiert und
das Mischwaldprogramm gestoppt]. „Eine gute Entscheidung“, findet Paul
Scheytt.
Gegründet hat sich die Waldinitiative 2021 im Berliner Norden. Dort, im
Forst Tegel, waren die Berliner Forsten besonders rabiat vorgegangen. „Die
haben Kiefernbestände gefällt, unter denen schon ein zehn Meter hoher
Unterbau von Laubbäumen gewesen ist“, kann sich Scheytt noch heute ärgern.
„Doch das Mischwaldprogramm nahm auf solche Flächen keine Rücksicht.“
Auch der BUND hat immer wieder die Kritik vorgebracht, dass es bei diesem
Programm weniger um einen an den jeweiligen Standort angepassten Waldumbau
ging, sondern darum, eine möglichst große Zahl an Jungbäumen zu pflanzen.
Paul Scheytt von der Waldinitiative formuliert es so: „Offenbar geht der
Waldumbau auch mit Naturverjüngung, also ohne die Pflanzung von neuen
Bäumen.“ Zum Treffen mit der taz haben Scheytt und seine Mitstreiter sogar
Fotos von Flächen mitgebracht, auf denen das Kronendach stark gelichtet
wurde – ohne dass die Jungbäume hochgekommen wären.
„Wenn man das Kronendach zu zehn Prozent auflichtet, wird es am Boden ein
Grad wärmer“, rechnet Scheytt vor. „Wenn man die Hälfte der Kiefern
rausnimmt oder sogar zwei Drittel, wird es 5 oder 7 Grad wärmer.“
Gutes Licht, schlechter Schatten: Diese Rechnung geht mit zunehmender Hitze
nicht mehr auf. Das hat nun auch die Senatsverwaltung für Umwelt erkannt.
„Es erfolgt in den Berliner Wäldern keine weitere Öffnung des Kronendachs�…
heißt es in einem Schreiben von Staatssekretärin Behrendt an die Berliner
Forsten. So wird also auch der Waldumbau überschattet vom Klimawandel.
## Ein Kasten soll es richten
Im Stiftswald von Neuzelle spielt Naturverjüngung ebenfalls eine große
Rolle. Doch was tun, wenn die Kiefern so dominant sind, dass weit und breit
kein Samenbaum zu finden ist, der die nötigen Eicheln und Bucheckern bereit
hält? Anders als bei anderen Laubbäumen ist der Radius der Naturverjüngung
vor allem bei Eichen begrenzt. „Die Eicheln fallen vom Baum, dort keimen
dann auch die jungen Eichen“, sagt Boris Schnittker. „Schon einige Meter
weiter ist dann theoretisch Schluss.“
Jedes Jahr 1,2 Millionen Eicheln ausbringen kann Boris Schnittker nicht.
Damit auch in den Kiefernforsten der Stiftung irgendwann die Eichen
übernehmen, machen sich die Forstleute das Vorratsmanagement eines Vogels
zu Nutze: Schnittkers Leute haben entlang der Kiefernforste in regelmäßigen
Abständen so genannte Häherkästen platziert.
Wo Ahorne dank ihrer geflügelten Samen noch mehrere hundert Meter vom
Mutterbaum entfernt keimen können, müssen bei den schweren Eichensamen
andere den Job machen. Also werden sie in die Kästen gelegt, wo Eichelhäher
sie sich schnappen und dann verbuddeln. Weil die Häher etwas vergesslich
sind, wissen sie am Ende nicht mehr so genau, wo überall die schmackhafte
Nahrung versteckt ist. So tragen also nicht nur die Bäume selbst zum
Waldumbau bei oder der Mensch, der ihnen nachhilft, sondern auch ein etwas
tüddeliger Waldvogel.
Allerdings kann es immer noch sein, dass dort, wo der Eichelhäher seine
Beute versteckt, zu viel Licht ist. Oder zu viel Schatten. Dann gewinnen
vielleicht andere das Wettrennen.
19 Aug 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Mischwald
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