Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sommerserie „Im Schatten“ (8): Häuser verkommen zur Litfaßsä…
> Überdimensionierte Werbeposter liegen im Trend. Für die
> Bewohner:innen betroffener Häuser ist das die Hölle – allzumal im
> brütend heißen Sommer.
Bild: Kein Licht, keine Luft, keine Freude: hinter riesigen Werbeplakaten wohnt…
Berlin taz | Das Schattendasein hat ein Ende, zumindest für die
Bewohner:innen eines Mietshauses an der Warschauer Straße in
Friedrichshain. Eine Gruppe muskulöser Gerüstbauer zieht eine riesige weiße
Plane vom Gerüst, faltet sie zusammen und verstaut sie auf der Ladefläche
eines Lkw. Sechs Riesenposter zierten die gesamte Fassade des Eckhauses.
Mal für den Lieferservice Uber Eats, mal für das neueste iPhone, mal für
einen aktuellen Kinofilm. „Durch die Plane kam kaum Luft in die Wohnung“,
beschwert sich ein Bewohner, mit dem die taz gesprochen hat. Dabei habe er
die Wohnung extra wegen des Balkons gemietet.
Auch die Besitzer des asiatischen Restaurants ärgerte die riesige
Fassadenwerbung, wegen des Gerüsts seien deutlich weniger Kunden in den
Laden gekommen. Um dem Gästeverlust entgegenzuwirken, warb der Laden mit
einem Baurabatt von 10 Prozent – was aber nicht wirklich funktioniert habe,
wie ein Mitarbeiter der taz sagt.
Überdimensionierte Fassadenwerbung liegt in Berlin im Trend. Seit Jahren
werden auch Gebäude verhangen, in denen Menschen wohnen. Gerade in
prominenten Lagen lohnt sich das Geschäft mit den Riesenpostern. So sehr,
dass die ohnehin schon laxen Regulierungen oft ignoriert werden. Sehr zum
Leidwesen der Bewohner:innen, die monatelang Dunkelheit, blockierte Sicht
und stehende Luft ertragen müssen.
Sebastian Bartels, der Geschäftsführer des [1][Berliner Mietvereins],
verfolgt die Problematik schon lange. Immer wieder kämen Mieter:innen in
die Beratung, weil sie plötzlich in einer dunklen Wohnung säßen. „In vielen
Fällen werden die Anzeigen nachts noch beleuchtet. Das ist eine Zumutung“,
sagt Bartels. Darüber hinaus habe es etwas besonders Demütigendes, wenn die
eigenen vier Wände zur Litfaßsäule werden. „Das ist echt ein Unding. Das
ist eine Wohnung und keine Werbefläche.“
## Die Logik hinter der Regelung
Doch in den meisten Fällen ist das Anbringen der Riesenposter legal
möglich. Voraussetzung ist, dass tatsächlich Bauarbeiten an der Fassade
durchgeführt werden, die sowohl ein Gerüst als auch eine Staubschutzplane
erfordern. Diese dürfe aber nicht „unüblich untransparent“ sein, wie es in
einem Rundschreiben der [2][Senatsverwaltung für Stadtentwicklung] von 2021
an die Bauaufsichten der Bezirke heißt. Die Logik hinter der Regelung: Wenn
ohnehin eine Plane an dem Gerüst angebracht werden muss, dann kann es auch
eine Plane mit Werbung sein.
Als maximale Genehmigungsdauer legt die Bauordnung sechs Monate fest.
Selbst wenn die Arbeiten an der Fassade länger dauern, muss die Werbung
weg. Ansonsten drohen Zwangsgelder und Beseitigungsanordnungen der
Bauaufsicht.
Auf dem Papier klingen die Regelungen sinnvoll. Doch in der Praxis lassen
sie viel Raum für Missbrauch. Denn die Motivation, es mit den Regelungen
nicht so genau zu nehmen, ist für die Eigentümer:innen hoch.
Werbeagenturen nehmen für ein fassadenfüllendes Riesenposter in prominenten
Lagen schon mal 250.000 Euro pro Monat. Die potenziellen Werbeeinnahmen
dürften bei so mancher Immobilie die Mieteinnahmen deutlich übersteigen.
Ob die Bauarbeiten tatsächlich erforderlich sind oder nicht, lässt sich in
vielen Fällen nur schwer überprüfen. Wie im Fall des Hauses an der
Warschauer Straße. Erst vor wenigen Jahren wurde die Immobilie nach einem
Brand komplett kernsaniert, das Dachgeschoss ausgebaut. Die Wohnungen
wurden in möblierte Einzelapartments aufgeteilt, die durch ein Unternehmen
für einen sportlichen Quadratmeterpreis weitervermietet werden.
## Meistens war es ruhig auf dem Gerüst
Bauarbeiter:innen waren auf dem Gerüst nur selten zu sehen, doch es
gab sie, wie eine Bewohnerin gegenüber der taz bestätigt. Allerdings war es
meistens ruhig. Wenn Arbeiter:innen kamen, seien sie nur wenige Stunden
geblieben. Dass die veranschlagte Baudauer zufällig genau der maximal
genehmigungsfähigen Dauer entsprach, stimmt skeptisch.
„Eine Standzeit des Gerüsts von sechs Monaten ist für die umfangreichen
Maßnahmen, welche verschiedene Gewerke durchführen, üblich und angemessen.
Die Dauer der Arbeiten ist nicht zu beanstanden und allein an der Bauzeit
orientiert“, teilt der Anwalt der Eigentümerin der Immobilie auf
taz-Anfrage mit. Da es sich bei dem Gebäude um einen Altbau handelt, sei es
nicht ungewöhnlich, dass nach einer Kernsanierung mit Dachstuhlausbau noch
Anpassungsarbeiten vorgenommen werden müssen. Es seien zudem alle
Vorschriften eingehalten worden.
Das ist nicht immer der Fall, Charlottenburg-Wilmersdorfs Baustadtrat
Christoph Brzezinski (CDU) etwa sagt zur taz: „Aus Sicht des Bezirksamtes
wurden in der Vergangenheit Bauarbeiten fingiert, um die Stellung eines
Gerüsts mit Werbung zu ermöglichen.“ Auch in Friedrichshain-Kreuzberg
berichtet das Bezirksamt von Versuchen, Gerüste aufzustellen, ohne
Bauarbeiten nachweisen zu können. Es habe ein, zwei Anträge gegeben, die
aber „nach Anforderung des Nachweises über die Beauftragung der
Fassadenarbeiten“ zurückgezogen wurden.
In den meisten Fällen bleibt den Bezirken aber nichts anderes übrig, als
das Gerüst zu genehmigen. „Es ist schon erstaunlich, wie oft man an ein und
derselben Fassade bauen kann“, sagt Charlottenburg-Wilmersdorfs
Umweltstadtrat Oliver Schruoffeneger von den Grünen zur taz.
## Die Bußgelder schrecken die wenigsten ab
In vielen Fällen bliebe die Werbung auch länger als sechs Monate hängen.
Dies sei zwar strafbar. Allerdings würden die Einnahmen die fälligen
Bußgelder mehr als aufwiegen. Und bis die Entfernung eines Posters
durchgesetzt ist, kann es schon mal ein paar weitere Monate dauern. „Die
Bußgelder sind in der Höhe der Portokasse“, sagt Schruoffeneger. Das würde
die wenigsten abschrecken.
„Die Regeln sind zu lax“, sagt auch Sebastian Bartels. Seit mehr als sechs
Jahren fordert sein Mieterverein daher eine Verschärfung, doch passiert ist
bisher wenig. Dabei beschloss das Abgeordnetenhaus 2021, Fassadenwerbung
stärker zu regulieren. Das einzige Ergebnis des Beschlusses: das erwähnte
Rundschreiben der Senatsverwaltung für Stadtverwaltung, in dem die
Bauaufsichten über geltendes Recht informiert wurden.
An einer stärkeren Regulierung zeigt auch der schwarz-rote Senat kein
Interesse. „Die Regelung der Bauordnung hat sich bewährt“, heißt es in
einer erst im Juli veröffentlichten Antwort aus dem Haus von
Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) auf eine parlamentarische
Anfrage der Linken-Abgeordneten Katalin Gennburg.
Düstere Aussichten also für alle Mieter:innen, die das Pech haben, dass ihr
Haus auch eine gute Werbeleinwand abgibt. Ganz hilflos sind Mieter:innen
trotz der Untätigkeit der Politik nicht. Eine Möglichkeit ist, das Recht
auf Mietminderung durchzusetzen. Das muss freilich individuell verhandelt
werden oder im äußersten Fall vor Gericht erstritten werden. Sinnvoll ist
es, sich an vergleichbaren Gerichtsurteilen zu orientieren. Sebastian
Bartels hält eine „Mietminderung von 5 bis 15 Prozent“ für üblich.
Noch härtere Bandagen bietet eine Unterlassungsklage. Paragraf 1004 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs spricht Eigentümer:innen einen „Beseitigungs-
und Unterlassungsanspruch“ zu, sollte ihr Eigentum gestört werden. „Mieter
haben das gleiche Recht an der Wohnung wie Eigentümer“, sagt Bartels. Wird
die Qualität der Wohnung durch ein ungerechtfertigtes Riesenposter
eingeschränkt, könnte eine Klage Erfolg haben. „Der Berliner Mieterverein
ermuntert dazu“, sagt Sebastian Bartels, „sich da zu wehren.“
9 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.berliner-mieterverein.de/
[2] https://www.berlin.de/sen/sbw/
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Sommerserie
Gebäudesanierung
Licht
Dunkelheit
Luftqualität
Werbung
Sommerserie
Sommerserie
Mischwald
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sommerserie „Im Schatten“ (7): Plötzlich ohne Abschluss
Migrant:innen arbeiten oft in rechtlichen Grauzonen, um ihrem gelernten
Beruf nachzugehen. Denn die Anerkennung von Ausbildungen ist langwierig.
Sommerserie „Im Schatten“ (6): Kaum Schatten im Krankenbett
Hitzewellen fordern in Berlin jedes Jahr mehrere Hunderte Tote. Gefährdet
sind vor allem Alte und Kranke. Das Hitzeschutzkonzept ist noch am Anfang.
Sommerserie „Im Schatten“ (5): Auf die Dosis kommt es an
Alle reden vom Waldumbau. Dabei geht es auch um ein Wettrennen der
Baumarten. Das Kronendach zu lichten, ist dabei nicht mehr das Gebot der
Stunde.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.