# taz.de -- Venezuela vor der Wahl: Wohin, Venezuela? | |
> Vor der Präsidentschaftswahl haben viele die Nase voll von Machthaber | |
> Maduro – doch der klebt an seinem Amt. Eine Reise in ein nervöses Land. | |
Caracas taz | Die Tunnel vom Flughafen nach Caracas hinein haben jetzt noch | |
schnell Beleuchtung und frisch gestrichene Markierungen bekommen. Techniker | |
des staatlichen Stromanbieters klettern am Autobahnrand in den Masten. | |
Arbeitstrupps hacken in sengender Hitze am Tunneleingang den Boden auf, | |
setzen Blümchen und Büsche ins neue Beet. Die Bewässerungsanlage liegt | |
schon in der Erde bereit. | |
Willkommen in Venezuela, dem Land, wo für Blumen Wasser und Elektrizität | |
vorhanden ist, aber für Menschen nicht unbedingt. Am Sonntag wählt die | |
bolivarische Republik. In der Anfahrt auf Caracas scheint es allerdings so, | |
als ob es eigentlich nur einen Kandidaten zur Auswahl gebe. Da hängt | |
zwischen Werbung für Shampoo, Schinken und Energydrinks nur ein Gesicht: | |
das von Nicolás Maduro. | |
Der autoritäre Präsident Maduro ist im elften Jahr an der Macht, und er | |
will eine dritte Amtszeit. Seine Vereinigte Sozialistische Partei (PSUV) | |
hat ihn aufgestellt. Doch zum ersten Mal in 25 Jahren liegt die bürgerliche | |
Opposition in Umfragen klar vorne. Der Erdölsozialismus, der von Venezuela | |
ausgehend Anfang des Jahrhunderts Lateinamerika eroberte, könnte am Sonntag | |
zu Ende gehen. | |
Das Öl machte das Land und seine Bevölkerung in den 70ern reich. Das sieht | |
man den in die Jahre gekommenen Hochhäusern an, und man merkt es an den | |
eisgekühlten Bürogebäuden, wo der hochsubventionierte Strom historische | |
Klimaanlagen speist, als ob es keine Klimakrise gäbe. | |
Nach dem Boom kamen: Verfall, Mangel und Exodus von fast acht Millionen | |
Venezolaner:innen. Wegen fallender Ölpreise, aber vor allem wegen | |
Korruption und Misswirtschaft, die sich durch den Staat fraßen. | |
Die Opposition ist bei dieser Wahl so geeint wie lange nicht. Ihr Kandidat | |
heißt Edmundo González Urrutia von der Demokratischen Einheitsplattform | |
(PUD). Der pensionierte Diplomat hat laut den glaubwürdigsten Umfragen rund | |
30 Prozent Vorsprung. Die Regierung hält sich an andere Umfragen, und gibt | |
sich siegessicher. | |
Carmen Arraque hofft auf einen Wechsel. Die zierliche Frau ist gelernte | |
Betriebswirtin und Dozentin, zwei Töchter. Arraque, 55 Jahre alt, wohnt in | |
einem der riesigen, in die Jahre gekommenen ehemaligen Sozialwohntürme in | |
La Vega. Heute wohnt hier die Mittelschicht. Etwas weiter oberhalb am Hang | |
beginnen die Armenviertel von La Vega, denen Maduros sozialistischer | |
Vorgänger Hugo Chávez vor 25 Jahren eine goldene Zukunft versprochen hatte. | |
In La Vega glaubte man seinen Versprechen: D[1][ie Sozialist:innen | |
gewannen hier jahrelang] haushoch alle Wahlen. Doch damit ist es vorbei, | |
nach allem, was man so hört. | |
La Vega zieht sich mitsamt der Straße auf und ab über Berg und Tal. Neben | |
den Siedlungen aus Wohntürmen und den Hütten der Ärmsten, haben viele | |
Gegenden Dorfcharakter – nur, das in diesen verstreuten Dörfern insgesamt | |
um die 200.000 Menschen wohnen. Die Häuser sind zweistöckig, farbig | |
gestrichen oder unverputzt, mit Läden und Geschäften im Erdgeschoss und | |
darüber Wohnungen. An den Fenstergittern trocknet die Wäsche. Zwischen den | |
Häusern spannt sich ein Chaos aus Stromleitungen. Motorräder flitzen an | |
Ständen unter Sonnenschirmen vorbei, Eier und andere Lebensmittel werden | |
hier von Anwohner:innen verkauft. | |
Von Arraques Wohnturm, der in ein Senke steht, bekommt man von dem Trubel | |
nichts mit. Sie blickt auf die grünen Berge. Unter Maduro schrumpfte das | |
Bruttoinlandsprodukt um 75 Prozent, Nahrungsmittel und Medikamente wurden | |
knapp. Voriges Jahr begann eine leichte wirtschaftliche Erholung, nachdem | |
die USA einige der gegen das autoritäre Regime verhängten Sanktionen | |
lockerten. Maduro dollarisierte die Wirtschaft und stoppte so die | |
Hyperinflation. Inzwischen sind die Supermärkte wieder voll. Doch der Preis | |
ist das Problem. Der ist oft ähnlich hoch wie in Deutschland – bei einem | |
Durchschnittsgehalt von weniger als 150 US-Dollar im Monat. | |
Wenn Arraque ihr Gehalt bekommt, fragt sie sich, was sie davon bezahlem | |
soll: Strom oder Telefon, Medikamente oder Eier? Ihr Gehalt im öffentlichen | |
Dienst beträgt 230 Bolivares, das sind um die 6 Dollar. Dazu kommen noch | |
Wertgutscheine etwa für Essen, die aber auch nicht viel ändern an der | |
Frage: Wovon leben? | |
Arraque arbeitet von zu Hause. Als Dozentin unterstützt sie Studierende bei | |
ihren Abschlussarbeiten. Und sie hat ein kleines Unternehmen für | |
Kunsthandwerk: Sie fertigt aus Kunstharz Schmuck, Schlüsselanhänger und | |
andere Objekte. | |
Krank darf sie nicht werden, denn selbst wenn die Behandlung in staatlichen | |
Krankenhäusern theoretisch gratis ist, müssen die Patient:innen vieles | |
selbst bezahlen, weil es schlicht nicht vorhanden ist. Als Arraque an der | |
Hüfte operiert wurde, trug sie die Kosten für Tupfer, Kittel, Medikamente, | |
Handschuhe, Spritze, für die Laken fürs Bett und für den Prothesenzement. | |
Nachsorge war nicht vorgesehen. Jetzt humpelt sie durch die Wohnung, das | |
eine Bein zieht sie nach, ihr Körper schmerzt. Es fehlen noch: eine | |
Hüft-OP, Eingriffe an Knie und Schulter. | |
Als Chávez 1998 Präsident wurde, war das ihr politisches | |
Erweckungserlebnis, erzählt sie. Sie war begeistert, dass die Einnahmen aus | |
dem Öl endlich Krankenhäuser und Schulen brachten; dass Programme Kinder | |
und Obdachlose von der Straße holten. | |
Doch die Liebe zum Chávismus verflog bei ihr schnell: „2000 verliebte sich | |
Chávez in Fidel Castro“, drückt sie es aus. Da sei das losgegangen mit „W… | |
nicht für mich ist, ist gegen mich“, mit Chávez’ Idee von der | |
Einheitspartei. Mit der Bereicherung im Staatsapparat und mit den | |
motorisierten Schlägertrupps auf den Straßen. | |
Arraque engagierte sich in politischen Organisationen der Opposition, die | |
nach und nach alle geschluckt wurden. Chávez’ Nachfolger Maduro sei noch | |
nie ihr Fall gewesen. Die Kumpeleien, die Männerwitze. „Ich habe für | |
Uniabschlüsse hart gearbeitet und die haben sie gekauft.“ | |
Deshalb macht sie jetzt nebenher freiwillig politische Bildung in ihrem | |
Viertel. Sie erklärt ihren Nachbar:innen, welche Rechte sie bei der Wahl | |
haben, wie das alles abläuft und wie sie sich gegen Manipulationen und | |
Einschüchterungen wehren können. „Sie manipulieren uns“, ist sich Arraque | |
sicher. „Da legt dir in der Warteschlange auf einmal die Person die Hand | |
auf die Schulter, die die subventionierten Lebensmittelpakete der Regierung | |
verkauft, und fragt: Weißt schon, wen du wählst?“ Arraque will, dass die | |
Leute nicht nach Bauch oder Geldbeutel entscheiden, wen sie wählen, sondern | |
nach ihrem freien Willen. Sie zieht [2][ein Modell des Wahlzettels] hervor: | |
„Fünf nach rechts und eins nach unten.“ Da will sie das Kreuzchen machen. | |
Auf dem Kopf von Edmundo González Urrutia. | |
Wenn die Amtierenden an der Macht bleiben wollen, appellierten sie in | |
Lateinamerika an ein positives Lebensgefühl, sagt Wahl-Expertin Eglée | |
Gonzalez Lobato. Dass es in der Krise wenig zu bejubeln gebe, habe aber | |
auch die Maduro-Regierung begriffen, sagt Lobato. Bleiben noch Vaterland, | |
Friede, Stabilität, die man ins Feld führen kann. Tja. | |
Die Opposition kann hingegen voll auf die Gegenemotion setzen: Trauer. Vor | |
allem der Schmerz über die Familien, die die Wirtschaftskrise | |
auseinandergerissen hat. Edmundo González hat mehrfach erwähnt, dass es die | |
auf der Suche nach Arbeit abgewanderten Menschen brauche, um das Land nach | |
der Krise wieder aufzubauen. Macht Millionen zerrissene Herzen, die auf ein | |
Wiedersehen hoffen. | |
„Unsere Kinder, unsere Familie sind weg, unsere Freund:innen. Wir müssen | |
sie durch ein Mobiltelefon sehen, können sie nicht umarmen. Wir sind es so | |
leid“, sagt Arraque, ihre Stimme bricht. Eine ihrer Töchter ging vor Jahren | |
nach Ecuador, als es an der hiesigen Uni keine Dozent:innen für ihr Fach | |
mehr gab. Dann sagt sie einen Satz, den man hier ständig hört: „Wir sind | |
müde.“ | |
Arraque ist tatsächlich nicht alleine mit diesem Gefühl: Da ist die | |
Lehrerin, die die Schnauze voll hat von den katastrophalen | |
Arbeitsbedingungen und der Frage, wie sie sich Monatsbinden leisten soll, | |
geschweige denn die neue Brille. Da ist der Justizangestellte, der der taz | |
erzählt, wie alle in seiner Abteilung für die Opposition stimmen wollen, | |
und sich aus Angst vor Repressionen nach außen als regierungstreu geben. | |
Dabei gelten die geschätzt 5,5 Millionen Staatsangestellten – davon 4,4 | |
Millionen Militärangehörige – neben den neureichen Eliten als Bastion des | |
Chávismus. | |
13-mal ist Maduros Kopf auf dem Wahlzettel zu sehen. So viele Parteien | |
haben ihn als Kandidaten übernommen. Dreimal ist González abgebildet, dazu | |
acht weitere Köpfe. Das Regime hat ein paar alteingesessene | |
Oppositionsparteien gekapert, deren Kandidaten durch Regierungstreue | |
getauscht, aber das Logo der Parteien belassen. Darauf könne man leicht | |
hereinfallen, sagt Arraque. | |
Freitagabend im Barrio Petare im Osten von Caracas. Die Musik dröhnt bis | |
weit auf den Parkplatz, auf dem viele Jeeps stehen. Ein neues Restaurant | |
mit Musik aus den Llanos, dem weiten Weideland Südamerikas, eröffnet heute. | |
In den großen Ebenen schlägt das venezolanische Herz besonders stark, hier | |
sind die Cowboys daheim, die sich als die wahren Männer sehen. Am Eingang | |
röstet bergeweise Fleisch auf Holzkohle. Es ist ein ehemaliger | |
Vizeminister, der hier heute sein Restaurant eröffnet. Er schüttelt Hände. | |
Auf den Toiletten gibt es drei Flüssigseifen für Damen, aber weder | |
Toilettenpapier noch einen Halter dafür. Die Wandfarbe schaut schon nach | |
wenigen Stunden mitgenommen aus. Der Salat ist nichts Besonderes, die | |
frittierte Maniok innen roh und schlaff statt knusprig, das Fleisch | |
trocken, die Rechnung saftig. „In einem Jahr wird es diesen Ort nicht mehr | |
geben“, sagt ein Gast. Muss es auch nicht. | |
Das Lokal ist ein Beispiel für die Geschäfte der „Enchufados“. Die | |
„Eingestöpselten“, die sich an das Regime angedockt haben und sich am Staat | |
hemmungslos bereichern. Sie sind die Gewinner der Krise. Sie sind die, die | |
kein Nummernschild am Auto brauchen, weil sie für einflussreiche Politiker | |
ergaunerte Gelder waschen. Dank ihnen sprießen in Caracas unter anderem | |
überteuerte Restaurants mit luxuriöser Fassade. Vom klassischen | |
Unternehmertum brauchen die Besitzer:innen wenig Ahnung zu haben: Geld | |
muss nicht gemacht werden, sondern gewaschen. Bevorzugt aus Korruption und | |
Drogenhandel. | |
„Korruption wird es immer geben“, sagt Anwalt Juan Hernández (Name | |
geändert). „Das Problem ist die Ineffizienz. Dieser Staat ist langsam und | |
korrupt, er reagiert spät und falsch.“ Außerdem missfällt ihm Maduros | |
Außenpolitik, er will eine klare Linie. Hernández wählt, seit er 18 ist. | |
Zuletzt die Sozialisten. Heute ist er Mitte fünfzig und fühlt sich zum | |
ersten Mal verloren, sagt er. Er will einen leeren Stimmzettel abgeben, um | |
seine Ablehnung auszudrücken. | |
Die Politik von Maduros Vorgänger Hugo Chávez fand er gut, weil er mit den | |
Einnahmen aus dem Öl die Lebensbedingungen verbessert habe – ohne sich | |
selbst als Chavisten bezeichnen zu wollen. Maduro sei eine schlechte Kopie | |
von Chávez. So viel Geld aus dem Öl und so viel Armut, das gehe nicht | |
zusammen. | |
Doch die Opposition kommt für ihn „niemals“ infrage. „Diese Leute vertre… | |
nicht die Interessen meines Landes, sondern die der USA. Das sind alles | |
Personen, die Privilegien verloren haben und sie wiedergewinnen wollen.“ Da | |
klingt er fast wie Maduro. Die Opposition sieht er in einer Linie mit dem | |
selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó von 2019 bis 2023 und mit | |
der Politik vor Hugo Chávez, als von den Einnahmen aus dem Öl auch nur eine | |
Minderheit profitiert habe. | |
Die Wahl am Sonntag entscheidet für ihn zwischen „Krieg und Frieden“. „W… | |
der Chavismus nicht mit sehr großer Mehrheit gewinnt, wird es Konflikte | |
geben.“ Dass er gewinnt, daran hat er keine Zweifel. „Viele Menschen in | |
Venezuela glauben trotz allem immer noch, dass der Chavismus der einzige | |
Weg ist, um Dinge zu verbessern.“ | |
Die Opposition hat nicht nur keine Wahlplakate, sondern ihre wichtigste | |
Figur darf nicht einmal antreten, nach dem man sie wegen fadenscheiniger | |
Korruptionsvorwürfen verurteilt hatte: María Corina Machado. Sie hatte | |
vorigen Herbst die parteiinternen Vorwahlen mit über 90 Prozent gewonnen. | |
Machado reist dennoch gemeinsam mit González Urrutia, dem Ersatzkandidaten, | |
durchs Land. Wo sie ist, bejubeln Menschenmassen sie wie eine Volksheilige. | |
Auch Carmen Arraque imponiert sie. „Sie ist rebellisch und macht, was sie | |
will.“ Gegen die Machos in der Politik, die Arraque nur zu gut kennt. Als | |
die ausbremsen wollten, gründete sie ihre eigene Bewegung. „Ihre Familie | |
hat viel Geld und sie hat trotzdem hart gearbeitet, studiert.“ | |
Das Regime legt ihr Steine in den Weg, wo es nur geht: Die Nationalgarde | |
blockiert Straßen und Brücken. Wo Machado war, werden Lokale geschlossen, | |
Hoteliers festgenommen, Schiffern die Boote weggenommen. Wer ihr und | |
Gonzalez eine Dienstleistung oder [3][eine Empanada verkauft], riskiert | |
Repressionen. Mehrere Mitarbeiter:innen des Wahlteams wurden | |
verhaftet. Letzte Woche klagte Machado über ein „Attentat“ an ihrem Wagen, | |
mit Schmierereien und durchgeschnittenen Bremsschläuchen. Die | |
Ermittlungsbehörde befand sofort: Alles Fake. Mehr als 100 | |
Wahlkampfhelfer:innen der Opposition sind in Haft, laut der | |
Nichtregierungsorganisation Foro Penal. Sie verlängern die Liste der | |
politischen Gefangenen, die schon vor dem [4][Wahlkampf bei rund 300 lag]. | |
Einer davon ist Andrés, der Sohn von Rosalia Román (Namen geändert). Andrés | |
habe nur einen gefüllten Maisfladen an der Ecke kaufen wollen, erzählt | |
Román. Die Polizei nahm ihren Sohn fest und behauptete später, sie hätten | |
ihn ganz woanders bei einer Operation gegen eine Terrororganisation | |
aufgegriffen. Maduro sieht allenthalben Verschwörungen und Mordkomplotte am | |
Werk. Die Staatsanwaltschaft wirft Andrés Terrorismus, kriminelle | |
Vereinigung, illegalen Waffenhandel und Verleitung eines Jugendlichen zur | |
Begehung einer Straftat vor. Beweise dafür hat bislang niemand zu Gesicht | |
bekommen. | |
Jetzt steht Román vor der Ermittlungsbehörde, in der Hand ein | |
Protestplakat, auf dem sie die Freilassung ihres 39-jährigen Sohnes | |
fordert. Sie wird begleitet von zwei Dutzend weiteren Protestierenden in | |
weißen T-Shirts mit der Aufschrift: „Freiheit für die politischen | |
Gefangenen“. Sie halten Tafeln mit Namen und Fotos hoch, haben Bilder auf | |
den Gehsteig gelegt, halten eine weiße Rose in der Hand. „Folter ist | |
Staatspolitik in Venezuela“, steht auf einem Plakat. Das Mikrofon versagt | |
gegen den Straßenverkehr. Immerhin, ein paar Medienvertreter:innen | |
sind gekommen. | |
Seit drei Jahren sitzt Andés bereits in Untersuchungshaft. Drei Wünsche hat | |
Rosalia Román: Gerechtigkeit und Freiheit für ihren Sohn und dass „die alle | |
verschwinden“. Und deshalb wird sie am Sonntag für Gonzalez Urrutia | |
stimmen. | |
Am Sonntag schlägt die Stunde der Wahrheit. Bis dahin liegen die Nerven | |
blank. Die Opposition fürchtet groß angelegten Wahlbetrug. Denn Maduro | |
kontrolliert den Wahlrat, die Armee, die Justiz und das Parlament. | |
Maduro drohte mit einem Blutbad, sollte er verlieren – und verschreckte | |
damit ehemalige Verbündete wie den linken brasilianischen Präsidenten Luiz | |
Inácio Lula da Silva. Der sagte ihm diese Woche klipp und klar, in der | |
Demokratie entschieden die Urnen, und wer verliere, der gehe nach Hause. | |
Die Regierung fährt derweil noch ihre letzten Trümpfe auf: | |
Blutdruckmessungen und Gratispillen für Alte, Schlaglöcher werden | |
zubetoniert, die einheimische Währung wird mit Dollars der Zentralbank | |
künstlich stabil gehalten. | |
Kurz vor den Wahlen verschärfte die Regierung die Zensur und ließ noch ein | |
paar weiteren Onlinemedien die Seiten abstellen. Das Unternehmen Proton hat | |
für die Wahlen extra seinen VPN-Server kostenlos für Venezuela | |
freigeschaltet. Die EU-Wahlbeobachter:innen sind ausgeladen, das | |
US-amerikanische Carter-Center und die UNO durften mit verkleinertem | |
Expertenteam ins Land, können aber nur eingeschränkt arbeiten. | |
Die Wahlautomaten gelten unter Expert:innen hingegen als zuverlässig, | |
vor allem, weil sich die Stimmabgabe mithilfe der Papierbelege | |
nachvollziehen lasse, sagt González Lobato, die wahlpolitische Beraterin | |
und Dozentin an der Universidad Central de Venezuela. | |
„Statt von Wahlbetrug spricht sie deshalb von „betrügerischen Wahlen“: | |
viele Vorteile fürs Regime, viel Behinderung der Gegenseite. Auch wenn die | |
Opposition davon spricht, für über 90 Prozent der Wahltische Zeug:innen | |
organisiert zu haben: Sie könnten daran gehindert werden, an ihren | |
Arbeitsplatz zu kommen, die Wähler:innen nicht bis zu den Urnen – und | |
sei es, indem man ihnen weismacht, dass diese manipuliert seien, und sie | |
daher daheim blieben. Es wurden auch mehr Wahltische eingerichtet: Verkauft | |
als bürgernah, erschwert das die Kontrolle – weil es mehr Zeugen braucht | |
und weil die neuen Orte sich herumsprechen müssen. | |
„Egu“ hat versprochen, einen Wandel einzuleiten, „ohne jemanden | |
auszuschließen“, wie der Oppositionsführer selbst sagt. Ganz der | |
pensionierte Diplomat, der er ist. Wo Maduro derb flucht und schimpft und | |
droht, ist Egu besonnen und leise. | |
Maduro flimmert in der Innenstadt als Comicheld „Superschnurrbart“ über die | |
Fassade und veröffentlicht noch schnell einen Spielfilm über sein Leben. | |
Von González ging ein Foto viral, auf dem er die Papageien auf seinem | |
Balkon füttert – wie so viele Caraqueños in den Abendstunden. | |
Experten sehen „Egu“ als moderaten Vermittler – anders als María Corina | |
Machado. Die steht klar im rechten ideologischen Lager und hat mit ihrem | |
Team als Einzige ein Wahlprogramm verschriftlicht. Es ist liberal, setzt | |
auf Privatisierungen und die Privatwirtschaft statt auf einen allmächtigen | |
Staat. | |
Doch das schreckt Carmen Arraque nicht. Das wird besprochen, wenn die Wahl | |
gewonnen ist. „Wir brauchen jemanden, der verhandeln kann, damit es nicht | |
das Blutvergießen gibt, von dem Maduro spricht.“ González war unter Chávez | |
Diplomat, er wisse, wie der Chavismus ticke. Und er wisse, wie man Lösungen | |
sucht. Sie traut ihm zu, die Machtübergabe zu organisieren, | |
Parlamentswahlen anzusetzen, die staatlichen Gewalten wieder zu trennen. | |
Und dann die wirtschaftlichen Probleme anzupacken. | |
Was wird am Montag nach der Wahl passieren? Ungewissheit, auch darüber „Sie | |
werden die Macht niemals freiwillig übergeben“, sagen die, die sich für | |
alle Fälle mit Lebensmitteln eindecken. Wird es Proteste geben? Was wird | |
die Armee tun? Und was, wenn Maduro gewinnt? | |
Der 28. Juli, der Wahlsonntag, er könnte erst der Anfang sein von | |
wechselvollen Tagen für Venezuela. | |
27 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.caracaschronicles.com/2019/03/27/how-chavismo-lost-la-vega/ | |
[2] http://www.cne.gob.ve/web/normativa_electoral/elecciones/2024/eleccion_pres… | |
[3] https://www.nytimes.com/2024/0r6/16/world/americas/venezuela-election-coroz… | |
[4] https://foropenal.com/ | |
## AUTOREN | |
Sarah Himmel | |
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