# taz.de -- Publizist über Wahlen in Venezuela: „Der Chavismus ist sehr gesc… | |
> Bei den Präsidentschaftswahlen in Venezuela im Juli könnte die Opposition | |
> gewinnen, wenn die Wahl fair läuft, meint der Publizist Andrés Cañizález. | |
Bild: Präsidentschaftskandidat Edmundo González Urrutia in Caracas, 16. Mai | |
taz: Herr Cañizález, zur Präsidentschaftswahl in Venezuela am 28. Juli | |
treten 37 Parteien mit 12 Kandidaten an. [1][Nicolás Maduro] will natürlich | |
Präsident bleiben, aber das ist doch mal Auswahl? | |
Andrés Cañizález: Das sind zum größten Teil Kandidaten einer loyalen | |
Opposition, Leute, die nicht offen für den Chavismus kämpfen, aber eben | |
auch keinen Wechsel anstreben. Die echte Opposition erkennst du an den | |
vielen Steinen, die ihr in den Weg gelegt wurden. Kann die derzeit | |
populärste Person in Venezuela kandidieren? Nein, María Corina Machado | |
wurde von dem Rechnungsprüfungsamt disqualifiziert, das von Maduros | |
Regierung abhängt. | |
Wie viele echte Oppositionskandidat:innen gibt es denn Ihrer | |
Einschätzung nach? | |
Einen. Edmundo González Urrutia. | |
Edmundo González Urrutia war mal Botschafter in Argentinien und Algerien, | |
ist 74, Generalsekretär des Oppositionsbündnisses – was weiß man denn sonst | |
über ihn? | |
Wir lernen Herrn González gerade erst kennen. Er war immer politisch | |
engagiert, aber immer im Hintergrund, hatte nie ein relevantes Amt inne. | |
Die sozialen Netzwerke hat er nicht benutzt, sodass er wenig Angriffsfläche | |
bietet. Er ist ein ruhiger Mensch, will eine Rückkehr zur traditionellen | |
Politik vor Chávez. In Venezuela wohnen heute vor allem ältere Menschen, | |
[2][weil die Jungen ausgewandert sind.] Er spricht sie an. | |
Wie ist denn die Lage der Opposition in Venezuela derzeit? | |
Nach Jahren der Zersplitterung ist es den oppositionellen Kräften in | |
Venezuela erstmals wieder gelungen, ihre Differenzen zu überwinden und sich | |
zu einigen. Das ist neu. | |
Und der Chavismus, die Bewegung um Nicolás Maduro? | |
Der Chavismus ist sehr geschwächt, auch gibt es im Inneren verschiedene | |
Strömungen. Aber er hat immer noch die Kontrolle. Nicolás Maduro ist weiter | |
an der Macht. Aber wenn die Wahlen stattfinden und einigermaßen fair | |
ablaufen,würde Maduro verlieren. | |
Sehen Sie dafür eine Chance? | |
Venezuelas Regierung ist ein autoritäres Regime. Aber es bemüht sich um | |
internationale Anerkennung. Das liegt daran, dass die Regierung mehrere | |
Jahre in internationaler Isolation verbracht hat nach den Wahlen von 2018, | |
bei denen Maduro praktisch keinen Gegenkandidaten hatte. Maduro braucht | |
diesen demokratischen Anstrich, um sich als legitimer Präsident anerkennen | |
zu lassen. Deshalb besteht er auch auf der Anwesenheit internationaler | |
Wahlbeobachter:innen. | |
Werden die Wahlbeobachter:innen etwas finden? | |
Am Tag der Wahl wird die Regierung keinen Betrug begehen müssen. Der Betrug | |
wird nicht am Wahltag stattfinden, sondern vorher. Die Disqualifizierung | |
der wichtigsten Oppositionsführerin ist Teil davon. Denn diese Frau hat zum | |
Beispiel gar keine öffentlichen Gelder verwaltetet (das | |
Rechnungsprüfungsamt wirft ihr Korruption unter der | |
Guaidó-Interimsregierung vor – obwohl sie dieser nicht angehörte; Anm. d. | |
Red.). | |
Wird Nicolás Maduro wieder Präsident? | |
Vor ein paar Monaten hätte ich noch gesagt: Maduro wird wiedergewählt | |
werden. Heute habe ich Zweifel. Ich weiß noch nicht, was passieren wird. | |
Das liegt am Druck der Opposition, der Unzufriedenheit in Venezuela mit der | |
Maduro-Regierung und am Verhalten der internationalen Akteure. | |
Warum lehnen laut Umfragen 80 Prozent der Venezolaner:innen Maduro | |
ab? | |
Ein Großteil der Unzufriedenheit hat mit der Wirtschaftskrise zu tun. Viele | |
junge Leute denken darüber nach, das Land zu verlassen. Im Moment warten | |
viele ab, was bei den Wahlen passiert. Ich denke, wenn Maduro gewinnt oder | |
sich nachträglich aufzwingt, wird die Auswanderung deutlich ansteigen. | |
Laut der Prognose des Internationalen Währungsfonds soll das reale | |
Bruttoinlandsprodukt 2024 um 4 Prozent wachsen. Spüren die Menschen in | |
Venezuela eine Verbesserung? | |
Innerhalb der Städte, vor allem in Caracas, gibt es Blasen, in denen mehr | |
konsumiert wird, in denen es mehr Produkte gibt. Das betrifft eine | |
Mittelschicht, die es geschafft hat, im Ausland zu arbeiten oder an Dollars | |
zu kommen. Entweder durch Überweisungen von Verwandten, die ausgewandert | |
sind, oder weil sie einen dollarisierten Arbeitsplatz haben. Ihr | |
Unternehmen bezahlt in Bolívar, aber zum Dollarkurs. Studierende arbeiten | |
zum Beispiel als Communitymanager für Venezolaner, die ins Ausland gegangen | |
sind. Sie zahlen ihnen dann lächerliche 50, 80 Dollar monatlich. Aber im | |
Vergleich zu Mindestlohn und Rente von umgerechnet 3,57 Dollar ist das eine | |
Menge. Damit Sie sich das vorstellen können: 15 Eier kosten 2,75 Dollar. | |
Dazu gibt es eine Klasse, die sich bereichert hat, weil sie viele Geschäfte | |
mit der Regierung macht. Aber für die meisten hat sich die Situation nicht | |
verbessert. [3][Den Bauern- und Arbeiterfamilien auf dem Land geht es so | |
schlecht wie noch nie]. | |
Hat Oppositionskandidat González Vorschläge, um die Lage zu verbessern? | |
Bisher ist noch nichts bekannt. Wir sind aber an einem Punkt angelangt, an | |
dem die Leute genug haben und jeden wählen werden, solange nicht Maduro | |
rauskommt. | |
Welche Ausgänge halten Sie für möglich? | |
Es kann passieren, dass die Wahlen noch abgesagt werden. Es könnte sein, | |
dass Maduro verliert und die Ergebnisse nicht anerkennt und die Kandidaten | |
inhaftieren lässt. Da der Chavismus die Macht über die Institutionen | |
besitzt, kann er viele Mittel für diese Strategie einsetzen. Oder es kommt | |
zu einem zweiten Guatemala (er meint Präsident Bernardo Arévalo; Anm. d. | |
Red.), indem sich die etablierte Macht verkalkuliert und jemand, der nicht | |
der Favorit war, am Ende gewinnt. Aktuell habe ich den Eindruck, dass genau | |
so etwas passieren könnte. | |
21 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Gebietsstreit-Venezuela-und-Guyana/!5978183 | |
[2] /Flucht-aus-Venezuela/!5995441 | |
[3] /Flucht-aus-Venezuela/!5995441 | |
## AUTOREN | |
Katharina Wojczenko | |
## TAGS | |
Venezuela | |
Präsidentschaftswahl | |
Hugo Chavez | |
Nicolás Maduro | |
Caracas | |
Social-Auswahl | |
Venezuela | |
Schwerpunkt Flucht | |
Venezuela | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Spannungen Venezuela und Argentinien: Asyl in Argentiniens Botschaft | |
Sechs Oppositionelle suchen Schutz vor Verhaftung in Argentiniens Botschaft | |
in Caracas. Argentinien gewährt Asyl und verhandelt über ihre Ausreise. | |
Flucht aus Venezuela: Die Aussicht auf Glück | |
Viele Venezolaner*innen fliehen vor Armut und Korruption ins | |
Nachbarland Brasilien. Sie landen trotz Arbeitserlaubnis oft auf der | |
Straße. Warum? | |
USA und Venezuela einig: Heimkehr nach Caracas und DC | |
Die USA lassen den Maduro-Vertrauten und mutmaßlichen Geldwäscher Alex Saab | |
frei. Dafür können zehn in Venezuela inhaftierte US-Amerikaner nach Hause. |