# taz.de -- Forscherin über parasoziale Beziehungen: „Wie eine Art Freund*in… | |
> Parasoziale Beziehungen zu Stars oder Influencer:innen machen Spaß. | |
> Doch sie können in Zeiten des Rechtsrucks auch gefährlich sein. | |
Bild: Es gibt Menschen, die kommen mit der Trennung von Justin Bieber und Selen… | |
taz: Frau Olbermann, als parasoziale Beziehungen werden einseitige | |
Beziehungen zwischen dem Konsumenten und den medialen Persönlichkeiten, | |
beispielsweise Stars oder [1][Influencer*innen], bezeichnet. Ist das | |
nicht einfach ein Fan? | |
Zoe Olbermann: Nein, es gibt einen großen Unterschied und der liegt in | |
[2][der Emotion]. Es fühlt sich für die Partizipierenden nämlich wie eine | |
wirklich zweiseitige Beziehung an. Wir haben also nicht nur – anders als | |
beim Fan-Sein – eine Beziehung zu der Medienperson, weil wir beispielsweise | |
ihre Musik gut finden. | |
Bei einer parasozialen Beziehung habe ich stattdessen das Gefühl, dass die | |
Person ein Teil meines alltäglichen Lebens ist, eine Art Freund*in. Ich | |
identifiziere mich mit ihr. Wenn die Person vielleicht betrogen wird, dann | |
fühlt sich das für mich auch so an, als wäre ich mit betrogen worden. Ich | |
leide mit der Person und feiere natürlich auch ihre Erfolge. Wie eben in | |
einer Freundschaft. | |
Können Sie Beispiele nennen? | |
Da ist die Trennung von Justin Bieber und Selena Gomez in 2018. Bis heute | |
sagen sich Fans: „Okay, Justin Bieber darf nicht mit Hailey Bieber zusammen | |
sein und eigentlich darf er niemand anderen lieben als Selena Gomez.“ Da | |
kommt es zu Anfeindungen, weil die Leute eine so starke parasoziale | |
Beziehung zu Selena Gomez haben, dass sie sich bis heute eigentlich von | |
Justin Bieber mit betrogen fühlen. | |
Natürlich ist die Zweiseitigkeit in Wirklichkeit nur eine Illusion und man | |
weiß eigentlich nichts über ihr Privatleben. Trotzdem fühlt es sich es an, | |
als wäre Selena Gomez eine Freundin. Und nach der Trennung hat man nun mal | |
auch ein schlechtes Verhältnis zu ihrem Ex-Partner. | |
Ich erinnere mich noch an die Trennung von Take That und wie sehr das die | |
Fans mitgenommen hat. Eigentlich sind parasoziale Beziehungen nichts Neues | |
oder hat sich da etwas verändert? | |
[3][Social-Media-Plattformen] liefen eine neue Ebene von Nahbarkeit. Das | |
hat große Auswirkungen. Je nahbarer, je zugänglicher ich Medienpersonen | |
nämlich wahrnehme, desto schneller entstehen parasoziale Beziehungen und | |
desto intensiver werden sie auch. Und schon wie Instagram und Tiktok | |
funktionieren, fördert das parasoziale Beziehungen. Sobald wir uns auf | |
Tiktok ein Video, was in unserem Feed landet, zu lange angucken, sind wir | |
in der Algorithmus-Bubble gefangen. | |
Das heißt, wir schauen uns ein Taylor-Swift-Video an, schauen uns das | |
vielleicht nochmal ein zweites Mal an, weil uns das jetzt gut gefallen hat, | |
und sofort spielt uns der Algorithmus nur noch Taylor-Swift-Content aus. | |
Und das führt natürlich dazu, dass wir in sehr kurzer Zeit sehr, sehr viele | |
Medienrezeptionssituation mit Taylor Swift haben. Und das kann zu einer | |
engen parasozialen Beziehung führen. Das bedeutet, das Phänomen an sich ist | |
nicht neu, aber es funktioniert, wie so vieles irgendwie durch Social | |
Media, in viel kürzerer Zeit, viel schneller und viel intensiver. | |
Einige Künstler*innen und Influencer*innen scheinen es darauf | |
anzulegen, parasoziale Beziehung aufzubauen und sich nahbar zu zeigen. Sie | |
gehen zum Beispiel live, zeigen ihre Häuser, ihre Morgenroutine etc. und | |
nehmen die Leute in ihren angeblichen Alltag mit. Warum ist das so | |
interessant für Künstler, so eine intensive Fanbasis aufzubauen? | |
Wir wissen aus der Forschung, dass freundschaftliche parasoziale | |
Beziehungen für die Künstler*in von Vorteil sein können. Dadurch werden | |
sie als sympathischer, vertrauenswürdiger und glaubwürdiger wahrgenommen. | |
Je stärker die parasoziale Beziehung ist, desto wahrscheinlicher ist es, | |
dass der Rezipient, die Produkte, die die diese Influencer*innen | |
bewerben, kaufen. | |
Das bedeutet bei einer Künstler*in, zu der wir eine starke parasoziale | |
Beziehung haben, gehen wir eher auf ein Konzert, kaufen uns eher das Album, | |
bestellen uns eher Merch-Produkte, und das geht auch in so einen | |
politischen, aktivistischen Kontext über. | |
Wie meinen Sie das? | |
Wir wissen aus Studien zu Greenfluencer*innen, also Influencer*innen, die | |
ein umweltbewusstes Leben bewerben, dass parasoziale Beziehungen auch unser | |
umweltpolitisches Engagement fördern. Das heißt, wir übernehmen quasi so | |
ein bisschen die Einstellungen von den Personen und handeln auch | |
dementsprechend. Wir wissen aus der Forschung, dass parasoziale Beziehungen | |
einen Einfluss darauf haben, wie wir Aussagen und Botschaften von den | |
Medienpersonen verarbeiten. In der Forschung sprechen wir von der | |
sogenannten oberflächlichen Verarbeitung. | |
Das bedeutet, dass wir auf einmal nicht mehr gucken, ob das gute Argumente | |
sind, die die Person verwendet. Wir machen keinen Faktencheck. Wir achten | |
nicht darauf, was für Quellen sie verwendet oder ob sie überhaupt Quellen | |
verwendet. Man kann sich diese parasozialen Beziehungen wie so einen | |
Deckmantel des Vertrauens vorstellen, die sich über die Aussagen legen. Und | |
das ist für die Medienperson natürlich von Vorteil, aber gleichzeitig | |
natürlich, vor allem im gesellschaftspolitischen Kontext, auch wahnsinnig | |
gefährlich. | |
In den letzten Wochen wurde sehr viel über den Einfluss von Social Media, | |
gerade Tiktok, auf das Wahlverhalten der Erstwähler*innen diskutiert. | |
Welche Rolle spielen parasoziale Beziehungen in dem Kontext? | |
Auf Social Media posten Politiker*innen auch nicht politischen | |
Content. Wir sehen, wie Markus Söder bei McDonald’s sitzt, wie Manuela | |
Schwesig mit der Tochter im Urlaub ist oder wie Hendrik Wüst für seine | |
Familie kocht. Das heißt, Politiker*innen stellen sich in | |
Alltagssituationen dar, um Nahbarkeit, Zugänglichkeit und Ähnlichkeit zu | |
präsentieren. | |
Dieses Gefühl der Ähnlichkeit und der Nahbarkeit fördert parasoziale | |
Beziehungen und kann dazu führen, dass wir Aussagen der Politiker*innen, um | |
die es ja eigentlich gehen sollte, vielleicht nicht mehr kritisch | |
hinterfragen, sondern denken: „Ah, die Person wirkt so sympathisch.“ Das | |
ist nicht neu, sondern nur eine Weiterentwicklung der „Homestorys“ von | |
früher. Spannend ist, dass die AfD ganz anders verfährt. | |
Ich habe auch nicht das Gefühl, dass beispielsweise Maximilian Krah zeigt, | |
wie sein Haus oder sein Tagesablauf aussieht. | |
Das stimmt. Wir haben uns im Zuge der Europawahl in einem Seminar mit | |
Studierenden die unterschiedlichen Tiktok-Accounts der Parteien angeschaut. | |
Auffällig war, dass der Account der AfD der, ich sage mal, unpersönlichste | |
war. Jeder Post erhielt eine politische Botschaft: knackige Slogans, völlig | |
übertrieben, völlig aus dem Kontext gerissen, aber eben eine politische | |
Aussage. Die parasozialen Beziehungen finden stattdessen über | |
Influencer*innen statt. | |
Können Sie das näher erläutern? | |
Im Umkreis der AfD tummeln sich viele Influencer*innen, bei dem über das | |
Profil eben nicht zu erkennen ist, dass die Person AfD-Mitglied ist. Auch | |
wird jetzt nicht unter jedem Post direkt ein blaues Herz gepostet. Es kann | |
stattdessen erst einmal ganz allgemein um Alltagsthemen gehen: Da ist das | |
erste Bild ein Blick auf den Strand, das zweite ein Bild vom Essen. Also | |
erst mal typisch Influencer*in. | |
Dann kommen ab und an eben rechtspopulistische, rassistische und | |
diskriminierende Aussagen. Das ist natürlich dann besonders gefährlich. Zu | |
dem Zeitpunkt besteht potentiell bereits eine parasoziale Beziehung und die | |
User*innen vertrauen der rechten Influencer*in und hinterfragen die | |
Aussagen weniger. Zudem ist es gerade für die jungen Nutzer*innen nicht | |
ersichtlich, dass es einen Zusammenhang zu einer rechten Partei gibt und | |
diese Aussagen nicht von der netten Influencer*in stammen. | |
Das funktioniert? | |
Es ist tatsächlich die schlauere Strategie. Diese klassischen „Homestorys“ | |
von Politiker*innen von anderen Parteien, mit denen sie sich als | |
nahbar darstellen wollen, funktionieren nicht immer. Es kann sogar sehr | |
schnell als lächerlich wahrgenommen werden. Dahingegen folgen viele junge | |
Leute Influencer*innen und kennen daher diese Art und Weise der | |
Kommunikation sehr gut. Sie können sich mit ihnen viel besser | |
identifizieren und die Aussagen wirken authentischer. Das kann dazu führen, | |
dass dann eben die Ansichten der Influencer*in teilweise übernommen | |
werden. | |
Das klingt gefährlich, aber auch schwierig zu überwinden. Die Plattformen | |
sind dagegen wohl machtlos, oder? | |
Genau. Auf Instagram hat man die Möglichkeit, politischen Content aus dem | |
eigenen Feed zu verbannen. Wenn man aber wie die AfD eben über „klassische“ | |
Influencer*innen geht, politische Schlagwörter vermeidet und auf die | |
parasoziale Beziehung zu den User*innen setzt, kann man diesen Filter | |
ziemlich gut umgehen. Heißt, ihre Botschaften kommen durch, die der anderen | |
Parteien nicht. | |
Gibt es Möglichkeiten für Eltern oder Lehrer*innen, da einzugreifen? | |
Es ist erforderlich, dass diese Strategien in Schulen thematisiert wird. | |
Die Schüler*innen sollten darüber aufgeklärt werden, dass es keine | |
authentische Meinungsaussage von einer netten Influencer*in ist. | |
Dahinter stecken Teams, die sich genau überlegen, wie sie die User*innen | |
für sich gewinnen können. | |
Außerdem sollte es die Möglichkeit geben, im Geschichtsunterricht virale | |
Aussagen aus Social Media zu besprechen. Es ist wichtig, dass man beim | |
Thema Propaganda nicht nur eine Rede aus der NS-Zeit analysiert. Man sollte | |
zusätzlich auch mal so einen Account anschauen und die Werkzeuge dieser | |
politischen Kommunikation analysieren. | |
24 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Laila Oudray | |
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