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# taz.de -- „Jedermann“-Premiere in Salzburg: Goldjunge mit großer Klappe
> Mit Philipp Hochmair in der Hauptrolle packt Robert Carsen den
> „Jedermann“ bei den Hörnern. Beim Publikum der Salzburger Festspiele
> kommt das an.
Bild: Die Show muss weitergehen: Philipp Hochmair als Jedermann, Deleila Piasko…
Wenn der erste „Jedermann“ vor dem Dom in Salzburg über die Bühne geht,
beginnt der Festspielsommer. Dann ist Salzburg nicht nur ein hübsches
Mozart-Museum, sondern eine ziemlich lebendige Kulturmetropole.
Hugo von Hofmannsthals „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ ist mit
seinen 14 Vorstellungen die Cashcow und zugleich die heilige Kuh des
Unternehmens Festspiele. So viele Edeldirndln, Lederhosen und geflochtene
Haarkränze im Publikum gibt’s nirgends sonst.
Dass auch dieses Publikum die Smartphones nicht mehr brav in der Tasche
lässt, sondern immer wieder rausholt, ist eine eher unangenehme Art von
Modernität (obwohl es der ziemlich heutige Jedermann dann auch mal wie ein
Influencer zückt). Das bewusst didaktische katholische Erbauungsstück
selbst steht jedoch unter Artenschutz. Zumindest hier. Und es zieht das
Publikum an, weil kein avisierter Jedermann und keine auserkorene
Buhlschaft (als effektvollste kleinste Nebenrolle) dazu Nein sagt. Allein
schon, um selbst Teil einer Galerie des Mimenruhms zu werden.
Die Regisseure haben es da schon schwerer, aber wenigstens die Chance,
einen Schimmer von Gegenwart auf die Variationen des immer Gleichen zu
werfen und mit szenischer Originalität zu glänzen. In letzter Zeit Michael
Sturminger sogar mit drei verschiedenen Inszenierungen in Folge. Die
vorjährige [1][mit Michael Maertens als Jedermann] wurde aus nicht
nachvollziehbaren Gründen schon nach einem Jahr wieder aus dem Programm
genommen. Wahrscheinlich wegen zu viel Gegenwartsbeleuchtung.
Die neue Schauspielchefin Marina Dawydowa hatte so, ehe sie noch an der
Salzach etabliert war, schon mit allerhand Wirbel zu tun. Dass der
versierte, an großen Bühnen gefragte, nie wirklich verstörende kanadische
Opernregisseur Robert Carsen hier eine andere, irgendwie text- oder sonst
wie kritische Gangart einlegen würde, war freilich nicht zu erwarten.
## Cabrio und Discokugel
Wenn jetzt bei der Premiere unter freiem Himmel mit Idealwetter
Zwischenapplaus aufbrandet, als der neue Jedermann Philipp Hochmair
(bekannt aus diversen TV-Serien und Mittelpunkt [2][des Films
„Wannseekonferenz“)] im Grunde als partygieriger Goldjunge mit ziemlich
großer Klappe im güldenen Luxuscabrio mit Chauffeur vors Domportal (als
seinen Protzpalast) rollt, dann ist das typisch für die optischen Effekte
von Glanz und Glamour, Paillettenglitzer und Discokugel, auf die die
Carsen-Ästhetik samt einem riesigen Statistenaufgebot baut. Was als
unterhaltsame Show vor allem im ersten Teil auch tatsächlich funktioniert.
Wenn dann aber Dominik Dos-Reis den Tod als braven Handlanger Gottes im
Messdienergewand gibt und sich am Ende, wenn er sich noch mal beim Publikum
versichert, ob da alles an Belegung angekommen ist, selbst zu den weiß
gewandeten Toten legt, dann ist das auch eine symptomatische Rolle
rückwärts aus dem Potenzial des Stücks.
So, wie es andererseits zu einem veritablen Temperamentsausbruch Christoph
Lusers kommt, wenn der nach seinem flapsigen, zu seinem Goldboss passenden
Guten Gesellen in demselben Anzug als Teufel auftritt. Erst kommt er zu
spät – der einsichtige Delinquent hat die Schwelle zur Kirche schon
übertreten, und ihn hält eine Art unsichtbare elektrische Teufelssperre
draußen (ein hübscher, eher mittlerer Einfall), woraufhin er eindrucksvoll
ausrastet, sich dabei sogar das Hemd vom Leib reißt und wutschnaubend in
die Dunkelheit entschwindet. Während Jedermann so einsichtsvoll ins Grab
steigt, dass das schon den Kitsch touchiert.
## One-Man-Show
Hochmair macht sich die Rolle auf seine körperliche Art zu eigen und kapert
den Text im Hochmair-Duktus. Aber anders als sein Vorgänger, der den Text
von innen leuchten ließ und auch infrage stellte, reitet er ihn wie einen
Stier und versucht ihn bei den Hörnern zu packen.
Beim Publikum kassierte er dafür ab. Auch wenn man ihm vor allem den
abrupten Übergang vom Goldjungen zum einsichtigen Sünder nicht wirklich
abnehmen mag, in der Jedermann-Galerie hat er eh schon einen Platz. Als
quasi Aus-dem-Stand-Einspringer für Moretti 2018. Und auch mit seiner
eigene One-Man-Show „Jedermann reloaded“.
[3][Deleila Piasko] ist eine zupackend sinnliche Buhlschaft, die wie Lady
Macbeth die Aussetzer Jedermanns beim Partyevent überspielt, Andrea
Jonsson der Prototyp der würdig besorgten Mutter. Kristof Van Boven
springt als Mammon wie das Alter Ego Jedermanns und vergisst keines der
teuren Bilder mitzunehmen … Die Show kam an – das Publikum applaudierte
stehend. Weder der Hochmair-pur-Jedermann noch der Carsen-wie-zu-erwarten
waren angeeckt.
## Zwischen Himmel und Hölle
Dafür wird sich freilich in 172 Aufführungen unter dem Motto „Bewegungen
zwischen Himmel und Hölle“ bis Ende August schon noch etwas finden. Am
wenigsten wahrscheinlich Christian Thielemans konzertantes
Richard-Strauss-„Capriccio“ mit den Wiener Philharmonikern. Dass Teodor
Currentzis wieder bei Castelluccis „Don Giovanni“ mit seinem neu
formierten Utopia Orchestra dabei ist, könnte die Kontroverse um seine
Person befeuern.
Interessanter dürfte die von Krzysztof Warlikowski inszenierte Begegnung
mit Mieczysław Weinbergs „Idiot“ werden, bei der die litauische Dirigentin
Mirga Gražinytė-Tyla die Wiener Philharmoniker dirigiert. Auch Prokofjews
„Spieler“, für den Peter Sellars die Karten mischt, bei dem aber Asmik
Grigorian das eigentlich Ass ist. Das gilt sicher auch für Marc
Minkowski, wenn er bei „Les contes d’Hoffmann“ die Wiener Philharmoniker
dirigiert.
Es ist wie immer ein Aufmarsch von Stars am Pult und auf der Bühne. Beim
Schauspiel stehen die Sternstunden (der Menschheit) schon im Titel, dazu
„Zauberberg“ und eine „Orestie“-Version … Es heißt immer mal, die
Festspiele seien in der Krise. So was stellt man sich irgendwie anders vor.
21 Jul 2024
## LINKS
[1] /Jedermann-in-Salzburg/!5946173
[2] /Die-Wannseekonferenz-im-ZDF/!5827932
[3] /Netflix-Serie-Transatlantic/!5924746
## AUTOREN
Joachim Lange
## TAGS
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