| # taz.de -- Die wichtigsten Antworten zu H5N1: Zahlreiche Infektionen bei Rinde… | |
| > Die Vogelgrippe springt vermehrt auch auf Säugetiere über. Könnte sie die | |
| > nächste Pandemie auslösen? Und was ist das verursachende Virus H5N1? | |
| Bild: Der jüngste Move des Vogelgrippe-Virus: Auch Rinder können sich ansteck… | |
| Greifswald/Berlin dpa | Viele Jahrzehnte schon sorgt die Vogelgrippe für | |
| heftige Erkrankungswellen unter Vögeln. Große Säugetiere ließ sie bisher | |
| verschont. Das hat sich plötzlich geändert. Wie groß ist die Gefahr für | |
| Menschen? | |
| In den USA steigt die [1][Zahl der mit Vogelgrippe infizierten Rinder]. | |
| Mehr als 130 erfasste H5N1-Infektionen in einem Dutzend US-Bundesstaaten | |
| gibt es nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC inzwischen. Noch immer | |
| sei die Datenlage zu den Übertragungen dünn und Gegenmaßnahmen liefen nur | |
| schleppend an, bemängelt der Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts | |
| (FLI), Martin Beer. Bekommen die USA den Erreger nicht in den Griff, „hätte | |
| man unter Umständen weltweit eine völlig neue Rinderkrankheit“. | |
| Das Virus H5N1 kursiert seit Jahrzehnten verstärkt unter Vögeln – zunächst | |
| in Asien, inzwischen nahezu weltweit. Wasserbüffel oder andere Rinder-Arten | |
| habe es in all den Jahren nie befallen, sagt Beer. 2021 gelang dem Erreger | |
| der Sprung nach Nordamerika – und plötzlich, erstmals wohl im Herbst 2023, | |
| erkrankten Kühe. Forscher sind überrascht und zunehmend besorgt. | |
| Weltweit werden 1,5 Milliarden Rinder gehalten, wie Beer sagt. Entstünde | |
| aus H5N1 eine neue, global auftretende Rindergrippe, stiege auch das Risiko | |
| für andere Nutztiere – etwa wenn verunreinigte Rohmilch an Schweine | |
| verfüttert wird. Hinzu kommt: Ein Säugetier ist dem Menschen biologisch | |
| näher als ein Vogel. Das Zoonose-Risiko – also das Risiko für einen | |
| Übergang vom Tier auf den Menschen – kann abhängig von den erfolgten | |
| Anpassungen größer sein, wie Beer erklärt. | |
| ## Um was für ein Virus geht es? | |
| H5N1 ist ein Influenza-A-Virus wie die beim Menschen kursierenden Erreger | |
| der saisonalen Grippe. H und N bezeichnen zwei Eiweiße der Virushülle: | |
| Hämagglutinin und Neuraminidase. Sie kommen jeweils in verschiedenen | |
| Subtypen vor (H1 bis H16 und N1 bis N9). Der Name H5N1 bedeutet also die | |
| Kombination der Eiweiße H5 und N1 auf der Oberfläche der Variante. | |
| Seit 1997 werden verstärkt auf H5N1 zurückgehende Ausbrüche erfasst, wie | |
| FLI-Experte Beer erklärt. Seit 2016 breite sich eine Untervariante des | |
| Erregers aus, die sogenannte Klade 2.3.4.4b. Folge waren verheerende | |
| Vogelgrippe-Ausbrüche in inzwischen fast allen Teilen der Welt bei | |
| Wildvögeln, auch Geflügel und – seltener – Säugetiere wie Meeressäuger, | |
| Nerze, Füchse und Bären waren betroffen. Verschont blieb – bisher – nur | |
| Australien. | |
| ## Wie passierte der Sprung zum Rind? | |
| Nach derzeitigem Analysestand gehe der Ausbruch in den USA womöglich auf | |
| einen einzelnen Eintrag zurück, erklärt Beer. Wie diese Übertragung vom | |
| Wildvogel auf eine Kuh ablief, etwa über verunreinigtes Futter, | |
| kontaminierte Einstreu oder direkten Kontakt, sei unklar. Doch eines wissen | |
| Forscher inzwischen: „Gelangt das Virus ins Euter, vermehrt es sich dort | |
| sehr stark“, sagt Beer. | |
| Das liege auch an den Rezeptoren im Euter: Anders als etwa die in der | |
| Rindernase seien sie perfekte Andockstellen für die H5N1-Variante – ähnlich | |
| wie die Rezeptoren bei Vögeln. „Das Euter ist für das Virus quasi ein | |
| Huhn.“ Über verunreinigtes Melkgeschirr gelange der Erreger zu anderen | |
| Milchkühen, durch Transporte in immer neue Betriebe und Regionen. | |
| ## Wie ist die Situation in den USA zu beurteilen? | |
| Noch lasse sich nicht absehen, ob die schleppend beginnenden Gegenmaßnahmen | |
| in den USA rechtzeitig greifen. „Es kann sein, dass der Spuk in einiger | |
| Zeit vorbei ist“, sagt Beer. „Wenn das Virus inzwischen nicht schon lernt, | |
| effizient über die Nase von Rind zu Rind weitergegeben zu werden.“ In | |
| diesem Fall lasse sich eine weitere Verbreitung nur noch schwer stoppen. | |
| Bei Tests und Schutzmaßnahmen existiere ein Flickenteppich an Regeln, ein | |
| umfassendes, US-weites gezieltes Suchen nach infizierten Rindern und | |
| strenge Sperrmaßnahmen gebe es bisher nicht. „In Europa wäre das | |
| einheitlicher“, sagt Beer. Auch gebe es hier – ein Erbe aus der Zeit der | |
| Rinderseuche BSE – quasi das „gläserne Rind“, also eine durchgängige | |
| Nachverfolgbarkeit aller Rinder mit einer eindeutigen Kennzeichnung und | |
| entsprechende Datenbanken. In den USA fehle das. | |
| Die US-Behörden scheinen weit davon entfernt, die Verbreitung der | |
| Vogelgrippe unter Rindern schnell zu stoppen. Zwar seien erste | |
| Überwachungsprogramme für mehr Tests initiiert worden, allerdings meist auf | |
| freiwilliger Basis, sagt Beer. „So etwas klappt eigentlich nur, wenn es | |
| verpflichtend ist. Sonst bleiben Lücken.“ | |
| ## Liegen die eigentlichen Zahlen noch höher? | |
| Aus der Analyse von Milchproben und anderen Hinweisen lasse sich schließen, | |
| dass es eine Dunkelziffer nicht erfasster Fälle gebe, so Beer. Viele | |
| US-Rinderfarmen sind riesig, teils werden deutlich mehr als 1.000 Tiere | |
| gehalten. Insgesamt gibt es darum nur rund 26.000 Milchviehbetriebe, wie | |
| Beer sagt. Zum Vergleich: Allein in Bayern seien es auch etwa 26.000, | |
| deutschlandweit rund 50.000. | |
| In einem Massenbetrieb fallen Infektionen nicht unbedingt sofort auf – und | |
| Farmer sind nicht erpicht darauf, im Zuge von Nachweisen womöglich den | |
| ganzen Betrieb lahmgelegt zu bekommen. Bei möglichen Übertragungen auf | |
| Menschen kommt hinzu, dass in den USA regional viele Illegale in Betrieben | |
| arbeiten – die auch mit entsprechenden Symptomen einen Arztbesuch eher | |
| meiden. | |
| ## Können sich Menschen bei Rindern anstecken? | |
| Drei Fälle bei Menschen wurden laut CDC im Kontext des Ausbruchs in | |
| US-Milchviehhaltungen bisher erfasst. Jedes Mal sei eine | |
| Bindehautentzündung eines der Symptome gewesen, erklärt Beer. „Der Mensch | |
| hat die Vogelgrippe-Rezeptoren im Auge.“ Fasst sich ein Arbeiter zum | |
| Beispiel beim Melken ans Auge, kann der Erreger andocken. | |
| Pasteurisierte Milch gilt als unbedenklich, wie gerade eine im Journal of | |
| Virology vorgestellte Studie bestätigte. In 20 Prozent der etwa 300 | |
| untersuchten pasteurisierten Milchprodukte aus 132 | |
| US-Verarbeitungsbetrieben wurden demnach nichtinfektiöse Spuren des viralen | |
| Erbguts gefunden, infektiöses Virus in keinem einzigen Fall. | |
| Eine Infektion über Rohmilch gilt hingegen als möglich. Farm-Katzen haben | |
| sich in den vergangenen Monaten schon häufig über aufgeschleckte Rohmilch | |
| angesteckt. In zahlreichen der erfassten Fälle starben sie, wie Beer sagt. | |
| „Das Virus infiziert bei ihnen meist auch das Gehirn.“ Ganz neu sei diese | |
| Erkenntnis nicht: Auch in Polen und Südkorea habe es schon | |
| [2][Vogelgrippe-Ausbrüche bei Katzen gegeben] – immer über kontaminierte | |
| Nahrung, bisher nicht von Katze zu Katze. | |
| Anders ist das bei bestimmten Meeressäugern sowie für die Pelztierzucht | |
| gehaltenen Arten wie Nerz und Polarfuchs. Für Meeressäuger gelten | |
| Übertragungen zwischen Artgenossen als hoch wahrscheinlich, bei Tieren in | |
| Pelztierfarmen als weitgehend gesichert, wie Beer sagt. | |
| Auch bei ihnen stehen neurologische Symptome, also Hirnschäden, im | |
| Vordergrund. Der Anteil tödlich erkrankter Tiere ist hoch. „Bei den sehr | |
| seltenen Fällen beim Menschen gibt es solche neurologischen Symptome nicht, | |
| sondern eher die für eine Grippe klassischen Atemwegsprobleme.“ | |
| ## Wie groß ist das Risiko für Deutschland? | |
| Bisher sind H5N1-Infektionen nur von Rindern in den USA bekannt. Da weder | |
| Kühe noch Rohmilch nach Europa importiert würden, sei das Risiko einer | |
| Einschleppung gering, sagt Beer. Von importiertem Rindfleisch gehe nach | |
| derzeitigem Stand keine Gefahr aus. | |
| Versuche am FLI ergaben allerdings, dass auch die in Deutschland | |
| kursierende H5N1-Form Rinder infizieren kann. Das Virus habe sich im Euter | |
| vermehrt und Kühe hätten Krankheitssymptome wie Milchbildungsrückgang, | |
| Veränderung der Milchkonsistenz und Fieber gezeigt, teilte das Institut | |
| kürzlich mit. Die Risikoeinschätzung – sehr gering – ändere sich dadurch | |
| nicht. | |
| In diese Einschätzung spielt hinein, dass es – anders als etwa in Nord- und | |
| Südamerika – derzeit keine größere H5N1-Welle unter Wildvögeln in Europa | |
| gibt. „Es ist so ruhig wie seit Jahren nicht mehr“, sagt Beer. „Seit | |
| einigen Wochen nimmt die Zahl der Nachweise ganz deutlich ab.“ | |
| Womöglich habe sich vorerst eine Art Herdenimmunität aufgebaut. Ein | |
| Sommerloch bei den Infektionen war lange Zeit typisch für die Vogelgrippe – | |
| bis die Klade 2.3.4.4b ihren Zug um die Welt begann. Doch irgendwann werde | |
| die Population wieder empfänglich für eine nächste Welle sein, so Beer. | |
| ## Was bedeutet 2.3.4.4b in der Summe für den Menschen? | |
| So viel Tierleid mit 2.3.4.4b verbunden ist – für Menschen ist die Variante | |
| zunächst harmloser als zuvor kursierende H5N1-Formen. Der Erreger sei stark | |
| an Vögel angepasst, erklärt Beer. Seit 2016 habe es durch Viren dieser | |
| Klade weniger als 20 erfasste und meist milde Infektionen bei Menschen | |
| gegeben – bei anderen Varianten zuvor seien es hunderte gewesen. | |
| Das Virus an sich ist also harmloser für Menschen – und doch auch nicht, | |
| weil es schon wegen der schieren Masse an Infektionen in Vogelpopulationen | |
| öfter den Weg zu Säugetieren findet. Die können eine Art „Mischbatterie“ | |
| sein, wie Beer erklärt: Sei etwa ein Nerz oder ein Schwein mit | |
| verschiedenen Influenza-A-Formen infiziert, könne ein neuer, für Menschen | |
| gefährlicherer Erreger entstehen. | |
| „Es ist schon sehr wichtig, dass man H5N1 auf dem Schirm hat“, so Beer. Auf | |
| den Risikolisten für eine Vogelgrippe-Zoonose liege der Erreger aber „nur“ | |
| im Mittelfeld: Von H7N9, das in seltenen Fällen bereits von Mensch zu | |
| Mensch übertragen wurde, und H5N6, das ebenfalls bereits bei Menschen | |
| auftrat, sowie einigen Schweineinfluenza-Viren gehe nach aktueller | |
| Einschätzung ein größeres zoonotisches Risiko aus. | |
| ## Wo ist enge Beobachtung nötig? | |
| „Pelztierfarmen sind ein Faktor, der lange viel zu wenig im Blick war“, | |
| betont Beer. Analysen aus China zeigten, dass unter den Tieren eines | |
| solchen Betriebes alle möglichen Influenzaviren kursieren können – was zu | |
| einem potenziell gefährlichen Gemisch führen könnte. | |
| In [3][Dänemark und den Niederlanden sei die Haltung nach zahlreichen | |
| Corona-Infektionen bei Pelztieren im Zuge der Pandemie noch immer | |
| gestoppt], in Deutschland gebe es ohnehin keine. In Finnland würden solche | |
| Farmen nach den Problemen mit Sars-CoV-2 und H5N1 umfassend überwacht. | |
| „Doch es gibt viele Pelztiere in Ländern mit sehr wenig Überwachung“, gibt | |
| Beer zu bedenken. China zum Beispiel produziere einige Millionen Nerzfelle | |
| jährlich. Hinzu kämen unter anderem Millionen Marderhunde und Füchse. Auch | |
| Belarus sei ein großer Produzent ohne transparente Überwachung. | |
| ## Wäre es wie bei der Coronapandemie? | |
| Die genauen Eigenschaften eines möglichen Erregers lassen sich nicht | |
| voraussagen. Klar ist aber: Es wäre nicht die erste große | |
| Influenza-A-Pandemie. Insgesamt vier gab es seit 1900: 1918/19 die | |
| Spanische Grippe (H1N1), auf die 1968 die Hongkong-Grippe (H23N2), 1977 die | |
| Russische Grippe (H1N1) und 2009/10 die Schweinegrippe (H1N1) folgten. | |
| „Die Situation ist eine ganz andere als bei Sars-CoV-2“, erläutert Beer. | |
| Influenza-Stämme werden schon lange überwacht. Vorbeugend würden regelmäßig | |
| Kandidaten-Impfstoffe für eine schützende Impfung gegen potenziell eine | |
| Pandemie verursachende Varianten festgelegt. Ein solcher Impfstoff sei | |
| kürzlich von 15 EU-Ländern geordert worden. Vorsorglich geimpft werden | |
| damit bereits Mitarbeiter finnischer Pelztierfarmen. | |
| Generell gilt, anders als beim Coronavirus: „Man weiß schon sehr lange, was | |
| man machen muss für einen Influenza-Impfstoff“, sagt Beer. Klassisch | |
| erfolge die Produktion in Hühnereiern, inzwischen werde auch an | |
| mRNA-Impfstoffen gearbeitet. Im Falle des Falles könnte es also schnell | |
| gehen mit einer Massenproduktion schützender Impfstoffe. | |
| 3 Jul 2024 | |
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