# taz.de -- Urteil gegen Knockout51: Haftstrafen für Rechtsextreme | |
> Jahrelang verübte der Neonazi-Schlägertrupp Knockout51 Gewalt. Nun wurde | |
> die Führung zu Haftstrafen verurteilt – nicht aber für einen | |
> Terrorvorwurf. | |
Bild: Es werden Plädoyers im Prozess gegen mutmaßliche Neonazis erwartet | |
Jena taz | Es ist ein Urteil, dass unter den zahlreich anwesenden | |
Rechtsextremen im Publikum des Oberlandesgerichts Thüringen für beste | |
Stimmung sorgt. Zwar verkündet der Vorsitzende Richter Martin Giebel am | |
Montag Haftstrafen bis zu drei Jahren und zehn Monaten für das | |
Führungsquartett [1][der rechtsextremen Kampfsportgruppe Knockout51]. Aber | |
die Bundesanwaltschaft hatte fast doppelt so hohe Strafen verlangt. | |
Zudem hebt Giebel die U-Haft von Anführer Leon Ringl auf – und teilt gegen | |
die Bundesanwaltschaft aus. „Konstruiert“ und „lebensfern“ seien deren | |
Terrorvorwürfe gewesen. Der Angeklagte Eric K. grinst, die Neonazis im | |
Publikum tun es ihm gleich. „Na bitte“, bemerkt einer zufrieden. | |
Es ist das vorläufige Ende einer jahrelangen Gewaltserie in Thüringen. | |
[2][Schon vor gut fünf Jahren gründete sich Knockout51 um Anführer Leon | |
Ringl in Eisenach], der dort auch die Szenekneipe Bulls Eye betreibt. Rund | |
20 Mitglieder soll die Gruppe gehabt haben, auch eine „Jugend“. Trainiert | |
wurde [3][im „Flieder Volkshaus“, der Thüringer Parteizentrale der Ex-NPD], | |
jetzt „Heimat“. Auch ein Waffenlager soll es dort gegeben haben. | |
Die Gruppe führte „Kiezstreifen“ durch, Migranten wurden in Chats als | |
„Drecksvieh“ beschimpft, auf einem Foto wurde mit Hitlergruß posiert, das | |
örtliche Linken-Büro mit Steinen attackiert. Und immer wieder wurden | |
Menschen schwer verprügelt, teils bis zur Bewusstlosigkeit, weil sie | |
vermeintlich Linke, Polizisten oder Drogenkonsumenten waren. Das Ziel, so | |
die Anklage: einen „Nazi-Kiez“ zu errichten. | |
Daneben fuhr die Gruppe aber auch in andere Bundesländer, um am Rande von | |
Coronademos linke Gegendemonstrierende oder Polizisten anzugreifen. In | |
Tschechien wurden Schießtrainings abgehalten. Ringl baute sich eine | |
Deko-Waffe scharf um, versuchte auch mit einem 3D-Drucker eine | |
halbautomatische Maschinenpistole herzustellen. | |
## Langer Streit um Terrorvorwurf | |
Jahrelang ging dieses Treiben so – bis die Bundesanwaltschaft den Fall | |
übernahm und im April 2022 Ringl und drei Mitbeschuldigte festnahm. | |
[4][Seit August vergangenen Jahres] stand das Quartett nun vor dem | |
Oberlandesgericht in Jena. Die Anklage führte die Bundesanwaltschaft, die | |
Knockout51 spätestens seit 2021 als terroristische Vereinigung sah. Denn ab | |
da habe die Gruppe – nachdem Autonome zuvor [5][zwei Mal versucht hatten, | |
Ringl anzugreifen] – gezielt Auseinandersetzungen mit Linken gesucht, um | |
diese mit Messern zu töten oder einem Auto zu überfahren. | |
Den Terrorvorwurf aber hatte das Oberlandesgericht schon zu Prozessbeginn | |
nicht zugelassen, sondern nur den einer kriminellen Vereinigung. Auch im | |
Prozess blieb es dabei, im April hob der Senat auch die Haftbefehle gegen | |
die drei Mitangeklagten neben Ringl auf. Die Bundesanwaltschaft kritisierte | |
beides als rechtsfehlerhaft und forderte auch zuletzt noch eine | |
Verurteilung der Angeklagten als Terrorgruppe und Haftstrafen bis zu sieben | |
Jahren. | |
Richter Giebel räumt am Montag ein, dass die Positionen im Prozess | |
„kontrovers“ gewesen seien. Der Senat habe sich aber letztlich keiner der | |
„Extrempositionen“ angeschlossen, so Giebel. Verurteilt wird das Quartett | |
als kriminelle Vereinigung, für gefährliche Körperverletzungen und | |
Waffenverstöße. „Eindeutig“ sei die Gruppe nicht auf Mord und Totschlag | |
ausgelegt worden, also keine Terrorgruppe, erklärt Giebel. Genauso wenig | |
sei Knockout51 aber ein reines Sportprojekt gewesen, wie es die | |
Verteidigung behauptete. Diese hatte für die Angeklagten Freisprüche, | |
Geldstrafen und für Ringl höchstens drei Jahre Haft gefordert. | |
Giebel sieht in Knockout51 eine „Kampfgruppe nationalsozialistischer | |
Prägung“, die ihre Ziele auch mit Gewalt vertreten habe und auf ein | |
„offensives Verbreiten rechtsextremer Ideologie“ ausgerichtet gewesen sei. | |
Ziel sei es gewesen, jenseits der Polizei eine eigene „Ordnungsmacht“ in | |
Eisenach zu etablieren. | |
## Die Opfer noch verhöhnt | |
Und Giebel zählt noch einmal das Dutzend schwerer Übergriffe der | |
Angeklagten auf: Die Opfer erlitten dabei teils mehrfache Knochenbrüche in | |
Gesichtern, einige mussten mehrere Wochen ins Krankenhaus. Die Angriffe | |
seien teils öffentlich inszenierte Bestrafungsaktionen gewesen, so Giebel. | |
Vor allem der Mitbeschuldigte Eric K. habe völlig empathielos zugeschlagen, | |
die Opfer später noch verhöhnt. Der 21-Jährige verfolgt die | |
Urteilsbegründung weitgehend belustigt. Er erhält eine Jugendstrafe von | |
zweieinhalb Jahren. | |
Dann holt Giebel gegen die Bundesanwaltschaft aus. Der Terrorvorwurf dürfe | |
nicht inflationär verwendet werden, weder bei den „Klimaklebern“ noch hier | |
bei Knockout51, zieht Giebel einen gewagten Vergleich. „Sonst verliert der | |
Begriff jede Kontur.“ Auch später, als die Gruppe darüber diskutierte, | |
Linke zu töten, falls diese sie erneut angreifen würden, sei dies lediglich | |
angedachte Notwehr gewesen, so Giebel. Und auch die Waffenbeschaffung habe | |
nur der Selbstverteidigung und Abschreckung gedient. Auch hier reagieren | |
die Rechtsextremen im Publikum mit breitem Grinsen. Andere Zuhörende im | |
Publikum schütteln den Kopf. | |
Die Bundesanwaltschaft hatte diesen Annahmen im Prozess zuvor deutlich | |
widersprochen. Die behauptete Notwehr sei nur ein Deckmantel gewesen, um | |
politische Gegner zu töten, erklärten ihre Vertreter. Die rechtsextreme | |
Kampfsportszene dürfe nicht unterschätzt werden. Der Vertreter der | |
Bundesanwaltschaft ließ am Montag vor Ort offen, ob seine Behörde | |
Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird. | |
Ringl und die Mitangeklagten wurden nach dem Urteil derweil von ihren | |
Gesinnungskameraden freudestrahlend in die Arme genommen. Die waren teils | |
bis aus Dortmund angereist – Knockout51 war gut vernetzt. Ringls Mutter saß | |
weinend im Saal, als dort die U-Haft ihres Sohnes aufgehoben wurde. „Nach | |
dem Urteil geht’s nach Sylt“, flachste Eric K. im Saal. | |
## Harsche Kritik am Urteil | |
Die Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss nannte das Urteil | |
einen „Skandal“ und „Freifahrtsschein für extreme Rechte“. Auf die | |
Verurteilten werde es kaum Eindruck machen. Erneut zeigten sich Thüringer | |
Gericht unfähig, „einen adäquaten Umgang mit der extremen Rechten zu | |
finden“. Schon zuletzt hatte es in dem Freistaat milde Urteil für | |
Rechtsextreme nach schweren Gewalttaten in [6][Ballstädt] oder | |
[7][Fretterode] gegeben. Auch die Opferberatungsstelle ezra nannte das | |
Urteil eine „gefährliche Verharmlosung“ von Knockout51. Die Gefahr für | |
Betroffene vor Ort sei nicht gebannt. | |
Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf, die auch als | |
BSW-Spitzenkandidatin zur Thüringer Landtagswahl antritt, sagte der taz, | |
das milde Urteil habe sich „leider angedeutet“. Für sie blieben nach dem | |
Prozess „viele Fragen offen“. Es sei aber „gut, dass mit einem solchen | |
Ermittlungsaufwand und Verfolgungsdruck auf die rechtsradikalen Strukturen | |
in Eisenach und Thüringen geblickt wurde“, so Wolf. „Ich hoffe, dass die | |
Erkenntnis bleibt, dass man zukünftig eher auf die Hinweise aus der | |
Zivilgesellschaft reagiert.“ | |
Die Ermittlungen offenbarten zudem, dass Knockout51 auch Kontakte zu | |
Eisenacher Polizisten hatte. In Gruppenmitglied nannte einen Beamten in | |
einem Chat einen „Kumpel“. Richter Giebel verliert dazu kein Wort. Gegen | |
sechs Polizeibeamte wurde zuletzt ermittelt, denen vorgeworfen wird, | |
Interna an die Gruppe weitergegeben und Informationen zu Knockout51 ohne | |
dienstlichen Grund abgerufen zu haben. Ein Verfahren wurde inzwischen | |
eingestellt, die anderen fünf laufen noch. Als am Ende das | |
Bundeskriminalamt gegen die Knockout51 ermittelte, wurde die Thüringer | |
Polizei nicht mehr involviert. | |
Noch während des Prozesses kam es zu Festnahmen und Durchsuchungen von | |
[8][15 weiteren Rechtsextremen], denen Straftaten oder eine Unterstützung | |
von Knockout51 vorgeworfen werden, darunter gegen dem Thüringenchef der | |
„Heimat“-Partei Patrick Wieschke sowie Ringls Schwester und Mutter. Sie | |
alle dürften sich demnächst ebenfalls vor Gericht verantworten. | |
1 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Prozess-gegen-Knockout51/!5950710 | |
[2] /Prozess-gegen-Knockout51/!5950710 | |
[3] /Thueringer-Neonazis-verhaftet/!5980365 | |
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[5] /Urteile-im-Linksextremismus-Prozess/!5934710 | |
[6] /BGH-hebt-Urteil-gegen-Neonazis-auf/!5995136 | |
[7] /BGH-hebt-Urteil-gegen-Neonazis-auf/!5995136 | |
[8] /Thueringer-Neonazis-verhaftet/!5980365 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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