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# taz.de -- US-Thriller „Love Lies Bleeding“ im Kino: Gesprengte Ketten
> Der Spielfilm „Love Lies Bleeding“ von Rose Glass verbindet Sozialdrama
> und Thriller zu einem blutigen Akt weiblicher Selbstermächtigung.
Bild: Kristen Stewart und Katy O'Brien in „Love Lies Bleeding“
In Albuquerque ist es heiß und gefährlich. Dieses Bild vermitteln
zahlreiche Serien und Filme. Die Großstadt im US-Bundesstaat New Mexiko
wird als Hauptumschlagplatz von Drogen inszeniert. Ihre Luft ist mit
Testosteron geschwängert. Hinter jedem Wüstenstrauch lauern Schießereien
zwischen Polizei und Drogenmafia.
1989, in irgendeinem [1][Kaff in der Umgebung von Albuquerque], beobachtet
Lou das Testosteron eher in Gestalt der Muskelberge, die in dem
Fitnesscenter ein- und ausgehen, das sie managt. Das heißt, sie macht
morgens das Licht an und abends wieder aus. Dazwischen langweilt sie sich.
Die Gegend hätte sie längst verlassen, wäre da nicht ihre Schwester. Die
hat einen Mann, der sie grün und blau schlägt, doch abzuhauen schafft sie
nicht. Lou schafft es hingegen, wegen ihr dazubleiben. Am liebsten würde
sie ihrem zwielichtigem Vater entfliehen, der vielleicht sogar ihre Mutter
auf dem Gewissen hat.
## Bodybuilding Wettbewerb
Die Tristesse wird unterbrochen, als Jackie (Katy O’Brian) aus Oklahoma
auftaucht. Sie will für einen Bodybuilding-Wettbewerb in Las Vegas
trainieren. Lou weiß nicht, wie ihr geschieht. In ihrem Herz der Finsternis
hat sie sich immer ein Glühen bewahrt, das eines Tages entflammt werden
könnte, und nun ist es so weit, das Spiel der Muskeln bringt die schäbige
Muckibude zum Leuchten und Lou wird entflammt.
Dieser Blick von Kristen Stewart als Lou, der so viel Neugier und Begehren,
so viel Sehnsucht nach einem anderen Leben und einem Abenteuer ausdrückt,
ist der magic moment, der alles ins Rollen bringen wird. Und aus der
Geschichte der bisherigen Rollen Stewarts kann man ahnen, dass sie sich
ganz schön in die Scheiße reiten wird.
Sie liefert die Initialzündung für das, was in der Folge geschieht, denn
kurz vor dem ersten Kuss verabreicht sie Jacky ein Muskelpräparat in den
Po, [2][mit erstaunlichen Wirkungen]. Wie die Muskeln sich nun, von einem
krassen Sound begleitet, dehnen, macht klar, dass der soziale Realismus des
Films das Fantastische nicht scheut. Doch zunächst kommen die zu
erwartenden Gewaltausbrüche, denn nicht nur die Liebe blutet hier, auch
diejenigen, die in ihrer sinnlosen Gewalt zu weit gehen.
## Wild at Heart
Gekonnt spielt die Regisseurin Rose Glass auf der Klaviatur des Thrillers.
Manchmal fühlt man sich an David Lynchs „Wild at Heart“ erinnert, dann,
wenn Ed Harris seine dämonischen Auftritte als Lous Vater hat, glaubt man
sich im Cronenberg-Kosmos. Doch die Vorzeichen haben sich geändert. Der
männliche Antiheld hat abgedankt. Die toxische Gewalt, die auf dem
Schießplatz von Lous Vater eingeübt werden kann, sie wird konterkariert
durch eine befreiende, eine weibliche, die sich aus einem neuen
Körperverständnis speist.
Katy O’Brian, die selbst Bodybuilderin und Kampfsportlerin ist, lässt
lustvoll ihre Muskeln spielen, und wenn diese durch die Droge zum Knistern
gebracht werden, kann sie durch nichts mehr aufgehalten werden. Auch die
Liebe zwischen den beiden Frauen kennt keine Grenzen mehr. Die letzte
Grenze, die sie überschreiten müssen, ist das Netz des Tennisplatzes auf
dem Anwesen von Lous übermächtigem Vater, doch das hängt schon schlaff am
Boden.
Warum sich so viele Filme in die 1980er Jahre begeben, ist nicht immer
nachvollziehbar, manchmal hat man den Eindruck, um möglichst viele Leute
zeigen zu können, die möglichst viel rauchen. Doch hier ist das Jahr 1989
signifikant, die Berliner Mauer fällt, der Ostblock zerbricht, und damit
ist auch der Kalte Krieg bald Vergangenheit.
## Staub der Wüste
Die USA wachsen aus ihrer Rolle des Beschützers der freien Welt heraus und
werden sich neu finden müssen. Genau zu diesem Zeitpunkt implodiert alles
in einem Kaff in New Mexiko und eine neue Kraft tritt auf den Plan, die den
Staub der Wüste von den Schultern klopft und in eine neue Zukunft
aufbricht. Die USA der Gegenwart mögen diese Signale hören.
Selbstverständlich ist [3][„Love Lies Bleeding“] kein politischer Film in
engeren Sinne, es ist vor allem ein Genrefilm, der vieles mit einem
Augenzwinkern inszeniert, nicht zuletzt, wenn Jackie wahrlich über sich
hinauswächst. Doch wie Rose Glass ein Sozialdrama weiblicher
Selbstermächtigung mit dem Thriller und dem Fantastischen verzahnt, ohne
dabei auf die grotesk übersteigerte Darstellung weiblicher Stereotypen zu
verzichten, ist Kino, das im besten Sinne weh- und guttut.
18 Jul 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Thomas Klein
## TAGS
USA
Thriller
Bodybuilding
Schwerpunkt Berlinale
Kolumne Subtext
USA
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