| # taz.de -- Massaker-Überlebende über Argentinien: „Argentinien trägt Vera… | |
| > Laura Ginsbergs Mann wurde beim Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum | |
| > Amia vor 30 Jahren getötet. Bis heute kämpft sie um Aufklärung. | |
| Bild: Buenos Aires, 18. Juli 1994: was vom Gebäude der Amia nach dem Anschlag … | |
| taz: Frau Ginsberg, wir wissen, dass [1][bei dem Anschlag vor 30 Jahren 85 | |
| Menschen getötet wurden], darunter auch Ihr Mann, und dass über 300 | |
| Menschen verletzt wurden. Aber über das Wer, Wie und Warum gingen | |
| unmittelbar nach dem Anschlag die Meinungen, Informationen und Aussagen | |
| auseinander. | |
| Laura Ginsberg: Ja, all das spiegelt sich in den 30 Jahren seit dem | |
| Anschlag wider. Ich weiß nicht, wer letztlich den Auslöser der Bombe | |
| betätigt hat. Wir, die Familienangehörigen der Opfer, wollen verstehen, was | |
| passiert ist und in welchem Kontext es möglich war, dass eine zweite Bombe | |
| in Buenos Aires explodieren konnte. Sobald wir darüber Klarheit haben, | |
| werden wir auch das Warum herausfinden. | |
| Zwei Jahre vorher war in der israelischen Botschaft in Buenos Aires eine | |
| erste Bombe explodiert. Dabei wurden 29 Menschen getötet. Wie war die Lage | |
| nach diesem Anschlag? | |
| Auch der Anschlag auf die israelische Botschaft wurde von vielen bereits | |
| als antijüdischer Angriff begriffen. Da aber Botschaften symbolisch zu | |
| einem anderen Land gehören, kam es vielen so vor, als handelte es sich um | |
| eine Tat, die ganz woanders stattfand. Als zwei Jahre später die Amia in | |
| die Luft gesprengt wurde, war das komplett anders. Da gab es keinen | |
| Zweifel, dass es sich um einen antijüdischen Anschlag handelte, und er | |
| hatte eine nationale Dimension. | |
| Warum zweifeln Sie daran, dass ausländische Drahtzieher hinter den | |
| Anschlägen stecken? | |
| Es gibt keine Beweise für die Behauptung, dass Iran, Syrien, die Hisbollah, | |
| der Libanon oder Pakistan für den Anschlag auf die Amia verantwortlich | |
| sind. Ich nenne ein Beispiel. Im Jahr 2003 wurde der von Interpol mit | |
| Haftbefehl gesuchte Iraner Soleiman Pur in England wegen seiner angeblichen | |
| Beteiligung an dem Anschlag festgenommen. Soleiman Pur war der iranische | |
| Botschafter in Argentinien, als der Anschlag verübt wurde. England forderte | |
| von der argentinischen Regierung Beweise für eine mögliche Auslieferung | |
| oder einen Prozess. Alles, was die argentinische Regierung schickte, führte | |
| jedoch nicht nur dazu, dass Soleiman Pur freigelassen werden musste, | |
| sondern auch, dass Argentinien ihm eine Entschädigung zahlen musste. | |
| Dazu würde passen, dass sich bis heute niemand des Anschlags auf die Amia | |
| bezichtigt. | |
| Ja, niemand hat gesagt: „Wir waren es.“ Stattdessen gab es Organisationen, | |
| die sehr schnell erklärten, sie waren es nicht. Die erste Verurteilung des | |
| Anschlags kam von der PLO, der Palästinensischen Befreiungsorganisation, | |
| die zu dieser Zeit sehr aktiv war. Nur wenige Tage später erklärte die | |
| Hisbollah, dass sie nichts mit dem Anschlag zu tun habe. Beide Erklärungen | |
| finden sich in den Telexen, die die staatliche argentinische | |
| Nachrichtenagentur Telam nach dem Anschlag verschickte und die wir kürzlich | |
| auswerten konnten. | |
| Warum wird immer Iran als Verantwortlicher genannt? | |
| Alle Anschuldigungen gegen Iran und die Hisbollah kamen aus dem Ausland. | |
| Die gegen Iran kamen ganz schnell aus dem Mund des damaligen israelischen | |
| Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin und seines Außenministers Schimon Perez. | |
| Beide beharrten darauf, dass die Bombe von den Iranern gelegt wurde. Auf | |
| dieser Grundlage wurde das Narrativ aufgebaut, das Iran zum Drahtzieher des | |
| Anschlags erklärte. In Argentinien wurde dies in den ersten Wochen gar | |
| nicht auf diese Weise erklärt. | |
| Wer also ist dafür verantwortlich? | |
| Der argentinische Staat. Es gab nie eine echte Untersuchung. Stattdessen | |
| wurde die ganze Kraft des Staatsapparates eingesetzt, um genau das zu | |
| verhindern. Die Ermittlungen wurden in falsche Bahnen gelenkt. Es wurden | |
| Versionen und Anschuldigungen untergeschoben, mit denen Anklagen | |
| konstruiert wurden, für die bis heute keine Beweise vorgelegt wurden. | |
| Hinter alldem steckt der argentinische Staat? | |
| [2][Wir haben das schon 1997 bei der Gedenkveranstaltung zum dritten | |
| Jahrestag angeprangert.] Damals waren wir noch eine Gruppe, und wir waren | |
| uns alle einig. In unserer Erklärung wiesen wir auf die Verantwortung der | |
| nationalen Regierung hin und beschuldigten öffentlich den damaligen | |
| Präsidenten Carlos Menem, den zuständigen Ermittlungsrichter und die | |
| Polizei der Provinz Buenos Aires der Vertuschung. Das löste ein großes | |
| Medienecho aus. Daraufhin begannen die Regierung und die Führungsgremien | |
| der Amia und des jüdischen Dachverbands Daia, die Familienangehörigen zu | |
| spalten. Das ist ihnen auch gelungen. Heute gibt es Apemia, die Gruppe | |
| Memoria Activa und eine Gruppe, die der Amia und der Daia nahesteht. | |
| Wodurch unterscheidet sich Apemia von den anderen Gruppen? | |
| Wir können von einem Staat, der für die Vertuschung verantwortlich ist, | |
| keine Gerechtigkeit und Aufklärung erwarten. Wer vertuscht, schützt die | |
| Täter. Vor wenigen Wochen hat der Interamerikanische Gerichtshof für | |
| Menschenrechte unsere Auffassung bestätigt. In einem Urteil stellte der | |
| Gerichtshof fest, dass der argentinische Staat seine Institutionen zur | |
| Vertuschung einsetzte und Ermittlungen vorsätzlich in die Irre führte, | |
| damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt. [3][Das Urteil ist immens | |
| wichtig], denn nun sind es nicht mehr nur wir, die dies anprangern, sondern | |
| ein internationales Gericht hat es bestätigt. | |
| Das Gericht hat den argentinischen Staat außerdem angewiesen, alle | |
| Hindernisse zu beseitigen, die einer Aufklärung im Wege stehen, was vor | |
| allem die Öffnung der Geheimdienstarchive bedeutet. | |
| In den letzten Jahren hat es bereits eine Reihe von Erlassen zur Öffnung | |
| von Archiven gegeben, die sich mit der Deklassifizierung befassen. | |
| Deklassifizierung ist ein Begriff, der in der nationalen | |
| Geheimdienstgesetzgebung verwendet wird. Das bedeutet in der Regel, dass | |
| die Dokumente zwar deklassifiziert, aber nicht zugänglich sind. Nach einem | |
| harten Kampf ist es uns vor zwei Jahren endlich gelungen, Zugang zu einem | |
| wichtigen Teil des Archivs des Geheimdienstes zu erhalten. Es handelt sich | |
| um ein riesiges und umfangreiches Archiv. | |
| Kann nach dem Urteil mit einer Aufklärung gerechnet werden? | |
| In dem Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist | |
| nur von der Gewährung des Zugangs die Rede, nicht aber von einem | |
| allgemeinen Zugang ohne jegliche Einschränkungen. Das bedeutet, wir können | |
| jetzt vieles einsehen und lesen, aber wir dürfen nicht sagen, was da steht, | |
| denn das verbietet weiterhin das Geheimdienstgesetz. Wir können | |
| Schlussfolgerungen ziehen und diese weitergeben, aber wir dürfen Ross und | |
| Reiter nicht nennen. | |
| Präsident Javier Milei hat gerade eine Gesetzesinitiative angekündigt, die | |
| es ermöglichen soll, mutmaßliche Straftäter in Abwesenheit zu verurteilen. | |
| Dies betrifft in erster Linie die Iraner, die des Anschlags beschuldigt | |
| werden. | |
| Das ist alles nur Zirkus, mit dem das offizielle Narrativ untermauert | |
| werden soll. Wir fordern seit vielen Jahren eine Untersuchungskommission | |
| mit anerkannten Persönlichkeiten, etwa aus der Menschenrechtsbewegung, und | |
| Kongressabgeordneten. Die Kommission muss uneingeschränkten Zugang zu den | |
| Geheimarchiven haben. Sie soll herausfinden, was passiert ist, in welchem | |
| Kontext es passiert ist und welche Verantwortung der argentinische Staat | |
| trägt. Dann kann auch die Frage nach dem Motiv beantwortet werden. | |
| 17 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürgen Vogt | |
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