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# taz.de -- Tod eines Staatsanwaltes in Argentinien: Kein Suizid, sondern Mord
> 2015 wurde Staatsanwalt Alberto Nisman erschossen aufgefunden. Jetzt geht
> die Justiz erstmals davon aus, dass er ermordet wurde.
Bild: Demo für Gerechtigkeit im Fall Nisman am 2. Todestag des Richters, im Ja…
Buenos Aires taz | Fast drei Jahre nach dem Tod des Staatsanwalts Alberto
Nisman geht die argentinische Justiz erstmals von Mord aus. In einem am
Dienstag veröffentlichten Urteil stellte der ermittelnde Bundesrichter
Julián Ercolini fest: „Der Tod des Staatsanwalts Nisman ist nicht auf
Suizid zurückzuführen.“ Der 51-Jährige Nisman war am 18. Januar 2015
erschossen in seiner Wohnung aufgefunden worden.
Zugleich erhob Bundesrichter Ercolini Anklage gegen den früheren
Nisman-Mitarbeiter Diego Lagomarsino wegen Beihilfe zum Mord. Lagomarsino
hatte stets offen erklärt, dem Staatsanwalt auf dessen eigene Bitte die
Pistole Bersa Kaliber 22 übergeben zu haben, aus der die tödliche Kugel
stammt.
Nach Auffassung von Bundesrichter Ercolini leistete Lagomarsino damit „eine
notwendige Mithilfe für die Tat, die sich zwischen 20 Uhr am Samstag des
17. Januar 2015 und 10 Uhr am Sonntag des 18. Januar 2015 ereignete“. Neben
Lagomarsino klagte er auch vier Leibwächter an, die in dieser Zeit
unerlaubt ihre Posten verließen und so einen freien Zugang zu Nismans
Wohnung ermöglichten. Der oder die eigentlichen Täter sind unbekannt.
Alberto Nisman war als Sonderstaatsanwalt seit 2004 für die Aufklärung des
Bombenanschlags auf das Gebäude des jüdischen Hilfswerkes AMIA am 18. Juli
1994 zuständig. Dabei waren 85 Menschen getötet und 300 verletzt worden.
Für den Anschlag macht die argentinische Justiz den Iran verantwortlich.
Bis heute wurde niemand zur Rechenschaft gezogen.
## Anklage gegen Präsidentin Kirchner war angekündigt
Drei Tage vor seinem Tod erklärte Nisman in einem Fernsehinterview, er
werde beweisen, dass die damalige Präsidentin Cristina Kirchner die
Aufklärung des Terroranschlags vertuschen wollte und dass er bereits eine
Anklageschrift verfasst habe. Zugleich kündigte er an, am darauffolgenden
Montag seine Anschuldigungen vor dem Kongress zu erläutern. Dazu kam er
nicht. Am Sonntagabend wurde er mit einer Kugel im Kopf im Badezimmer
seiner Wohnung tot aufgefunden.
Kaum war die Todesnachricht bekannt, schrieb Cristina Kirchner auf ihrer
Facebook-Seite von einem mutmaßlichen Suizid des Staatsanwalts, ruderte
jedoch wenig später zurück und sprach nun von einem Komplott eines Teils
des Geheimdienstes, der ihr schaden wollte. „Erst haben sie ihn lebend
benützt, und dann brauchten sie ihn tot“, schrieb sie.
Die ermittelnde Staatsanwältin Viviana Fein ging dennoch weiter der
Selbstmordthese nach. Was folgte, war eine an Ungereimtheiten, Verstößen
und dilettantischem Vorgehen kaum zu überbietende Ermittlung, die vor allem
den Verdacht nährte, dass nicht aufgeklärt, sondern vertuscht werde sollte.
Mit seinem über 600-seitigen Urteil geht Richter Ercolini jetzt zurück auf
Anfang. Was sich genau in der Wohnung von Alberto Nisman abspielte, ist
jedoch nach wie vor nicht bekannt. Drei Spezialistenteams hatten versucht,
die Vorgänge im zehnten Stock des Wohnturms Le Parc im Stadtviertel Puerto
Madero zu rekonstruieren.
## Vertuschung der iranischen Verantwortung?
Drei detaillierte Untersuchungsberichte liegen vor, der letzte datiert auf
September. Absolut gesicherte Erkenntnisse über das Geschehen bietet keiner
der drei, jedoch schließt der letzte mit dem Fazit: „Die Mitglieder dieser
interdisziplinären Kommission der nationalen Gendarmerie befinden sich in
der Lage anzunehmen, dass es sich bei dem gewaltsamen Tod dessen, der im
Leben Natalio Alberto Nisman war, um einen Mord handelte.“
Anfang November übersandte Staatsanwalt Eduardo Taiano einen 1.087-seitigen
Antrag auf Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens an Richter Ercolini. Darin
sprach Taiano erstmals von einem „homicidio“, also von Mord oder Totschlag.
Bis dahin hatte Nismans Tod als „Tod mit ungeklärter Ursache“ gegolten.
Staatspräsident Mauricio Macri kam ebenfalls zu dem Schluss: „Nisman wurde
umgebracht, und wir müssen wissen, wer das getan hat,“ sagte er Anfang
November während einer Auslandsreise in New York.
Aufgrund von Nismans Anklageschrift wurde Anfang Dezember ein Prozess wegen
Hochverrats gegen die ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner, ihren
damaligen Außenminister Héctor Timerman sowie einige weitere Personen
eröffnet. Kern der Anklage ist ein 2013 von der argentinischen und der
iranischen Regierung unterzeichnetes Memorandum. Darin wurde vereinbart,
die Ermittlungen zu dem AMIA-Anschlag einer internationalen
Wahrheitskommission zu übergeben. Diese Kommission sollte die von der
argentinischen Justiz beschuldigten und mit internationalem Haftbefehl
gesuchten iranischen Staatsbürger im Iran befragen. Im Gegenzug sollten die
bei Interpol angezeigten Haftbefehle aufgehoben werden.
Die juristische Bewertung des Vorgangs ist in Argentinien umstritten. Der
zuerst mit der Anklage betraute Bundesrichter Daniel Rafecas lehnte die
Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens ab: Das Memorandum sei eine
politisch-diplomatische Angelegenheit gewesen – und noch dazu nie in Kraft
getreten, weshalb auch keine Straftat vorliege. Anders dagegen die
Beurteilung des jetzt ermittelnden Bundesrichters Caudio Bonadio. Schon die
Verhandlungen über das Memorandum rechtfertigten eine Anklage wegen
Hochverrats, so Bonadio.
28 Dec 2017
## AUTOREN
Jürgen Vogt
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Schwerpunkt Iran
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