# taz.de -- 25 Jahre nach antisemitischem Anschlag: Nur Gerüchte und Spekulati… | |
> Argentinien gedenkt der Opfer des Anschlags auf das jüdische Hilfswerk | |
> Amia in Buenos Aires vor 25 Jahren. Verurteilt wurde dafür noch niemand. | |
Bild: Gedenken am Donnerstag in Buenos Aires: Die Namen der 85 Getöteten stehe… | |
BUENOS AIRES taz | Um 9.53 Uhr heulten in Buenos Aires am Donnerstag die | |
Sirenen. In den öffentlichen Gebäuden und auf den Plätzen verharrten viele | |
Porteños für eine Gedenkminute. „Was ist jetzt los?“, fragt etwas | |
erschrocken mein venezolanischer Gesprächspartner, der seit fünf Monaten in | |
der argentinischen Hauptstadt lebt, nach seiner Flucht vor dem Regime in | |
seinem Heimatland. „Der Anschlag auf das Gebäude der AMIA“, antworte ich, | |
„jetzt, genau vor 25 Jahren.“ | |
Bei dem Bombenanschlag am 18. Juli 1994 auf das Gebäude des jüdischen | |
Hilfswerks AMIA im Zentrum von Buenos Aires waren 85 Menschen getötet, 300 | |
verletzt und mehr als 400 umliegende Wohnungen und Geschäfte zerstört oder | |
beschädigt worden. Es ist der größte Terrorakt in der argentinischen | |
Geschichte. | |
In der Straße Pasteur Hausnummer 633 im jüdischen Stadtviertel Once stehen | |
die Menschen dicht gedrängt. Hier, vor dem neuen Gebäude, trauern sie um | |
ihre getöteten Angehörigen, Freunde, Bekannten, und um die Menschen, die an | |
jenem Tag zu jener Zeit vor dem Gebäude vorbeigingen, sei es zur Arbeit | |
oder zur Schule, und von den herabstürzenden Trümmern erschlagen wurden. | |
85 Vornamen stehen auf der breiten, an der Sicherheitsmauer vor dem Neubau | |
angebrachten Tafel. Darunter ein Kasten, in den an jedem 18. eines Monats | |
85 Rosen eingestellt werden. „Dieser Anschlag galt uns allen, nicht nur der | |
jüdischen Gemeinde“, wird auch an diesem Donnerstag in vielen Reden | |
bekräftigt. | |
## 120.000 Seiten Ermittlungsakten | |
Der Anschlag löste die größte Ermittlungsaktion in der argentinischen | |
Rechtsgeschichte aus, die Akten umfassen mehr als 120.000 Seiten. Die | |
Ermittlungen wurden von einer Serie von Pannen, Ungereimtheiten und dem | |
wiederholten Auswechseln von Ermittlern, Staatsanwälten und Richtern | |
begleitet. Für den Anschlag selbst wurde bis heute niemand verurteilt. | |
Die Reihe der Verdächtigen reicht von Iran, Syrien und der libanesischen | |
Hisbollah bis zu den Helfern und Helfershelfern in Argentinien selbst. | |
Niemand hat sich des Anschlags bezichtigt. Auch nicht des Anschlags auf die | |
israelische Botschaft zwei Jahre zuvor, als am 17. März 1992 eine Bombe das | |
Botschaftsgebäude in Buenos Aires in die Luft jagte und 29 Menschen in den | |
Tod riss. | |
Auch für diesen Terrorakt wurde bis heute niemand verurteilt. Die am | |
häufigsten geschilderte Anschuldigung ist, die Hisbollah habe die Anschläge | |
ausgeführt, wobei der Drahtzieher der Iran gewesen sei. Die andere Variante | |
stellt Syrien als Hauptverantwortlichen in den Mittelpunkt. | |
Die mutmaßlichen Motive? 1989 habe [1][Carlos Menem] mithilfe von | |
Millionenspenden aus dem Iran und/oder Syrien die Präsidentschaftswahl | |
gewonnen. Als Gegenleistung soll Menem, einmal an der Macht, die Lieferung | |
der argentinischen Mittelstreckenrakete Condor II und die Lieferung eines | |
Atomkraftwerks zugesagt, sowie das Waschen von Geldern aus dem Heroinhandel | |
versprochen haben. | |
## Auch der Mord an Nisman ist nicht aufgeklärt | |
Nach seinem Wahlsieg habe Menem jedoch nicht liefern wollen oder können. | |
Die Terrorakte sollten den Präsidenten syrischer Abstammung an seine | |
Bringschuld erinnern, wird vermutet; das sei das mörderische Motiv der | |
Täter gewesen. | |
Doch von alledem wurde bisher vor einem ordentlichen Gericht nichts | |
verhandelt oder bewiesen. | |
Die Forderungen nach Gerechtigkeit und Aufklärung bestimmen am 25. | |
Jahrestag die meisten Reden. Dabei fällt auch stets der Name Alberto | |
Nisman. Der im Jahr 2004 als AMIA-Sonderermittler eingesetzte Staatsanwalt | |
war im Januar 2015 [2][leblos] im Badezimmer seiner Wohnung in Buenos Aires | |
aufgefunden worden. Im Kopf steckte eine Kugel. Auch wenn die Justiz | |
[3][den Mord bestätigte], konnte sie bis heute keine Täter benennen. | |
Nisman hatte wenige Tage vor seinem Tod eine Klage gegen die damalige | |
Präsidentin Cristina Kirchner und Außenminister Héctor Timerman wegen | |
Hochverrats angekündigt. Die beiden hatten ein Abkommen mit dem Iran | |
ausgehandelt, in dem vereinbart war, dass die im Fall AMIA verdächtigen | |
iranischen Staatsbürger im Iran und nicht in Argentinien befragt werden | |
können. „Weißt du, wer die Verhandlungen mit dem Iran angestoßen haben | |
soll?“, frage ich meinen kopfschüttelnden venezolanischen | |
Gesprächspartner.: „Hugo Chávez.“ | |
19 Jul 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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