# taz.de -- Julian Assange zurück in Australien: Wieder ein „freier Mann“ | |
> Whistleblower Julian Assange ist zurück in seiner Heimat Australien. | |
> Seine Ankunft wurde dort live im Fernsehen übertragen. | |
Bild: Julian Assange bei seiner Ankunft in Canberra am 26. Juni | |
Canberra taz | Es war erst ein kleines Licht am dunklen Abendhimmel über | |
Canberra: Flug VJT199 aus Saipan im Anflug. An Bord der wohl bekannteste | |
Australier der jüngeren Geschichte: Julian Assange. Dutzende Journalisten | |
und Kameraleute warteten am Flughafen der australischen Hauptstadt, als der | |
Wikileaks-Gründer nach sieben Jahren Asyl in einer Botschaft und fünf in | |
einem Hochsicherheitsgefängnis in London [1][endlich nach Hause kam]. | |
Doch selbst globale Superstars – und als solchen beschrieb ihn einer der | |
wartenden Journalisten – kommen an Australiens Bürokratie nicht vorbei. | |
Noch in der Maschine wurde der 52-Jährige von Beamtinnen des australischen | |
Grenzschutzes befragt. Erst dann erschien sein weißhaariger Kopf an der Tür | |
des Flugzeugs. | |
Mit schlecht sitzendem Hemd und Anzug, kurzer Krawatte und starkem Schritt | |
ging Assange in Richtung Hangar und winkte einer Gruppe von Unterstützern, | |
die am Zaun standen. Und dann der Moment, live übertragen im Fernsehen, auf | |
den wohl Millionen Menschen gewartet hatten – die Wiedervereinigung mit | |
seiner Frau [2][Stella]. Es war eine Umarmung, die nicht enden wollte, dann | |
ein Kuss auf die Lippen. | |
Gleich danach folgte die innige Umarmung durch seinen [3][Vater John | |
Shipton]. Der betagte Mann hatte alles aufgegeben im Kampf für die Freiheit | |
seines Sohnes: „Ich habe nichts mehr. Kein Erspartes, kein Haus“, hatte er | |
er kurz vorher in Canberra gesagt. | |
## Noch keine Pressekonferenz | |
Die angekündigte Pressekonferenz mit Assange fand vorerst nicht statt. Der | |
australische Abgeordnete Andrew Wilkie, der sich jahrelang für die | |
Freilassung des Whistleblowers eingesetzt hatte, sagte, der Heimkehrer | |
werde erst „mit Premierminister Anthony Albanese eine Tasse Tee trinken und | |
dann mit seiner Familie zusammen sein“. | |
Albanese erklärte, er habe noch mit Assange telefoniert, als dieser bereits | |
im Landeanflug war, und sich nach dessen Gesundheit erkundigt. Expertinnen | |
hatten gewarnt, Assange könne nach fünf Jahren Einzelhaft in einer zwei auf | |
drei Meter großen Zelle unter schweren psychischen Problemen leiden. | |
Am Mittwoch hatte eine Richterin in Saipan im US-Pazifikterritorium | |
Nördliche Marianen [4][einen Deal zwischen dem Australier und der | |
amerikanischen Justiz] abgesegnet. Assange bekannte sich gemäß dem | |
amerikanischen Spionagegesetz der „Verschwörung zur Weitergabe von | |
Informationen zur nationalen Verteidigung“ für schuldig. | |
Richterin Ramona V. Manglona verurteilte ihn danach formal zu einer | |
Haftstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten. Die Strafe galt wegen seiner | |
Haftzeit im britischen Gefängnis als verbüßt. „Sie werden diesen | |
Gerichtssaal als freier Mann verlassen können“, so Manglona. Assange | |
bestieg danach sofort ein gechartertes Flugzeug für die Reise nach | |
Australien. | |
Der Heimkehr waren rund zwei Jahre „stiller Diplomatie“ durch die | |
australische Regierung vorausgegangen. Der sozialdemokratische | |
Premierminister Anthony Albanese wertete die erfolgreiche Rückführung als | |
Resultat einer „sorgfältigen, geduldigen und entschlossenen Arbeit, auf die | |
ich sehr stolz bin“. | |
## Australische Bevölkerung für Assanges Rückkehr | |
Ohne Zweifel halfen nicht nur die Unterstützung nicht nur einer | |
parteiübergreifenden Gruppe von Abgeordneten, sondern auch die Forderungen | |
der Bevölkerung für ein „Fair Go“ für Assange. Zuletzt hatten bei einer | |
Umfrage 98 Prozent der Befragten seine Rückkehr befürwortet. Es sei Zeit | |
für ihn, nach Hause zu kommen, er habe genügend gelitten, lautete der | |
Tenor. | |
Assange wird von den US-Justizbehörden beschuldigt, [5][seit 2010 auf der | |
Enthüllungsplattform Wikileaks über eine halbe Million vertraulicher | |
Dokumente über militärische und diplomatische Aktivitäten der USA | |
veröffentlicht zu haben]. Die Papiere enthielten Informationen über die | |
Kriege in Afghanistan und im Irak. | |
Unter dem Material waren auch Dokumente über die Tötung von Zivilisten und | |
die Misshandlung von Gefangenen durch US-Militärangehörige. Assange | |
verschanzte sich auf der Flucht vor den US-Behörden erst jahrelang in der | |
ecuadorianischen Botschaft in London, bevor er von Großbritannien | |
inhaftiert wurde. Bei einer Auslieferung in die USA hätten ihm bis zu 175 | |
Jahre Haft gedroht. | |
## Held oder Verräter? | |
Die Frage, ob Assange ein Held der Meinungsfreiheit oder ein Spion und | |
Verräter sei, dürfte auch in seinem Heimatland noch länger diskutiert | |
werden. Die australische Menschenrechtsanwältin und Mitglied von Assanges | |
Anwaltsteam, Jennifer Robinson, hatte nach der Urteilsverkündung in Saipan | |
gegenüber den Medien gemeint: „Ich hoffe, dass die Tatsache, dass wir | |
Julian Assange heute trotz aller Widrigkeiten und gegen eine der | |
mächtigsten Regierungen der Welt befreien konnten, allen Journalisten und | |
Verlegern, die auf der ganzen Welt inhaftiert sind, Hoffnung geben wird.“ | |
Barry Pollack, ein weiterer Rechtsvertreter von Assange, kritisierte dessen | |
„Verfolgung“ als „beispiellos in den 100 Jahren des Spionagegesetzes“. … | |
sei noch nie von den USA benutzt worden, „um einen Verleger, einen | |
Journalisten zu verfolgen“. Assange habe „wahrheitsgemäße und | |
berichtenswerte Informationen veröffentlicht, darunter auch die Enthüllung, | |
dass die Vereinigten Staaten Kriegsverbrechen begangen haben“. | |
In seinem „Kampf für die Meinungsfreiheit, für die Pressefreiheit und um | |
sicherzustellen, dass die amerikanische Öffentlichkeit und die | |
Weltgemeinschaft wahrheitsgemäße und wichtige Informationen erhält“, habe | |
Julian Assange „enorm gelitten“, so Pollack. | |
In Australien gab es aber gerade unter Medienleuten auch Kritik an Assange | |
zu hören. Führend dabei ist der Ex-Fernsehkorrespondent [6][Peter Greste], | |
heute Professor für Journalismus an der Universität Queensland. Greste war | |
als Al-Jazeera-Korrespondent 2013 in Ägypten unter dem Vorwurf des | |
Terrorismus festgenommen und zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Nach 13 | |
Monaten hinter Gittern wurde er freigelassen und in seine Heimat | |
deportiert. | |
## Vorwurf: Assange verletzte journalistische Standards | |
Der Journalismus spiele in einer Demokratie eine Rolle, die über die | |
Redefreiheit hinausgehe, sagte Greste. „Journalismus bringt die | |
Verantwortung mit sich, Informationen im Einklang mit einer Reihe von | |
ethischen und professionellen Standards zu verarbeiten und zu | |
präsentieren“, so der Akademiker. Er „glaube nicht, dass Wikileaks diesem | |
Standard gerecht wurde; durch die Veröffentlichung von rohen, unredigierten | |
und unbearbeiteten Informationen im Internet wurden enorme Risiken für die | |
Menschen vor Ort, einschließlich der Quellen, geschaffen“. | |
Laut Greste lässt der Fall Assange die Frage nach einem Präzedenzfall | |
offen. „Es ist nicht klar, ob künftige Regierungen Assanges | |
Schuldbekenntnis nutzen könnten, um mit Hilfe des Spionagegesetzes gegen | |
unbequemen Journalismus vorzugehen“, sagte er. | |
„Wie wir in der Vergangenheit gesehen haben, neigen autoritär geführte | |
Regierungen dazu, jeden Hebel in Bewegung zu setzen, um den | |
Informationsfluss zu kontrollieren“. Das müsse „jeden beunruhigen, der an | |
die korrigierende Kraft einer freien Presse glaubt“. Greste will damit aber | |
nicht „die Bedeutung oder den Wert dessen schmälern, was Wikileaks | |
aufgedeckt hat“. | |
Australiens Journalistenverband, die Media Entertainment and Arts Alliance, | |
habe diesen Fall zu Recht als „eine der dunkelsten Zeiten in der Geschichte | |
der Medienfreiheit“ bezeichnet. | |
26 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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