| # taz.de -- Von Staatsbesuchen lernen: Eskorte für alle! | |
| > Bei Staatsoberhäuptern ist möglich, was sich andere vergeblich wünschen: | |
| > Für ihre beflaggten Karossen wird die Straße gerne frei geräumt. | |
| Bild: Schnelle Fahrt auf abgesperrten Straßen: Staatsbesuch von Präsident Oba… | |
| Letztens wollte ich einen Kollegen am Bahnhof abholen. Er saß im ICE | |
| Richtung Berlin. Knapp eine Stunde vor der geplanten Ankunft textete er: | |
| „Stehen in Wolfsburg. Dauer ungewiss.“ „Zug kaputt?“, fragte ich. „Ne… | |
| [1][Streckensperrung wegen Staatsbesuch].“ | |
| Vor ungefähr fünfzehn Jahren fand ich solche Staatsbesuche noch ganz nett: | |
| Kurzfristig wurden ein paar Ampeln umgeschaltet, eine schützende | |
| Motorradstaffel preschte heran, die repräsentable Kolonne samt Staatsgast | |
| folgte. Für ein Dorfkind wie mich, das sonst nur Kuhherden Vorrang | |
| einräumen musste, hatte das schon etwas Erhebendes. Ich gestehe: Einmal | |
| winkte ich einer beflaggten Limousine sogar zu. | |
| Vor gut zehn Jahren wurde so eine staatliche Visite dann für Autofahrer | |
| interessant. Straßen wurden nicht mehr minutenlang zur Durchfahrt | |
| abgesperrt, sondern für Stunden oder gar Tage. Ein Staatsgast sollte | |
| flexibel sein und geschützt, da mussten Kfz-Lenkende schon mal eine längere | |
| Wartezeit und einen Umweg auf der Strecke zur Arbeit in Kauf nehmen. Als | |
| Radfahrerin kam ich weiter überall durch. | |
| Allerdings nicht lange: Wo vorher ein Polizeiauto stand, wurden | |
| durchgehende Absperrungen errichtet. „Du kommst hier nicht rein“ galt bald | |
| auch für Radfahrerinnen und Fußgänger. Mobil waren nur noch die | |
| ÖPNV-Nutzenden – zumindest solange sie mit S- und U-Bahn unterwegs waren, | |
| denn Busse konnten ja eh nicht passieren. Vor vielleicht drei Jahren | |
| wartete ich dann erstmals vergeblich auf eine S-Bahn – der Verkehr war | |
| „wegen eines Staatsbesuchs“ unterbrochen. | |
| ## Schlimme gutmenschliche Idee | |
| „Jetzt stehen wir in Stendal“, schrieb mein Kollege. Ich hatte inzwischen | |
| einen Bekannten auf dem Bahnsteig getroffen. Der wartete seit siebzig | |
| Minuten auf die Abfahrt seines Zuges. Grund: Staatsbesuch. Wir waren | |
| beeindruckt, was im Mobilitätsbereich alles möglich ist. Also was als | |
| zumutbar gilt – und was nicht. Eine [2][temporäre Schul- oder Spielstraße, | |
| damit Kinder sicher ihre Wege beschreiten können]? Ganz schlimme | |
| gutmenschliche Idee, die Freiheitsrechte und Autobürger einschränkt! | |
| Zentrale Hauptstraßen wegen Staatsbesuch schließen? Notwendig und | |
| angemessen – nicht, dass jemandem noch etwas passiert, das können wir nicht | |
| verantworten! | |
| Mit zwei Stunden und dreißig Minuten Verspätung kam mein Kollege an. Wir | |
| machten uns zu Fuß auf den Weg, schließlich fuhren die S-Bahnen nicht. Das | |
| blieb auf den Hauptlinien auch während der kommenden drei Tage so. Wohl | |
| dem, der ein fahrtüchtiges Rad im Keller hat! | |
| Meines fuhr ich am Wochenende auf der Rad-Parade: Unter dem Motto [3][„30 | |
| Stunden für Tempo 30“] waren auf zehn jeweils 30 Kilometer langen Touren | |
| durch Berlin jeweils einige Hundert Menschen mit dem Fahrrad unterwegs. Die | |
| Polizei eskortierte uns, alle Ampeln standen auf Grün, viele der Anwohner | |
| winkten. Eine Art Vintage-Staatsbesuch. Unterwegs kam mir eine Idee: | |
| Besonders aufwändig ist eine Demoanmeldung nicht. Wir sollten mit der Zeit | |
| gehen und als Radfahrende unsere täglichen Schul- und Arbeitswege einfach | |
| als Demos anmelden. Dann haben wir zwar [4][immer noch keine Infrastruktur] | |
| – aber Polizeieskorten. Das geht auch. | |
| 23 Jun 2024 | |
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| [1] /Berlin-waehrend-des-Erdoan-Besuchs/!5534809 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kerstin Finkelstein | |
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