# taz.de -- Reality-Show „Kaulitz & Kaulitz“: Hauptsache, alle gucken mich … | |
> Die Brüder Bill und Tom Kaulitz von der Band Tokio Hotel haben einen | |
> neuen Kanal. In der Realityserie „Kaulitz & Kaulitz“ inszenieren sie sich | |
> selbst. | |
Bild: Selfie mit Sonnenbrille: Tom und Bill Kaulitz | |
So eine knapp sitzende, rosafarbene „Lederhosn“ ist schon schick. Dazu | |
Plateau-Heels in Hot Pink, einen rosafarbenen Blazer, Make-up und Big Hair | |
– und schon passt der fesche Buam wunderbar auf’s Oktoberfest. | |
So sieht es jedenfalls Bill Kaulitz, Toms Zwillingsbruder. Die Szene aus | |
der soeben gestarteten, die – laut Eigenangabe – Streamingcharts | |
dominierenden Realityserie „Kaulitz & Kaulitz“ zeigt, wie die beiden seit | |
Jahren in Hollywood ansässigen, [1][Magdeburger Tokio Hotel-Gründer] sich | |
auf einen Besuch beim alljährlichen Münchner Identitätsfest vorbereiten. | |
Dass Bill sich der im konservativen Bayern zuweilen noch immer | |
funktionierenden Provokation seines exaltiert-queeren Outfits bewusst ist, | |
steht dabei außer Frage. | |
Die Aufmerksamkeit der Medien hat er jedenfalls. Nach ein paar Flirtereien | |
mit einem deutschen Youtuber im Käfer-Zelt finden sich Bill und sein Galan | |
besoffen knutschend in den Schlagzeilen – für den Youtuber hagelt es | |
daraufhin homophoben Hass im Netz. Bill Kaulitz dagegen ist sich der | |
Unterstützung durch seinen Bruder und sein soziales Umfeld sicher. „Kaulitz | |
& Kaulitz“ erzählt von funktionierenden, von Liebe, Toleranz und Respekt | |
geprägten Beziehungen. | |
## Tolerant und freundlich | |
Und unterscheidet sich damit stark von den üblichen Reality-TV-Intentionen. | |
Statt exploitativer, durch dementsprechende Effekte dramatisierter | |
Streitereien, Doofheiten und Oberflächlichkeiten, denen das Publikum mit | |
einem hämischen „Gott sei Dank, ich bin nicht so“ begegnen soll, sieht man | |
zwei – nicht wirklich interessante, aber nette – Brüder, die sich | |
gegenseitig mit dem Kosenamen „Maus“ anreden, und immer wieder Kraft aus | |
diesem wundersamen, unsicht- aber fühlbaren Zwillingsband ziehen. | |
Und auch die restlichen Beteiligten, Freund:innen, Assistent:innen, | |
Bandkollegen, die Kaulitz-Mutter, sind tolerant und freundlich. Selbst wenn | |
Bill Kaulitz seine (hiermit ohne Expertise ferndiagnostizierte) | |
„histrionische Persönlichkeitsstörung“, sein anstrengendes | |
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom in die Vollen auslebt. Hauptsache, alle | |
gucken mich an, wiederholt [2][der selbstbewusste Bill, dem es unmöglich | |
ist, einen Satz nicht mit „ich“ zu beginnen]. | |
Dass man sich ihn tatsächlich anguckt, gern am teilweise exotischen, | |
liberalen, durchaus erstrebenswerten Bruder-Leben zwischen Champagner, | |
Hollywood Hill-Villa, Preisgalas, Heidis Halloweenparty und | |
Hotel-Luxussuite teilnimmt, ist nicht überraschend. Verwunderlich und | |
irgendwie auch hoffnungsvoll könnte jedoch sein, dass die Serie, die an der | |
formalen Oberfläche eine krakeelende, bunte Promi-Reality-Show ist, diese | |
tiefsitzende humanistische Botschaft so schön weitergeben kann. | |
## Zwillingskonstrukt mit Doppelgängersymbolik | |
Das freut nicht nur die Brüder, deren Broterwerb die genuine Prominenz | |
(viel mehr als das Musikmachen) ist, und macht nicht nur deren | |
Werbevertragspartner:innen inklusive Heidi Klum und das | |
Streamingportal glücklich. Sondern schafft es vielleicht tatsächlich, den | |
Zuschauer:innen unauffällig einige Portionen Toleranz und Offenheit | |
unterzuschieben. | |
Dabei hilft das Zwillingskonstrukt, das in der Kulturgeschichte eng mit der | |
in der Romantik etablierten Doppelgängersymbolik verbunden ist. Selbst wenn | |
man Bill mit seiner ausgestellten Exzentrik und der gekünstelten | |
Überraschungsmimik manchmal am liebsten leisedrehen möchte, ist es | |
faszinierend, die Ähnlichkeiten und Unterschiede zu seinem Bruder Tom, dem | |
ruhigeren, wenn auch ebenso unnatürlich pseudomännlich wirkenden Korrektiv | |
anzugucken. Man kann sich selbst dabei je nach Laune eher in Richtung Bill | |
oder Tom lehnen. | |
Es steckt schließlich alles in uns drin: Zu Partyzeiten wäre man lieber der | |
promiskuitive, angeschickerte, queere Bill. Manchmal freut man sich aber | |
auch darauf, einfach nur zu Heidi nach Hause zu kommen und das kleine | |
Malheur der jungen Hunde wegzuputzen. Eben ein ganz normales Leben. | |
28 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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