# taz.de -- Conny Frischauf und der Austropop: Stille und ihre Überwindung | |
> Genießen und schweigen. „Kenne Keine Töne“, das neue Album der Wiener | |
> Künstlerin Conny Frischauf, entwirft einen Austropop 2.0. | |
Bild: Die Wiener Musikerin Conny Frischauf | |
Über das zweite Album der österreichischen Künstlerin und Musikerin Conny | |
Frischauf, es wird beim Hamburger Label Bureau B erscheinen, kann man nicht | |
reden, ohne auch vom Schweigen zu sprechen. Denn das stellt sich sogleich | |
beim Titel des Albums mit der an Koketterie grenzenden Formulierung „Kenne | |
Keine Töne“ ein. | |
Nun hat die ernste Musik der späten Moderne – zu nennen wären hier | |
zuvorderst John Cage und seine „Schüler*innen“ – glücklicherweise gezei… | |
dass auch in der Abwesenheit von Tönen durchaus kulturell geprägte Werke | |
entstehen können, Stichwort Ambient. | |
Unterdessen erscheint es uns kontraintuitiv, dass [1][eine Wiener | |
Künstlerin] auftaucht, fidel bimmelt und von sich dennoch behauptet, keine | |
Töne zu kennen. Dass ihr neues Album dann auch noch 16 Stücke in die | |
Waagschale wirft, wirkt da gleich wie Eulenspiegelei. Aber „Kenne Keine | |
Töne“ ist kein Werk einer Blödelbardin, sondern das Produkt eines | |
jahrelangen Ringens mit Musikmachen, Hörerlebnissen und Stille. | |
Die auditive Sensation, [2][deren höchste Form eben die Musik ist, wird bei | |
Conny Frischauf zu einem umkämpften Ort]. Zugegeben, von dieser Härte erst | |
mal keine Spur: „Düfte“, Auftakt des Albums, kommt als | |
avantgardistisch-alpiner Popsong daher, gesungen mit einem feinen, leicht | |
dialektgefärbten Zungenschlag. | |
## Anklänge an Falco | |
Auch in den impressionistischen Setzungen der Synthesizer und Sampler | |
erinnert Frischauf hier an die großen achtziger Jahre. Damals, als der | |
Austropop eines Falco die geschmackliche Spitze der deutschsprachigen Musik | |
darstellte. | |
Danach setzt Conny Frischauf mit „Wunder“ und „Bisschen Träumen“ zwei | |
Instrumentals, die beide so klingen, als könnten sie aus der Feder der | |
Kraut-Heroen Cluster stammen. Ihre Sounds messen sich jedenfalls locker mit | |
deren süß-verspieltesten Stücken. | |
Ihr eigenwillige Klangsignatur zeichnet sich ganz allgemein durch | |
feenhafte Anschläge aus. Sie lässt Bassläufe auf Soundwirbel treffen und | |
erinnern auf eigenwillige Weise an Titelmelodien tschechischer | |
TV-Kinderserien aus den 1980ern. | |
Der Song „Röte“ hingegen wird dann von verschiedenen Spuren mit Blockflöt… | |
getragen. Töne über Töne, muss man bis zu diesem Punkt attestieren. Mit dem | |
kurzen Zwischenspiel „M“ endet die erste Seite. In 53 Sekunden nähert sich | |
Frischauf hier dem Wort „müssen“. | |
## Tief Luftholen | |
Am Anfang steht ein lang gestrecktes Summen, ein „Mmmh“, in das sich die | |
Anspannung der Stimmbänder einschreibt. Mit dem anschließenden Luftholen – | |
wer summt, muss auch atmen – geht es über in ein sprachliches Vexierspiel. | |
Wie muss man „müssen“ intonieren, damit es auch als „müssen“ bei den | |
Empfänger*innen ankommt? Es ist ein kurzes, aber unerwartetes | |
Experiment, das den Hörer*innen hier angeboten wird. | |
Wer daraufhin die Platte umdreht, hört erst mal – nichts. Die titelgebenden | |
„Zwei Minuten“ erinnern nicht zufällig an den Großen Vorsitzenden Cage und | |
seine legendäre Spielanweisung „4’33“. Wir lauschen, wie wir der Stille | |
entgegentreten, ihr begegnen, beim ersten Mal erschrocken, bei jedem | |
weiteren Zuhören dann abgeklärter. Für die Musikerin Frischauf scheint es | |
hingegen, ja doch, eine Art selektiver Mutismus. | |
Das psychogene Verstummen, das exemplarisch als Symptom (oder Folge) von | |
Autismus, aber auch von schweren Depressionen oder schizoaffektiven | |
Erkrankungen auftritt, wird hier zur stilistischen Form. Wo die so | |
wunderbar halb gelenke Stimme Frischaufs sonst [3][an das von Klaus | |
Theweleit behauptete Mutterradio] erinnert – ein intuitives Trällern –, | |
verstummt sie hier für lange zwei Minuten. Ist das ein Gimmick, ein kluger | |
Schachzug, ein Witz? Von allem keinen Deut. | |
Die sonische Krise überwindet Frischauf mit der mächtig skurrilen Nummer | |
„Adieu Araneus“: Ein Trompeten-Preset oder ein vergleichbares Effektgerät | |
erzeugt ein Schaukeln und Schunkeln, es zaubert etwas Melancholisches, | |
synthetisch Klingendes hervor. | |
## Nähe zu Exotica-Sounds | |
Eine Nähe zum Moog-Enthusiasten und eigenbrötlerischem Bastler Mort Garson, | |
dessen Exotica-Sounds in den letzten Jahren wiederentdeckt und | |
-veröffentlicht wurden, wird nun offensichtlich. | |
Das setzt sich auch mit dem lockeren Schwof „Ballooooon“ fort. Erst danach | |
findet Frischauf zurück zur Stimme, setzt sie nachgerade skeptisch ein; | |
bis das Werk zum Finale in der Vignette „Nichts Nichts“ wieder der | |
Sprachlosigkeit preisgegeben wird. A cappella textet die Wienerin: „Ich | |
begreife nichts / Keinen Mond, keine Sterne, nichts / Kein Universum, keine | |
Leere, nichts / Nichts, nichts“. | |
Vorsprachlich hangelt sich diese Skizze in Demoästhetik durch eine Handvoll | |
Silben bis zum Ende. Kein Text, jedenfalls keiner, den wir als solchen | |
erkennen können – „dededede…“. | |
Mit Conny Frischauf ist dem Hamburger Label Bureau B eine besondere, | |
äußerst eigenwillige, ja verschwenderisch talentierte Künstlerin ins Haus | |
geflattert. Man mag sich gar nicht ausdenken, was sie auf kommenden Alben | |
noch alles im Köcher hat. Bis dahin genießen wir „Kenne Keine Töne“ – … | |
schweigen. | |
15 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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