# taz.de -- Der Preis der Selbstbestimmung: Armut und Erdbeeren | |
> Zu machen, was man möchte, ist ein Privileg, meint unsere Autorin. Selbst | |
> wenn es bedeutet, wenig Geld zu haben. | |
Bild: Viele Dinge sind zuviel und werden nicht mehr gebraucht | |
Im Moment habe ich wenig Geld, und deshalb gebe ich auch wenig aus. Es ist | |
nicht schlimm, ich bin es gewohnt. Die Art, wie ich lebe, führt dazu, dass | |
ich immer wieder mit wenig bis sehr wenig Geld auskommen muss. | |
Es kommt darauf an, kreativ und fröhlich damit umzugehen, aber das zu | |
können ist auch ein Privileg. Weil ich einer Arbeit nachgehe, die ich frei | |
gewählt habe und die mich erfüllt, fühle ich mich privilegiert. | |
Müsste ich den ganzen Tag lang einer Arbeit nachgehen, die ich lieber nicht | |
machen würde, die mich verbiegen, mich körperlich und seelisch auslaugen | |
würde, empfände ich die Armut als bitter. Wofür opferte ich den größten | |
Teil meines Lebens, wenn nicht für das bisschen Freiheit, wenigstens in | |
meiner Freizeit so leben zu können, wie ich es mir wünsche? | |
Wohnen nimmt den größten Teil meines Einkommens und auch das meiner Kinder, | |
die für ihr Studentenzimmer so viel ausgeben wie ich für meine | |
Genossenschaftswohnung. Lebensmittel nehmen einen anderen größeren Teil, | |
essen muss man, genau wie wohnen, und ich esse jetzt oft Kartoffeln und | |
Zwiebeln und Kohl und Karotten und Äpfel. Lauter Dinge, die immer noch, im | |
Verhältnis, wenig kosten. | |
## Im Bioladen unbezahlbar | |
Lebensmittel, die gesund sind und wenig kosten, gibt es. Es sind nur nicht | |
sehr viele, und die Rezepte in Kochbüchern erfordern immer ausgefallene | |
Details, eine Prise hiervon, eine Prise davon, und diese Prisen sind dann | |
teurer als das, was einen satt macht. Statt gerösteter Pinienkerne, die im | |
Bioladen unbezahlbar sind (für mich, der Preis ist sicher angemessen), | |
röste ich schon lange Sonnenblumenkerne. Spargel lasse ich aus, Erdbeeren | |
habe ich in diesem Jahr schon zweimal gegessen. | |
Es gab Zeiten, da aß ich in der Erdbeersaison jeden Tag ein Schälchen. Aber | |
es geht mir darum nicht schlecht, ich esse immer noch gut, auch ohne | |
Erdbeeren und Spargel. Ich teile mir den Tag frei ein, und wenn ich Lust | |
habe, gehe ich im Park laufen, und das kostet mich nichts. | |
Alles andere, Kleidung, Geschirr, Schnickschnack, das gibt es überall fast | |
für umsonst. Unsere Gesellschaft ist so voller Überfluss, produziert so | |
viel zu viel, dass die Dinge einfach keinen Wert mehr besitzen. | |
An jeder Straßenecke gibt es eine „Zu-verschenken-Kiste und teilweise ganze | |
Zu-verschenken-Häuschen. Vor den Mülltonnen in unserem Innenhof stehen | |
Kartons mit Dingen, die vielleicht noch jemand haben will, bevor sie | |
weggeworfen werden. Auf Ebay, auf der Straße, in den Kleiderkammern der | |
Obdachlosenhilfe, wie werde ich das Zeug los, ohne es wegzuwerfen? | |
Denn wegwerfen fühlt sich nicht so gut an. Das will man nicht mehr. Aber | |
nicht einmal das Verschenkte findet noch ausreichend Abnehmer*innen. Es | |
bleibt liegen, insbesondere Kleidung wird nass und schmutzig, schließlich | |
zu Müll. | |
Das System erbricht sich, denn es ist vollgefressen und jetzt erbricht es | |
sich. Es sind erst kleine Häufchen, aber es wird mehr, und bald werden | |
Berge vor den Häusern liegen, und wir werden darüber hinwegsteigen, werden | |
uns Wege bahnen, zwischen den Dingen hindurch, die niemand mehr haben will, | |
wir werden zahlen, dafür, dass jemand die Dinge wieder abholt, die jemand | |
anderes uns geliefert hat, und am Ende werden wir im Schatten dieser Haufen | |
leben, im Schatten dieser riesigen, häuserhohen Haufen von Dingen, die wir | |
nicht brauchen, die uns belasten und die kein Mensch auf der Erde mehr | |
haben will. | |
Niemand wird dann mehr etwas geschenkt haben wollen – es sei denn, es ist | |
kein Gegenstand. | |
11 Jun 2024 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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