| # taz.de -- Rätsel der Männlichkeit: Vom Drang, den Penis zu zeigen | |
| > Warum wollen Männer, dass alle sehen, was sie für ihr bestes Stück | |
| > halten? Unsere Autorin kommt da nicht mit. | |
| Bild: Das öffentliche Urinieren ist in Brüssel sogar eine Sehenswürdigkeit | |
| Es ist Sommer, ich jogge im Park, und schon sind sie wieder da – die | |
| [1][Penisse]. Ein Mann steht auf dem Weg und pinkelt an einen Baum. Er | |
| könnte sich auch hinter den Büschen erleichtern oder sich nach einer | |
| öffentlichen Toilette umsehen, aber er steht auf dem Weg, auf dem ich | |
| gerade um die Kurve gelaufen komme, und da ich ihn von der Seite erblicke, | |
| erblicke ich auch das kleine Fitzelchen Fleisch. Ich wollte es nicht, aber | |
| es ist schon geschehen. | |
| Jedes Jahr sehe ich unfreiwillig wenigstens zehn Penisse, freimütig, | |
| gleichgültig oder auch stolz werden sie mir dargeboten, den ersten sah ich | |
| mit sechs, das sind dann ungefähr fünfhundert unfreiwillige Penisanblicke. | |
| Den ersten sah ich also mit sechs Jahren, wir wohnten im Wald und ich | |
| wartete an der Straße, die ebenjenen Wald durchschnitt, täglich alleine auf | |
| den Bus, um in die Schule zu fahren. Ein Mann stieg aus dem Auto und | |
| pinkelte in Sichtweite und mir zugewandt an einen Baum. Er wiederholte das | |
| in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten. Pinkelte er nur vor Kindern oder | |
| auch vor Frauen? Gibt es pädophile Exhibitionisten? | |
| In der Schule, in die ich von nun an ging, gab es dann bald die nächsten | |
| Penisse, die der kleinen Jungen meiner Klasse. „Willst du mal meinen Puller | |
| sehen?“, flüsterten sie mir verschwörerisch ins Ohr. Warum kleine Jungen so | |
| scharf darauf waren, ihn herzuzeigen, ich weiß es nicht. | |
| Ich lehnte ab, aber andere Mädchen gingen mit den Jungen auf die Toilette, | |
| um ihn sich anzusehen. Waren sie neugierig? Mag sein. Wollten sie den | |
| Jungen einen Gefallen tun? Auch das kann sein. Einige Mädchen waren bereit, | |
| alles für Jungen zu tun, um ihnen zu gefallen. | |
| ## Hose runter | |
| Jedenfalls kam unsere Hortbetreuerin in einem solchen Fall dahinter und der | |
| betreffende Junge musste ihn uns zeigen, Hose runter vor der ganzen Gruppe. | |
| Wahrscheinlich hielt sie das für eine gute, pädagogische Maßnahme. Sie | |
| sagte, „Jetzt habt ihr ihn alle einmal gesehen, damit ist das hoffentlich | |
| erledigt.“ | |
| Auch dieser pädagogisch motivierten Zurschaustellung wohnte ich nicht | |
| freiwillig bei, aber ich wagte nicht, nicht hinzusehen, denn das sollten | |
| wir ja, es war Teil der Bestrafung, dass wir hinsahen, man könnte sagen, | |
| wir wurden unfreiwillig Teil sowohl seiner als auch unserer kollektiven | |
| Bestrafung. | |
| Die meisten Penisse, die ich im Laufe meines Lebens eigentlich nicht sehen | |
| wollte, waren die von pinkelnden Männern. Nachts, nach einem Konzert oder | |
| nach der Disco standen sie überall betrunken herum, oft nur wenige Schritte | |
| von der Tür entfernt, obwohl die entsprechenden Locations wohl Toiletten | |
| hatten, die sie hätten benutzen können. Ich sah sie am Rande eines | |
| Volksfests nebeneinander auf die Rückwand des Toilettenwagens strullen, | |
| obwohl am Eingang zur Herrentoilette dieses Wagens keine Schlange stand wie | |
| an dem der Frauen. | |
| Auf Spielplätzen, rund um jeden Bahnhof, in dem es Toiletten gibt, aber das | |
| spielt keine Rolle, [2][der Mann holt ihn raus, wenn ihm so ist]. Ihm ist | |
| einfach danach. Er holt ihn auch raus, einfach, um ihn zu zeigen, in der | |
| U-Bahn, auf dem Sitz schräg vor dir, zum Beispiel, er leuchtet sich selbst | |
| mit der Taschenlampe an, damit du ihn im Dunkeln auch wirklich siehst. | |
| Wenn es sich dabei um eine Krankheit handelt, warum befällt diese Krankheit | |
| nur Männer? Das Internet hat dem Mann mit Penisstolz [3][unglaubliche | |
| Möglichkeiten eröffnet]. Ein Bild kann mehrfach, ja hundertfach verschickt | |
| werden. Hier ist er, mein Penis, ist er nicht wunderschön, ist er nicht ein | |
| Geschenk? | |
| 17 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Penis/!t5013863 | |
| [2] /Wer-pinkeln-will-muss-zahlen-Fatal/!5216674 | |
| [3] /Finnischer-Gesetzentwurf/!5717717 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Seddig | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Zu verschenken | |
| wochentaz | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Penis | |
| Toxische Männlichkeit | |
| Männlichkeit | |
| Kolumne Zu verschenken | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| wochentaz | |
| wochentaz | |
| Buch | |
| Kolumne Zu verschenken | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Irritationen vorm Fenster: Während die anderen schreiben | |
| Unsere Kolumnistin schaut aus dem Fenster und lässt sich beim Nichtstun | |
| stören: ein sonderbarer Weg nach außen und weg von den eigenen Gefühlen. | |
| Bautzen und die Frage, worauf es ankommt: Mut und Liebe | |
| Es gibt wichtigeres, als die Liebe privat zu halten. Wenn man den Hass | |
| sieht, den ein CSD wie in Bautzen begleitet, muss man raus, sagt unsere | |
| Kolumnistin. Und lieben. | |
| Kinder fragen, die taz antwortet: Jeder Penis sieht anders aus | |
| Wir wollen von Kindern wissen, welche Fragen sie beschäftigen. Der | |
| dreijährige Jona fragt: Warum haben andere Jungs größere Penisse als ich? | |
| Der Preis der Selbstbestimmung: Armut und Erdbeeren | |
| Zu machen, was man möchte, ist ein Privileg, meint unsere Autorin. Selbst | |
| wenn es bedeutet, wenig Geld zu haben. | |
| Über Lieblingsbuchhandlungen: Wie ich einmal Hass auf mich zog | |
| Ein Geschenkgutschein für eine große Buchhandelskette, oh, mein Gott! Was | |
| bloß tun? Unsere Kolumnistin steckt in einem Dilemma – und schreibt | |
| darüber. | |
| Ostern für Konfessionslose: Die ganze Geschichte | |
| Für unsere Kolumnistin ist Ostern ein besonderes Fest und wichtiges Ritual. | |
| Sie feiert es, auch wenn sie nicht an Gott glaubt. |