| # taz.de -- Die Wahrheit: Kundschafter des Pandas | |
| > Chinesische Spione sind überall in Deutschland. Tiefe Einblicke in den | |
| > ganz normalen Alltag eines smarten Pekinger Geheimagenten im Auftrag Xis. | |
| Erbarmungslos pfeift der eisige Wind durch die grauen Straßen von Berlin, | |
| als ein Byd aus der Kälte um die Ecke schießt und die Stalin-allee sanft | |
| summend hinunterrast. Verfolgt wird das makellos glänzende und mit allen | |
| Schikanen moderner Technik ausgestattete chinesische E-Auto von sechs | |
| deutschen Motorrädern, die röhren wie ein alter Traktor auf dem | |
| Kartoffelacker. | |
| Lässig entzündet der elegant gekleidete Fahrer einen Glimmstängel im | |
| Mundwinkel seiner schmucken, ein hochgeschlitztes kleines Schwarzes | |
| tragenden Beifahrerin, dann aktiviert er eine rot blinkende App auf dem | |
| Screen neben dem Lenker. Einem Blitz gleich zersägt ein Laserstrahl einen | |
| Baumstamm am Straßenrand, der exakt auf die Fahrbahn fällt. Die Verfolger | |
| rutschen, schlittern, stürzen wild durcheinander, während der noble Byd | |
| Yangwang U9 langsam in den blauen Strahlen der untergehenden Sonne | |
| davongleitet. Ein letzter Blick zurück. Ein Lächeln. Ein ganz normaler Tag | |
| für [1][einen chinesischen Geheimagenten] in der deutschen Hauptstadt. | |
| Wir treffen „Charlie Cheng“, wie sich der Spy-Beau undefinierbaren Alters | |
| zunächst nennt, auf der für Agentenaustausche im [2][Kalten Krieg] | |
| berühmten Glienicker Brücke zwischen Potsdam und Berlin. Nebel wabert über | |
| dem Wasser des Wannsees. Zur Tarnung trägt „Charlie“ auf dem Kopf einen | |
| sonnengelben Reishut aus Bambus, im Gesicht einen angeklebten Schnurrbart, | |
| der ihm in zwei langen schwarzen Schnüren vom Kinn herabhängt. Besonders | |
| auffällig ist sein mit Drachenmotiven gemusterter Kaftan, den Rücken zieren | |
| die Worte „Beijing Boy“. | |
| „Lichtige Olt für Meistel del Spionage“, erklärt „Charlie“, der wie d… | |
| personifizierte „gelbe Gefahr“ aussieht, vor der in den fünfziger Jahren im | |
| Westen gewarnt wurde: Eines Tages würden eine Milliarde Chinesen auf einen | |
| Befehl Maos hin in die Luft springen, um beim gleichzeitigen Aufprall auf | |
| den Boden die Erde aus ihrer Umlaufbahn zu bringen. Und genau zu diesem | |
| Thema hat der Diplomspion seine Abschlussarbeit an der Pekinger Hochschule | |
| für Feindbeobachtung verfasst: „Möglichkeiten und Perspektiven eines | |
| astronomischen Ultraschlags der Volksrepublik China“, so der Titel der | |
| Arbeit, für die er die Bestnote erhielt. | |
| ## Perfektes Deutsch im komplexen Auftrag der Pekinger Partei | |
| „Eine sehr komplexe Aufgabe selbst für das einstimmig der Kommunistischen | |
| Partei folgende chinesische Volk“, erklärt Vincent Lin-Meimers, wie | |
| „Charlie“ in Wahrheit heißt. Geboren und aufgewachsen ist er im | |
| niederrheinischen Neukirchen-Vluyn. Seine Eltern besitzen dort immer noch | |
| ein Restaurant. „Die beste Peking-Ente westlich von Santa Fe“, behauptet | |
| Vincent. Selbstverständlich spricht er perfekt Deutsch, wenn man mal von | |
| den Bruchstücken des Krefelder Platt absieht, dem Slang seiner Jugendjahre, | |
| in den er unwillkürlich verfällt, wenn er rheinisch offenherzig von früher | |
| erzählt. | |
| „Aber für die Erpelschlater“, wie er die deutschen Kartoffelsalatköpfe | |
| nennt, „tu ich immer so, als ob ich kein R aussprechen kann. Und ich kann | |
| latürnich wie alle Asiaten Karate.“ Latürnich? Natürlich! Das muss | |
| linksrheinische Geheimsprache sein. | |
| Mit dem schrillen Schrei „Hi! He! Ho!“ reißt er jetzt ungelenk Arme und | |
| Hände hoch, als ob er ein imaginäres Brett durchschlagen will. Aber solch | |
| eine Bruce-Lee-Show-Einlage werde genau wie die „typische“ Kleidung eben | |
| von ihm erwartet, behauptet er. Ist denn das Total-Offensichtliche seinem | |
| Beruf als Spion nicht abträglich, fragen wir ihn. Doch er winkt ab. | |
| „Ihr Kartoffeln wollt es doch so.“ Seine Verkleidung als Bilderbuch-Chinese | |
| beschaffe er sich regelmäßig in einem Karnevalskaufhaus an der | |
| Konstablerwache in Frankfurt. Und je markanter er sich verkleide, desto | |
| mehr würden ihm die Deutschen abnehmen, dass er kein Spion sei. Ein | |
| Widerspruch ist oft der geradeste Weg zum Ziel, habe schon Hegel | |
| festgestellt. Oder war es Konfuzius? Egal! | |
| Spätestens seit Jian G., der Assistent des Spitzenkandidaten der AfD für | |
| die Europawahl, von der Bundesanwaltschaft als Agent Pekings verhaftet | |
| worden ist, liegt das verschärfte Augenmerk der deutschen Öffentlichkeit | |
| auf der Spionagetätigkeit des chinesischen Regimes. Jeder Asiat ist ein | |
| feindlicher Agent, weiß die von Populisten aufgeputschte Volksseele. | |
| Was die wenigsten allerdings wissen, ist, dass es tatsächlich eine | |
| Hochschule für Spionage in der Hauptstadt der Volksrepublik China gibt, auf | |
| der die „Kundschafter des Pandas“ ausgebildet werden, wie die Agenten im | |
| Volksmund in Anspielung auf den heimlichen Spitznamen des Vorsitzenden Xi | |
| Jinping genannt werden. Die Kang-Sheng-Universität verlassen jedes Jahr | |
| abertausende Diplom-Spione, denen James Bond nicht einmal den gerührten | |
| Martini reichen könnte. | |
| Wie Vincent, der ursprünglich Klempner in Kamp-Lintfort gelernt hat: „Gas, | |
| Wasser, Scheiße – machse normal ein Vermögen mit.“ Aber von wegen | |
| Fachkräftemangel, die blöden Deutschen wollten nicht, dass ein Asiat in | |
| ihrer Scheiße rührt. Nicht mal dafür war er ihnen gut genug. Also ab nach | |
| Peking. Und zurück mit dem Berufszeugnis des ehrbaren Geheimagenten. | |
| ## Geringes Ansehen für die üblen Verräter am reinen Volkskörper | |
| Seit den Nazis und den Zeiten der DDR sind Schlapphüte hierzulande nicht | |
| gut beleumundet. Agenten seien üble Verräter am reinen Volkskörper, der | |
| Feind höre stets mit, hatten die Nazis den Deutschen eingeimpft. Und die | |
| Romeos der DDR-Staatssicherheit waren auch keine gern gesehenen | |
| Liebeskräfte im bundesdeutschen Sekretärinnenstaat. Das wirkt bis heute | |
| nach. Da kommt kein Bond-Feeling auf. Der mit einem Kassengestell bebrillte | |
| Günter Guillaume als cooler Kundschafter des Friedens mit einem smarten | |
| Martini in der Hand? Lächerlich. | |
| Den „Flabes vonne Jong“, der er früher gewesen sei, gebe es längst nicht | |
| mehr, versichert Vincent zum Abschied. Er habe seine wahre Berufung | |
| mittlerweile gefunden. Bald werde er das „verpupte Deutschland“ endgültig | |
| verlassen und nach Hollywood beziehungsweise London gehen. Er habe nämlich | |
| ein Angebot bekommen, Nachfolger von Daniel Craig zu werden und in die | |
| Fußstapfen von Sean Connery und Roger Moore zu treten. Als 007 Nummer 7. | |
| Endlich könne er die Scheinwelt von Berlin hinter sich lassen, um den | |
| echten Kosmos der Filmspäher und -lauscher zu betreten. Als erster | |
| chinesischstämmiger Asiat überhaupt. Keine schlechte Karriere von einem | |
| ungeliebten Klempner in der niederrheinischen Provinz zum vergötterten | |
| Gentleman in der geheimnisumwitterten Glitzerszene des Geheimdienstes | |
| seiner Majestät, lächelt er stolz. | |
| „Bond, Charlie Bond“, übt Vincent Lin-Meimers schon einmal den prickelnden | |
| Klang der großen, weiten Welt, bevor er im kalten Nebel des düsteren | |
| Wannsees verschwindet. | |
| 8 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Ringel | |
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| ganz ohne Ironie, aber mit sehr vielen wolkenreichen Metaphern. |