# taz.de -- Die Wahrheit: Deutsche Dämlichkeiten | |
> Die „Süddeutsche Zeitung“ verkündet am Wochenende das Ende der Ironie �… | |
> ganz ohne Ironie, aber mit sehr vielen wolkenreichen Metaphern. | |
Bild: Wenn die Dämmerung auf die Cocktails fällt, dann ist das keine Ironie, … | |
Gerade erst ist die Münchner Lichtgestalt Franz Beckenbauer in den Himmel | |
aufgestiegen, da erreicht uns aus der in Tränenfluten versinkenden | |
bayerischen Landeshauptstadt eine weitere tieftraurige Nachricht. Hilmar | |
Klute verkündete am Wochenende in einem schwergewichtigen Essay der | |
Süddeutschen Zeitung unter dem depressiven Titel „Deutsche Dämmerung“ das | |
Ende der Ironie: „Wenn AfD-Politiker über die Ausweisung ganzer | |
Bevölkerungsgruppen nachdenken, haben Ironie und Hoffnung ausgedient.“ Ist | |
das tatsächlich so? Schluss mit lustig? Pointenschmieden melden Insolvenz | |
an? Das Ende des schenkelzwinkernden Augenklopfens ist gekommen? | |
„Für Optimisten ist im Augenblick wenig Futter in der Scheune“, weiß Bauer | |
Klute und lässt alle Scheunentore der Sprache offenstehen, damit die | |
Metaphern hereinpurzeln wie Heuballen: „Der Blick auf die Vergangenheit und | |
die scheinbar zwangsläufigen Wege ins Unglück kann erhellend sein, selbst | |
wenn man zunächst auf eine dicke, dunkle Wolke stößt.“ Der Blick auf Wege | |
kann erhellend sein? Aber nur wenn die Laternen des Sinns leuchten. Und wo | |
diese dicke, dunkle Wolke den Blick verstellt, ist klar: im Kopf von Hilmar | |
Klute. | |
Denn dort ist auch ein anderes Münchner Kindl unterwegs, in das sich der | |
SZ-Redakteur hineinversetzt: Der deutsche Schriftsteller Lion Feuchtwanger | |
verfällt im Mai 1940 „in seinem zauberhaften Haus in Sanary-sur-Mer“ an der | |
Côte d’Azur trotz der Gestapo, die ihm im Exil „längst auf den Fersen“ … | |
nicht in Panik: „Die Abenddämmerung fiel auf die Bücher und die Möbel – … | |
bukolischer Albtraum“, fantert sich Klute eine Exilanten-Idylle zurecht, | |
die eher ein sprachlicher Albtraum ist. Sind es nicht sonst Sonnenstrahlen | |
oder Schatten, die auf etwas „fallen“? Im Hause Klute fällt auch die | |
Dämmerung aufs Mobiliar. Hoffentlich geht das gute Geschirr dabei nicht | |
kaputt. | |
Zunächst dürfen wir jedenfalls hoffen: „Die Zuversicht gehört zum Inventar | |
der Neujahrswunschkultur“, versichert Klute im Stile des gehobenen | |
Feuilletonisten und veredelt mit dem Schwallwort „Kultur“, mit dem sich | |
alles auf eine höhere Ebene heben lässt, die guten, alten Neujahrsvorsätze | |
zur „Neujahrswunschkultur“: „Ein junges Jahr hat mehr Aussichten, ein gut… | |
Jahr zu werden, als ein fortgeschrittenes, das ist bei Jahren und Menschen | |
dasselbe“. Nein, dasselbe ist es nicht, denn es gibt keine | |
„fortgeschrittenen Menschen“, zumindest im deutschen Sprachraum. Es sei | |
denn, es schreitet ein Klute mit gespreizten Worten durch ihn hindurch. | |
## Panorama mit Auswirkungen | |
„Man kann sich, je nach perspektivischer Reichweite, beinahe aussuchen, | |
welches Schattenpanorama die verheerendste Auswirkung auf die eigene | |
Lebenswelt haben könnte“, kehrt Klute wieder zu seiner dunklen Metapher | |
zurück, die er diesmal zu einem Panorama weitet. Kann aber ein Rundbild von | |
bis zu 360 Grad Auswirkungen auf Lebenswelten haben? Ist nicht der Blick | |
von der dicken, dunklen Wolke verschattet? Da hat wohl einer nicht mehr | |
alle Schatten auf der Pfanne, hätte man früher in Klutes Heimat Bochum zu | |
solch einem Schwollo gesagt. | |
Nach sehr vielen wolkenreichen Metaphern kommt der Herr der schiefen Bilder | |
dann endlich zur Sache: „Ironie war immer schon eine unglückliche Wahl, | |
wenn Demokraten gefordert sind, ihre Feinde zu bekämpfen“, behauptet Klute | |
und zitiert seinen Säulenheiligen Kurt Tucholsky herbei. Aber ist das | |
wirklich so? Oder ist nicht die Ironie die einzige Waffe kleiner dicker | |
Männer, die mit ihren Schreibmaschinen eine Katastrophe aufhalten wollen, | |
wie Erich Kästner einst Kurt Tucholsky beschrieb. Hätte Tucholsky lieber | |
seine Ironie wie ein schmutziges Hemd ablegen sollen, um mit der | |
pathetischen Stimme eines komplett unironischen Goebbels den totalen Krieg | |
gegen die Feinde der Demokratie auszurufen? | |
Die Ironie an der Geschicht’ ist allerdings eine andere: Denn Hilmar Klute | |
ist als SZ-Redakteur für die einzige Rubrik zuständig, die mit Hilfe der | |
hohen Kunst der Ironie ein wenig Komik in die ansonsten weitgehend | |
humorfreie Süddeutsche Zeitung bringen soll: das „Streiflicht“ auf der | |
Seite eins. | |
## Pointen für Verzagte | |
Ein glossierendes Schmunzelstück, das jeden Tag im weiten Bogen bei Adam | |
und Eva beginnt, im Vorbeischlurfen Martin Luther erwähnt, dann ein | |
geflügeltes Wort unbedingt von Goethe oder Tucholsky aufgreift, um mit | |
einer seichten Pointe aus der Wortspielhölle zu enden, die auf keinen Fall | |
die verzagte Leserschaft des bayerisch-katholischen Familienblatts | |
verletzt. Ein süddeutscher Dämmerhumor von ohrenbetäubender | |
Verschnarchtheit, die in Fachkreisen „das schnorchelnde Kluten“ genannt | |
wird. | |
Und jetzt ruft dieser verblasene Teilzeitkomiker das Ende der Ironie aus. | |
Das hatten wir doch schon mal: Nach der ersten Katastrophe dieses | |
Jahrhunderts, nach dem Elftenseptember, waren es die selbsternannten | |
Moralapostel der deutschen Öffentlichkeit, die „das Ende der | |
Spaßgesellschaft“ verkündeten. Spitzenkräfte wie die Kriegsmumie vom Stern | |
Peter Scholl-Latour oder der Bild-Boss Kai Diekmann oder der scheinheilige | |
Betbruder Peter Hahne, der gleich ein ganzes moralinsaures Buch zum Thema | |
auf den Markt warf: „Schluss mit lustig. Das Ende der Spaßgesellschaft.“ | |
Oder die Münchner Trendforscherin Felizitas Romeiß-Stracke, die einen | |
„Abschied von der Spaßgesellschaft“ prognostizierte und eine Renaissance | |
von Tiefe, Werten und Sinn versprach, und bei der wir uns immer fragten, | |
wann eigentlich solche Doppelnamen durch Tiefe und Sinn abgelöst werden. | |
Und in diese illustre Garde, die eine „wertorientierte | |
Verantwortungsgemeinschaft“ for-derte, um der bedrohlichen Dekadenz des | |
Humors entgegenzutreten, reiht sich nun Hilmar „Ironyman“ Klute ein. Das | |
grenzt an Arbeitsverweigerung! Da kann man nur ganz unironisch viel Spaß | |
wünschen. | |
22 Jan 2024 | |
## AUTOREN | |
Michael Ringel | |
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