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# taz.de -- Yogalehrerin über Sport-Apps: „Zum Schluss blieb zu wenig übrig…
> Ihr Yoga-Institut war lange eine Institution in Berlin. Jetzt schließt
> Eva Obermeier nach 28 Jahren ihr Studio in Kreuzberg.
Bild: Eva Obermeier im Hof ihres Instituts
wochentaz: Frau Obermeier, vor Kurzem erst hatten Sie Ihre letzte
Yogastunde in Ihrem eigenen Studio. Wie hat sich das angefühlt?
Eva Obermeier: Sehr berührend. Das geht jetzt schon ein paar Wochen so,
dass ich immer wieder E-Mails kriege oder von Leuten angesprochen werde.
Bei der letzten Stunde kamen wirklich einigen TeilnehmerInnen die Tränen.
Ich bin überhäuft worden mit Blumen, mit Geschenken, mit Applaus, es gab
eine spontane Abschiedsrede. Ein Triathlet, der einen schweren Unfall
hatte, hat mir gesagt: „Du hast mich wieder hingekriegt.“ Da bekomme ich
auch Gänsehaut und dann liefen auch bei mir die Tränen.
Trotzdem hat es nicht dazu geführt, dass Sie Ihre Entscheidung, aufzuhören,
überdenken …
Ich habe mir das wirklich nicht leicht gemacht. Ich unterrichte jetzt seit
31 Jahren, und seit 28 Jahren habe ich diese Yogaschule. Ich habe früher an
jedem Tag der Woche unterrichtet, sowohl vormittags als auch abends, an den
Wochenenden. Zu meinen Schülern gehörten Schwangere, Frauen nach der
Entbindung und auch Kinder. Als meine eigenen Kinder klein waren, habe ich
morgens um vier mit dem Training begonnen, damit ich fertig war, wenn um
sechs Uhr die Kinder wach geworden sind. Trotz der vielen Arbeit, die das
gemacht hat, blieb zum Schluss einfach zu wenig übrig, weil sich die
Rahmenbedingungen geändert haben. Ich beobachte das auch bei anderen: Fast
alle alten Hasen hören bundesweit auf. Es findet gerade ein großer Wechsel
statt.
Ein alter Hase sind Sie in der Tat. Als Sie 1991 angefangen haben, war Yoga
noch ein Nischenphänomen. Wie sind Sie selbst damals dazu gekommen?
Das war nach der Geburt meines ersten Kindes. Ich hatte vorher als
Physiotherapeutin in der Orthopädie gearbeitet und war früher
Leistungssportlerin, Leichtathletin. Als mein Sohn ein Jahr alt war, musste
ich etwas für mich tun. Viele Sportarten kamen mir zu schwierig und
zeitintensiv vor. Ich habe nach etwas gesucht, das ich machen kann ohne
großen Aufwand. Yoga kann man auch im Alter machen, man muss nicht groß
etwas buchen. Also habe ich mich auf die Suche gemacht. 1991 gab es in ganz
Berlin tatsächlich nur zwei Yogaschulen, und zu einer bin ich hingegangen.
Nach der ersten Stunde war ich völlig überrascht, wie anstrengend und
fordernd das war. Ich hatte schon ein bisschen das Beten, das Esoterische
erwartet. Tatsächlich bin ich mit Muskelkater, aber dennoch entspannt nach
Hause gegangen. Ich war begeistert. Meine erste Yogalehrerin hatte ihren
indischen Yogalehrer nach Berlin eingeladen. Bei dem habe ich dann einen
Workshop gemacht und danach gedacht: Das ist es! Sechs Wochen später war
ich in Indien und habe angefangen, täglich Yoga-Unterricht bei ihm zu
nehmen. Er fragte mich: Möchtest du Yogalehrerin werden? Ich hätte mir das
gewünscht oder erträumt, aber damals kam mir das nicht realistisch vor. Ich
fragte ihn also: Muss ich das jetzt wissen und entscheiden? Er sagt, ja,
denn dann wäre sein Unterricht anders. Aus diesem einen Besuch wurden dann
14 Jahre, in denen ich diesen Lehrer regelmäßig besucht habe, mal mit
Familie, mal ohne.
Man musste damals also nach Indien gehen, wenn man Yoga richtig lernen
wollte?
Es gab in Berlin eigentlich noch gar keine richtigen Yogastudios und
Yogalehrer:innen-Ausbildungen so wie heute. Meine erste Yogalehrerin
hatte einfach einen Raum in Schöneberg gemietet, und der Raum sah genauso
aus, wie meiner heute immer noch aussieht: nichts drin, außer ein paar
Hilfsmitteln, Matten, Decken, Klötze. Das war’s. Wenn man Yoga lernen
wollte, musste man im Grunde zu den Quellen, also nach Indien oder
vielleicht noch in die USA, wo die Nachfolger von den großen Yogalehrern
unterrichtet haben. Ich bin sehr, sehr froh und dankbar, dass ich an der
Wurzel war und dass ich Yoga so gelernt habe, wie ich es gelernt habe.
Alles, was ich jetzt in Deutschland über die Jahrzehnte verfolgt habe,
finde ich verwässert.
Wann haben Sie Ihre eigene Schule gegründet?
1998. Vorher habe ich in irgendwelchen Ateliers oder Shiatsu-Schulen
Unterricht gegeben.
Nicht in Sportstudios, die es damals ja auch schon gab?
Nein, die haben das damals noch gar nicht angeboten. Der große Umbruch und
Trend kam erst ab 2000. Als die Krankenkassen das als Präventionskurse
angeboten haben, fing das immer mehr an. Damals war noch nicht bekannt, was
Yoga eigentlich ist, wie Yoga hilft. Die meisten denken ja: Ich muss
beweglich sein, um Yoga machen zu können. Aber in Indien machen nicht die
beweglichen Menschen Yoga, ganz im Gegenteil. Mein Ansatz war immer, dass
genau die Unbewegten und diejenigen, die Beschwerden haben, Yoga machen
sollten. Daraus habe ich meine Methode des OrthoYoga entwickelt, in die
natürlich auch die Erfahrungen, die ich als Sportlerin und
Physiotherapeutin hatte, eingeflossen sind. Und das hat sich dann
herumgesprochen. Als Werbung gab es damals ja nur die Kleinanzeigen [1][in
den Stadtmagazinen hier], Tip oder Zitty.
Bei Ihrer Methode spielen also die Spiritualität und die Selbsterfahrung,
die viele mit Yoga verbinden, keine Rolle?
Doch, aber ich finde, die spirituellen Erfahrungen sind persönlich. Das
gehört nicht in eine Gruppe, da muss jeder seinen eigenen Zugang finden.
Ich hänge das nicht an die große Glocke. Aber für mich gehören Meditation
und Atemübungen auch dazu. Den Weg zur Selbsterkenntnis machen die Asanas
natürlich leichter. Solche Körperübungen können einfach ganz viel öffnen,
Spannungen lösen sich. Dabei kommt viel hoch. Aber ich wollte das
niemandem aufzwingen. Mein Anliegen und Ziel ist und war es, dass die
Teilnehmer:innen sich nach der Yogastunde gut, längerfristig
beweglicher und gesünder fühlen.
Es gibt in Ihrem Studio keine Buddha-Bilder, und es wird auch zum Schluss
nicht „Om“ gemacht …Genau. Der Ursprung von Yoga hat damit auch gar nichts
zu tun. Das steht in der Yoga-Sutra von Patanjali, [2][den viele als
„Vater des Yoga“ betrachten] und der da ziemlich neutral ist: Yoga hat
nichts mit Religion zu tun. Im Westen waren die Leute irgendwie auf der
Suche nach etwas, und dafür sollte eine Wohlfühl-Atmosphäre geschaffen
werden, und daher fließen diese asiatischen Elemente, die das unterstützen
sollten, oft mit ein.
Worum geht es denn jetzt genau beim OrthoYoga? Wie erfindet man eine eigene
Yogarichtung?
Die meisten Menschen haben irgendwelche Zipperlein und sagen: „Ich kann das
nicht machen oder ich kann diese Position nicht einnehmen.“ Ich arbeite
funktionell anatomisch. Es geht bei mir nicht darum, die fortgeschrittenen
Yogapositionen zu erreichen. Man soll sich einfach beschwerdefrei bewegen
können, und das auch im fortgeschrittenen Alter. OrthoYoga soll einen in
die Lage versetzen, möglichst alle Bewegungen, die der Körper
natürlicherweise beherrscht, wieder ausführen zu können und das Vertrauen
mit dem nötigen Körpergefühl wieder zu erlernen und zu gewinnen.
Aber was bedeutet das für die konkrete Unterweisung? Gibt es für eine
Sitzung eine bestimmte Choreografie, eine geplante Abfolge von Übungen?
Nein. Das hat mehr mit Erfahrung zu tun, mit dem geschulten Blick. Am
Anfang habe ich mir immer einen Plan gemacht. Aber dann musste ich oft den
Plan umwerfen, weil alles, was ich mir vorgenommen hatte, nicht möglich
war. Viel wichtiger ist, dass ich mir die Leute ansehe, wenn sie
reinkommen: Wie gehen die? Wie stehen die? Wie sieht dieses Gesicht aus?
Manche erzählen mir gleich ganz viel. Ich frage auch immer: Gibt es etwas,
worauf ich Rücksicht nehmen muss? Am Anfang der Stunde sitzen ja dann alle
erst mal ein paar Minuten ganz still. Dann ist mir schon ziemlich viel
klar, und ich weiß: Diese Person hat dieses Problem, die kann das, die ist
ganz fortgeschritten. Und dann arbeite ich spontan aus meiner Erfahrung und
Intuition heraus. Das ist schon harte Arbeit. Die Menschen denken, du
machst dein Hobby zum Beruf, du übst bei jeder Yogastunde für dich selbst.
Aber das stimmt nicht. Die Diskrepanz zwischen Yoga selber üben und Yoga
unterrichten ist groß. Ich persönlich mache sehr selten etwas vor. Kann ich
gar nicht, weil ich immer die Gruppe im Blick habe. Wenn ich mal was zeige,
dann nur kurz. Bei mir kommt es nicht darauf an, wie stelle ich mich dar.
Bei mir geht es darum, wie ich gesund werde und wie man das richtig macht.
Mussten Sie für diese physiotherapeutische Zielsetzung eigene Übungen
entwickeln?
Nein, ich bin kein Erfinder. [3][Es gibt über 2.100 Asanas]. Da muss ich
nur in diesen großen Pool reingreifen und dann je nachdem anpassen. Beim
abwärtsgerichteten Hund gibt es zum Beispiel so viele Varianten und so
viele Schritte, um dort hinzukommen, und ebenso viele
Ausführungsvariationen. Dass ich dieser Methode den Namen OrthoYoga
gegeben habe, kam eigentlich erst durch die Bücher, die ich veröffentlicht
habe. Eine Schülerin hat in dem Verlag gearbeitet und gesagt, ich sollte
das doch mal aufschreiben, was ich vermittle. Ich hatte nie daran gedacht,
dass ich ein Buch schreiben könnte. Aber als ich dann angefangen habe, ging
es ganz schnell, das stand alles schon in meinem Kopf. Der Verlag hat dann
gesagt: Du musst dem Ganzen einen Namen geben. So bin ich auf OrthoYoga
gekommen.
Seit Sie angefangen haben, hat sich die Yogaszene sehr verändert. In
Berlin scheint es heute in jedem Häuserblock ein Yogastudio zu geben. Die
Kunden kommen nicht mehr wegen Anzeigen in den Stadtmagazinen, sondern
werden von Fitness-Apps gelenkt. Was bedeutet das für Ihr Studio?
Diese Fitness-Apps bringen das Ganze zu Ende. Die ganzen Plattformen wie
Urban Sport Club, Eversports, Wellpass, Classpass und wie sie alle heißen,
nehmen uns kleinen Schulen den Boden. Ich kriege ständig irgendwelche
E-Mails, wo mich so ein Unternehmen gewinnen will. Das ist schon sehr
bitter, weil alles nur noch auf Masse ausgerichtet ist. Uns bleibt davon
spektakulär wenig. Bei uns kostete eigentlich eine Stunde circa 17 Euro.
Wenn ein Nutzer, egal welche Plattform er benutzt, die teuerste
Mitgliedschaft hat, bekommen wir 7 Euro, wenn er die billigste hat, sogar
nur 3 Euro.
Obwohl Ihr Studio dieselbe Leistung erbringt. Die Plattformen nutzen ihre
Macht also aus und geben ihr unternehmerisches Risiko an die Anbieter
weiter …
Es ist sogar bei manchen Plattformen üblich, dass wir für neue Mitglieder
im ersten Monat überhaupt nichts bekommen, egal wie oft sie unsere Kurse
besucht haben. Erst bei der Abrechnung am Ende des Monats sehen wir, woran
wir waren. Die allermeisten User dieser Plattformen wissen über diese
Situation für uns nicht Bescheid. Die Gastronomie hat ja in diesem Jahr
geschimpft, weil sie wieder 19 Prozent Umsatzsteuer zahlen musste, wie vor
Corona. Das müssen wir schon seit Ende 2022. Wir müssen unsere
Krankenkassen zahlen. Wir sind Soloselbstständige. Wir werden teilweise
verpflichtet, in die gesetzliche Rentenversicherung zu gehen oder
mindestens einen Angestellten zu beschäftigen. Und durch diese Plattformen
bleibt bei uns gar nichts mehr hängen. Die Mitglieder dieser Plattformen
kann ich verstehen. Die können mit diesen Apps alles ausprobieren. Aber es
verführt auch zu einer Konsumhaltung. Man geht hin, dann lässt man es
wieder. Das führt nicht dazu, dass man Yoga besser lernt oder versteht.
Wenn man bei einem Studio ein gutes Gefühl hat, sollte man sich auch ein
bisschen drauf einlassen und nicht dauernd wechseln. Solange es diese
Plattformen gibt, sieht es für uns schlecht aus.
Können die Plattformen auch deswegen ihre Bedingungen diktieren, weil es
gerade in Berlin ein Überangebot an Yogastudios gibt, die sich alle
gegenseitig Konkurrenz machen und dringend Kundschaft brauchen?
Ich weiß nicht, ob es zu viel ist. Aber die meisten machen immer das
Gleiche. Dass sich jemand eine Nische sucht, ist selten. Ich bin irgendwann
von Ärzten empfohlen worden, die ihre Patient:innenen zu mir geschickt
haben. Zum Teil sind die Ärzte auch selbst zu mir gekommen. Viele
Kolleg:innen machen es auch aus Leidenschaft, also nicht
hauptberuflich, sondern nur nebenberuflich.
Mein Eindruck ist, dass man sein Studio auch immer stärker inszenieren und
gestalten muss, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Da muss die
Innenarchitektur stimmen, man muss ein Environment bieten, das
„instagramable“ ist: Pflanzen, freigelegte Wände, aufwendige Beleuchtung,
Wandgemälde. Da entstehen richtige Yogapaläste.
Das stimmt. Bei mir war das nie so. Ich persönlich mache gar nichts auf
Instagram. Das macht mich krank. Ich kündige meine Workshops an oder dass
ich ein Retreat anbiete oder eine neue Lehrerin da ist. Aber jeden Tag
etwas für diese ganzen Kanäle zu liefern in irgendwelchen Positionen, mit
irgendwelcher Markenkleidung – nein! Darauf habe ich keine Lust. Woher soll
ich auch die Zeit dafür nehmen?
Haben Sie nicht Angst, dass Ihre OrthoYoga-Methode in Vergessenheit gerät,
jetzt, wo Sie keinen eigenen Ort mehr haben?
Es gibt inzwischen so viele Yogalehrer:innen, die irgendeine Ausbildung
genossen haben, die aber nicht wissen, wie sie mit gesundheitlichen
Problemen umgehen sollen. Das sind meist junge Yogalehrer:innen, die nicht
in Indien waren, die nicht so lange unter Supervision standen und die kein
medizinisches, physiotherapeutisches Hintergrundwissen besitzen. Für die
will ich Fortbildungen anbieten. Ich habe mich jetzt so aufgestellt, dass
ich genau das machen kann, was ich immer wollte: einfach nur Yoga
unterrichten, nicht mehr das Geschäft. Ich werde als Gastdozentin unterwegs
in ganz Deutschland und im Ausland sein. Yoga bleibt meine Leidenschaft.
Deswegen mache ich auch weiter.
9 Jun 2024
## LINKS
[1] /Aus-fuer-Stadtmagazin/!5691298
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Patanjali
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Asana
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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