# taz.de -- Südafrika braucht Koalition: Qual nach der Wahl | |
> Erstmals nach 30 Jahren verliert der ANC bei den Wahlen in Südafrika die | |
> absolute Mehrheit. Nun müssen sich die Parteien auf eine Regierung | |
> einigen. | |
Bild: Ich bin wieder da: Südafrikas ehemaliger Präsident und Wahlgewinner Jac… | |
JOHANNESBURG taz | Ein Ergebnis, das Geschichte schreibt: [1][Zum ersten | |
Mal seit 1994 hat die in Südafrika regierende Partei African National | |
Congress (ANC) nicht die absolute Mehrheit erreicht]. Der Star der Show | |
oder vielmehr der Unruhestifter ist stattdessen die Partei Umkhonto we | |
Sizwe (MK). Mit knapp 15 Prozent der Stimmen hat die populistische Partei | |
unter Führung von Ex-Präsident Jacob Zuma es geschafft, sich innerhalb von | |
nur sechs Monaten nach der Gründung an den Tisch zu katapultieren, der | |
sonst einzig für das politische Schwergewicht ANC und dessen Konkurrent | |
Democratic Alliance (DA) reserviert war. | |
[2][Trotz massiver Kritik] hatte sich der ANC vor den Wahlen unbeirrt | |
gegeben. Eine instabile Stromversorgung, Korruption, Kriminalität und das | |
Versagen von Basisdienstleistungen des Staats sind nur einige der Punkte, | |
die Südafrikas Bevölkerung seit Jahren zu schaffen machen. Präsident Cyril | |
Ramaphosa aber gab sich trotz der steigenden Frustration selbstbewusst. | |
Auch am Sonntagmittag, als nach Auszählung von 99,89 Prozent aller | |
Wahlbezirke das katastrophale Ergebnis von gerade mal 40 Prozent für den | |
ANC deutlich wurde, kommentierte die Dauerregierungspartei auf ihrem | |
Presse-Whatsapp-Kanal, sie sei nach wie vor die beliebteste Partei. | |
Das stimmt zwar, doch der Fall ist dramatisch. Während der ANC bei den | |
Wahlen 2004 ein Rekordhoch von fast 70 Prozent erreichte, waren es bei den | |
letzten Wahlen 2019 noch 57,5 Prozent. Nun sind es gerade mal 40 Prozent. | |
Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes ist der Ruf nach | |
Veränderung laut – und der Boden für populistische Thesen fruchtbar. Eine | |
Gemengelage, die MK-Parteichef Jacob Zuma genau zu bespielen weiß. „Was die | |
Wahlen gezeigt haben, ist, dass die MK nicht nur ein regionales Phänomen | |
ist. Sie ist zu einer nationalen Partei geworden“, sagt Paul Kariuki, | |
Leiter des Democracy Development Program, einer die Demokratie fördernden | |
Organisation mit Sitz in Durban. | |
## Noch wenig Einigungswillen zu erkennen | |
Dass Zuma in dessen Heimatprovinz KwaZulu-Natal auf großen Rückhalt stoßen | |
würde, hatte sich bereits vor den Wahlen abgezeichnet. Tatsächlich aber | |
kegelte die Partei mit 45,93 Prozent Zustimmung den ANC dort fast komplett | |
raus. Auch dass die MK in Provinzen über KwaZulu-Natal hinaus, etwa | |
Mpumalanga und Gauteng, Stimmen einfangen konnte, hat nicht nur den ANC | |
überrascht. Mit dem Aufstieg aus dem Nichts hat Zuma seiner ehemaligen | |
Partei ANC gehörig das Bein gestellt. | |
„Spannend werden die nächsten Wochen“, sagt Kariuki. Dann nämlich müssen | |
sich die Parteien zum ersten Mal in der Geschichte des Landes in einer | |
Koalition zusammenfinden: eine Geburt, die schwierig werden könnte, hatten | |
doch bis vor wenigen Tagen noch die stärksten vier Parteien, ANC, DA, MK | |
und die Economic Freedom Fighters (EFF), keinen großen Willen bekundet, | |
miteinander zusammenzuarbeiten. „Wichtig ist jetzt, dass die Interessen des | |
Landes und der Menschen über dem der eigenen Partei stehen sollten“, sagt | |
Kariuki. Noch fehle es aber an einer Sprache im nationalen Interesse, so | |
der Analyst. | |
Vor allem die MK sorgte in den letzten 24 Stunden noch mal kräftig für | |
Unruhe. Die Partei sowie 19 weitere politische Organisationen weigern sich, | |
die bisherigen Wahlergebnisse anzuerkennen. Auch kündigte Zuma an, die | |
südafrikanische Wahlkommission IEC solle nicht mit der Ergebnisbekanntgabe | |
fortfahren. Andernfalls, so der Politiker, würden die Südafrikaner dies | |
„nicht gut aufnehmen“. | |
Eine ominöse Drohung, zumal der 82-Jährige gar nicht ins Parlament | |
einziehen darf. Südafrikas Verfassungsgericht hatte Zuma in letzter Minute | |
aufgrund einer Vorstrafe für die Kandidatur gesperrt. Doch auch vor der | |
Sperre hatte Zuma über Monate hinweg die Kommission angegriffen, Zweifel an | |
deren Glaubwürdigkeit gesät und sich immer wieder als Opfer einer | |
Verschwörung dargestellt, die es darauf anlegt, ihn und seine Partei am | |
Erfolg zu hindern. „Im Vorfeld der Wahlen war ein starker Anstieg an | |
Desinformation zu beobachten, die vor allem über soziale Medien wie den | |
Nachrichtendienst Whatsapp geteilt wurden“, kommentiert Noko Makgato vom | |
Fact-Checking-Institut Africa Check. | |
## Der ewige Vizemeister | |
Trotz der Drohung Zumas und seiner Forderung nach Neuwahlen verkündete die | |
südafrikanische Wahlkommission, die Ergebnisse am Sonntagabend bekannt | |
geben zu wollen. Allerdings muss sie sich dazu zunächst durch einen Berg | |
von mehr als 500 Einsprüchen arbeiten. | |
Es ist eine aufgeheizte, chaotische Stimmung, mit der die Republik in die | |
neue Ära der Koalitionen eintritt. Ein Lärm, der den Fakt, dass die DA | |
erneut nur knapp 22 Prozent auf sich vereinen konnte, zu übertönen scheint. | |
„Wachstum ist Wachstum“, rechtfertigte dessen Vorsitzender John Steenhuisen | |
sich, doch hat der minimale Zuwachs einen faden Beigeschmack. Obwohl der | |
ANC eine katastrophale Regierungsbilanz vorzuweisen hat, hat es [3][die | |
größte Opposition] nicht geschafft, die Mehrheit der Wähler*innen von | |
sich zu überzeugen. Und das, obwohl die Partei in der Westkap-Provinz | |
erfolgreich regiert. Damit bleibt die Democratic Alliance der ewige | |
Zweitplatzierte. | |
Der ANC steht nun vor der Wahl, eine Koalition mit der DA einzugehen, die | |
für wirtschaftsliberale und marktorientierte Reformen steht, oder sich an | |
die populistisch radikalen Parteien zu halten wie die Economic Freedom | |
Fighters: eine Aussicht, die besonders Investoren und die Mittelschicht | |
nervös macht. Denn die Partei steht unter anderem für Landenteignungen und | |
die Nationalisierung von Schlüsselindustrien. Eine weitere Option wäre eine | |
Allianz mit der MK, der Partei, die den ANC die meisten Stimmen gekostet | |
hat. Diese aber hat bereits angekündigt, nur gemeinsame Sache mit dem ANC | |
zu machen, wenn dieser Cyril Ramaphosa absetzt. | |
Die Zeit für eine notwendige Koalitionsbildung ist knapp. Lediglich zwei | |
Wochen bleiben den Parteien nach der offiziellen Ergebnisverkündung, um | |
eine Regierung zu bilden. Waren die Parteien bislang eher schmallippig | |
unterwegs, wenn es um konkrete Kooperationen ging, wird es damit bald | |
vorbei sein müssen. | |
2 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Helena Kreiensiek | |
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