# taz.de -- Energieminister vertagen Strompreiszonen: Deutsche Teilung aufgesch… | |
> Die Konferenz der Energieminister*innen hat das Thema | |
> Strompreiszone ausgespart. So geht weiter sauberer Strom verloren. | |
Bild: Sollen seltener abgeregelt werden: Windräder im Norden | |
KIEL/BREMEN taz | In Norddeutschland, wo Windräder mehrere tausend Stunden | |
im Jahr große Mengen an sauberer Energie liefern – dort, ausgerechnet, ist | |
der Strom für die Menschen in Deutschland am teuersten. | |
Das Missverhältnis ist 2023 einer größeren Öffentlichkeit bewusst geworden. | |
Der Grund für die ungerechte Verteilung: Wo neue, große Windkraftanlagen | |
entstehen, muss das Stromnetz ausgebaut werden. Die Kosten dafür werden | |
über die Netzentgelte bezahlt, aber nicht von allen Verbraucher*innen | |
gleichmäßig, sondern nur dort, wo der Strom entsteht. | |
Eine ernsthafte Debatte um eine Lösung hatten sich manche von der | |
Energieministerkonferenz vergangene Woche in Kiel erhofft: Gastgeber Tobias | |
Goldschmidt (Grüne), Energiewendeminister von Schleswig-Holstein, hatte | |
zuvor wiederholt ein neues Strompreismodell gefordert: Deutschland solle | |
geteilt werden – in zwei verschiedene Strompreiszonen, Nord und Süd. | |
Von Mittwoch bis Freitag trafen sich die Fachminister*innen der Länder | |
und des Bundes in Kiel, um verschiedene Themen der Energiewende zu | |
debattieren. In der Ankündigung zur Konferenz hatte es noch geheißen, sie | |
solle sich auch um „ein Konzept für das künftige Strommarktdesign“ drehen. | |
Zum Auftakt hatte die energiepolitische Sprecherin der | |
Grünen-Landtagsfraktion, Ulrike Täck, kritisiert, dass eine einheitliche | |
Strompreiszone die aktuelle Situation nicht mehr abbilde: „Heute wird der | |
Strom vor allem im Norden produziert und im Süden verbraucht.“ | |
## Thema gar nicht debattiert | |
Eingelöst wurde das Versprechen auf eine Debatte geteilter Strompreiszonen | |
auf der Konferenz nicht: Goldschmidts Forderung wurde gar kein Thema in | |
Kiel. „Schleswig-Holstein will den geteilten Strompreismarkt natürlich | |
immer noch“, so eine Pressesprecherin seines Ministeriums. „Aber als | |
Gastgeber haben wir uns mit eigenen Anträgen zurückgehalten.“ | |
Der Widerstand gegen die Idee eines geteilten Strommarktes ist vor allem in | |
Bayern groß. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte 2023 den | |
Industriestandort Deutschland in großer Gefahr gesehen. Ein geteilter | |
Strommarkt würde Süddeutschland wohl etwas schlechter stellen. Die | |
Netzentgelte würden zwar immer noch dort zu Buche schlagen, wo der neue | |
Strom angeschlossen werden muss; aber gleichzeitig würde das größere | |
Angebot an Strom pro Einwohner*in im Norden den Preis für die | |
Kilowattstunde senken. Süddeutschland hingegen müsste [1][in manchen | |
Stunden mehr zahlen.] | |
Der finanzielle Ausgleich zwischen Nord und Süd wird wohl anders erreicht: | |
Die Bundesnetzagentur arbeitet aktuell an einer Reform des Netzentgelts: | |
Ein Großteil davon solle in Zukunft auf alle Verbraucher*innen umgelegt | |
werden, heißt es in einem neuen Entwurf von vergangener Woche. | |
Nennenswerter Widerstand gegen die Reform ist bisher nicht zu sehen. | |
Warum also erregt ein geteilter Strommarkt die Gemüter so sehr? Tatsächlich | |
hätten geteilte Strompreiszonen noch weitere Effekte. Unter anderem könnten | |
sie helfen, den sogenannten Re-dispatch zu vermeiden. | |
Der Wind an der Küste sorgt dafür, dass in Norddeutschland zu mancher | |
Stunde sehr viel günstiger Strom produziert wird. Wenn die großen Abnehmer | |
aus der Industrie in Süddeutschland den billigen Strom anfordern, müsste | |
der Nordstrom eigentlich den Weg durch die Leitungen bis nach Bayern und | |
Baden-Württemberg antreten. Das aber könnte das deutsche Stromnetz | |
überlasten. | |
In solchen Situationen wird heute vorsichtshalber ein „Re-dispatch“ | |
vorgenommen: Die norddeutschen Windkrafträder werden gezwungen, ihre | |
Produktion herunterzufahren, während gleichzeitig im Süden beispielsweise | |
ein Gaskraftwerk seine Produktion hochfahren muss. Mittlerweile, so | |
schreibt das Bundeswirtschaftsministerium, muss fast täglich eine solche | |
künstliche Drosselung vorgenommen werden. Der Schaden trifft die | |
Allgemeinheit: Sauberer Strom geht dem Netz verloren, bevor er überhaupt | |
produziert wird. | |
## Günstiger Nordstrom könnte Speichertechnik pushen | |
Durch eine Teilung des Strommarktes dürfte Süddeutschland bei überlastetem | |
Netz nicht mehr auf den günstigen Nordstrom zugreifen. Der Strom bliebe in | |
Norddeutschland – und so könnte es sich für Investor*innen lohnen, hier | |
Batteriespeicher und Elektrolyseure für grünen Wasserstoff zu errichten, | |
Technologien also, die auf überschüssige grüne Energie angewiesen sind. | |
Die Energieminister haben stattdessen auf ihrer Tagung mehr Geld vom Bund | |
für die Wärmewende-Planung gefordert. Angerissen wurde auch die Idee eines | |
Energiewendefonds, mit dessen Hilfe Energieversorger ihre Investitionen mit | |
einer Mischung aus öffentlichem und privatem Kapital finanzieren können | |
sollen. | |
Bemerkenswert ist noch ein einstimmig gefasster Beschluss, der auf den | |
ersten Blick unscheinbar wirkt: Danach sollen „die erneuerbaren Energien | |
nicht mehr systematisch gegenüber den fossilen benachteiligt werden“. | |
Helfen solle dabei auch ein „robuster CO₂-Preis“. Ein solch „klares | |
Bekenntnis, erneuerbare Energien besserzustellen, fehlte bislang von | |
Bayern“, sagt eine Sprecherin von Schleswig-Holsteins Umwelt- und | |
Energiewendeministerium. | |
20 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-um-Strompreiszonen/!5949954 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
Lotta Drügemöller | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Energiepreise | |
Energieversorgung | |
Strompreis | |
Windkraft | |
Tennet | |
Strombörsen | |
Energiewende | |
Erneuerbare Energien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Stromnetz wird nicht verstaatlicht: Chance für die Energiewende verpasst | |
Der Kauf von Tennet, einem Mitbetreiber der Nord-Süd-Stromtrasse, durch den | |
Staat ist geplatzt. Das ist keine gute Nachricht für die Energiewende. | |
Streit um Stromtarife: Sind Strompreiszonen Gift? | |
Unterschiedliche Tarife in Nord und Süd schaden der Industrie, behaupten | |
manche – zu Recht? Ein kühler Faktencheck. | |
Debatte um Strompreiszonen: Wie die Energiewende fair wird | |
Im ländlichen Raum, wo der Strompreis ohnehin höher ist, schlägt der | |
Netzausbau zusätzlich auf den Preis. Wie könnte eine faire Alternative | |
aussehen? | |
Nord-Süd-Konflikt bei Energiekosten: Billiger Strom für Söder | |
Die Bundesländer im Norden produzieren erneuerbaren Strom und halten das | |
Preismodell für unsolidarisch. Die im Süden sehen das natürlich anders. |