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# taz.de -- Dokumentarfilm von Dror Moreh: Probleme aus der Hölle
> In „Kulissen der Macht“ geht Dror Moreh Menschenrechtsverletzungen und
> den Entscheidungen über militärisches Eingreifen nach.
Bild: Eingreifen oder nicht eingreifen? Der ehemalige US-Präsident Barack Obam…
Das Mantra „Nie wieder“ gehört seit dem Holocaust auch auf dem Parkett der
internationalen Politik zu einer immer wieder bemühten Losung. Für den
israelischen Filmemacher [1][Dror Moreh] verweist das feierliche
Versprechen in der Nachkriegsweltordnung auf einen Widerspruch, der dem
Slogan inhärent ist. Gleich zu Beginn seines neuen Dokumentarfilms stellt
Moreh nämlich die Frage, wie es die Alliierten trotz ihres konzertierten
Vorgehens gegen die Nazis versäumen konnten, die Bahngleise, die zu den
Vernichtungsstätten der Konzentrationslager führten, zu bombardieren,
obwohl sowohl die Orte als auch das Ausmaß der Vernichtung durch
nachrichtendienstliche Informationen hinlänglich bekannt waren.
Für den Filmemacher ist das eine Art Ursünde der internationalen Community,
die es, so zeigt sein Film „Kulissen der Macht“, auch in den Jahrzehnten
danach nicht immer genau nahm mit ihrem Versprechen, bei Anzeichen
ethnischer Gewalt einzuschreiten und ein „Nie wieder“ von
Menschheitsverbrechen faktisch wirksam werden zu lassen.
Vom [2][Begriff Genozid] ist derzeit leichtfertig im Zusammenhang mit dem
Krieg in Gaza die Rede, dessen Auslöser das Terrorattentat der Hamas war,
dem mindestens 1.200 Israelis zum Opfer fielen. Wie Moreh kürzlich in einem
Interview angab, müsse jeder Vorwurf des Völkermordes ernst genommen
werden, auch die Anwürfe des Internationalen Gerichtshofes gegen Israel.
Was sich aber mit Sicherheit bereits sagen lasse, so der Dokumentarfilmer:
„Israel wurde am 7. Oktober Opfer eines genozidalen Angriffs.“
## Bestürzung und Entsetzen
Wie präzise man im Umgang mit der Vokabel in jedem Fall sein sollte, davon
berichtet Morehs Dokumentarfilm sehr eindrücklich. Sein konkretes Sujet ist
die Art und Weise, mit der US-amerikanische Staats- und Regierungschefs
seit dem Fall der Sowjetunion auf Berichte über Völkermord und Massentötung
von Zivilisten reagierten. Entlang der Stationen Bosnien, Kosovo, Kuweit,
Ruanda, Libyen und Syrien entfaltet Moreh ein geschichtliches Panorama, das
aus Menschenrechtsperspektive kaum etwas anderes als Bestürzung und
Entsetzen zulässt.
Die erzählerische Formel aus historischem Bildmaterial und persönlichen
Erzählungen wird bei Moreh dabei nicht zum dröge umbilderten
Talking-heads-Palaver. Denn zwei entscheidende Fähigkeiten bringt der
Dokumentarjournalist mit: die Fertigkeit zur wirklich pointierten Bild- und
Sequenzauswahl sowie eine bewundernswerte Ausdauer beim kritischen
Nachfragen. Der ehemalige [3][US-Außenminister Colin Powell] etwa zeigt
sich ob des Nachhakens Morehs betreffend die Glaubwürdigkeit der
Kriegsbegründung im Irakkrieg gegen das Hussein-Regime deutlich angefasst.
Als Gretchenfrage der internationalen Politik stellt sich in „Kulissen der
Macht“ jene nach dem militärischen Eingreifen heraus. Soll man oder soll
man nicht angesichts drohender Völkermorde zu Mitteln der Gewalt greifen?
Morehs dokumentarische Arbeit macht sich diese Frage nicht leicht und gibt
auch keine Antwort im Sinne eines simplifizierenden Dafür oder Dagegen.
„Kulissen der Macht“ arbeitet vielmehr die Konsequenzen beider politischer
Positionen heraus. Der des entschlossenen Handelns und der etwaigen des
Nichtagierens. Exemplarisch anhand der Fälle des Jugoslawienkrieges – wo
die internationale Staatengemeinschaft eingriff – und Ruanda, wo die
Untätigkeit des Westens zum Massenmord der Hutu an den Tutsi führte.
Komplementär das Einschreiten gegen den Diktator Gaddafi, der drohte, die
Opposition in Libyen zu ermorden, und das westliche Zögern, vorneweg das
der US-Regierung unter Obama, in Syrien, als Machthaber Assad seine eigene
Bevölkerung massakrieren ließ. Mitunter mit Chemiewaffen, was doch
eigentlich eine „rote Linie“ der Obama-Regierung gewesen war.
## Ein ethisches Dilemma
Als „Problem aus der Hölle“ beschreibt die Politikberaterin Samantha Power,
der in Morehs Film eine zentrale Rolle zukommt, das zugrundeliegende
ethische Dilemma. Unter Obama wurde Power Botschafterin der Vereinigten
Staaten bei den Vereinten Nationen. Die Grenzen der internationalen
Gestaltung zeigen sich auch im Sicherheitsrat, wo Power angesichts der von
Russland gemeinsam mit dem syrischen Diktator durchgeführten Bombardierung
Aleppos fragt: „Have you no shame?“
Putins Russland kehrte während des Syrienkriegs zurück auf die Weltbühne.
Die Post-Kalter-Krieg-Ordnung und das vermeintliche Ende der Geschichte,
die Moreh zunächst in seiner historischen Auseinandersetzung andeutet, sind
in einer neuen Epoche globaler Auseinandersetzung vollständig abgeräumt.
Obamas rote Linie und das Ausbleiben einer Reaktion auf den
Chemiewaffeneinsatz des Assad-Regimes zeichnet der Filmemacher jedoch nicht
nur als Versagen der damaligen US-Administration, sondern auch als eines
der mangelnden internationalen Zusammenarbeit. Der aktuelle Nationale
Sicherheitsberater der US-Regierung, Jake Sullivan, beschreibt das
grundlegende Problem, ganz im Sinne Morehs, als einen „loop of
imperfection“.
In der internationalen Politik, das zeigt „Kulissen der Macht“ gibt es
Entscheidungen, bei denen ausschließlich fürchterliche Optionen zur Wahl
stehen. Zuschauer haben hiervon am Ende der deutlich über zwei Stunden
langen Dokumentation ein greifbares Bild. [4][Dror Moreh, der zuletzt mit
„The Gatekeepers“] die Auseinandersetzung mit dem israelischen Geheimdienst
Shin Bet suchte, zeigt sich hier einmal mehr als kompetent im Beleuchten
komplexer geschichtlicher wie politischer Verhältnisse.
30 May 2024
## LINKS
[1] /Doku-ueber-israelischen-Ex-Staatschef/!5186708
[2] /Theaterstueck-ueber-7-Oktober-in-Israel/!6009991
[3] /Frueherer-US-Aussenminister-ist-tot/!5808457
[4] /Oscar-Nominierungen-fuer-Doku-Film/!5072867
## AUTOREN
Chris Schinke
## TAGS
Dokumentarfilm
Krieg
Völkermord
Politik
Militär
Ethik
Geschichte
Schleswig-Holstein
Dokumentarfilm
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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