| # taz.de -- Prozess gegen Terror-Unterstützer: Mit dem Segelboot heim ins Reich | |
| > In Hamburg steht ein 66-Jähriger wegen Unterstützung der | |
| > „Kaiserreichsgruppe“ vor Gericht. Beim Verfassungsschutz war er mit einem | |
| > Hinweis abgeblitzt. | |
| Bild: Mit dem Segelboot rüber zu Putin und mal eben Kaliningrad klarmachen: So… | |
| Hamburg taz | Frank M. will reinen Tisch machen. Gleich nach der | |
| Anklageverlesung liest seine Verteidigerin eine umfangreiche Erklärung des | |
| 66-Jährigen aus der Nähe von Bad Oldesloe vor, mit der er fast alles | |
| bestätigt, was die Staatsanwaltschaft ihm vorwirft. Nur ob die als | |
| „Kaiserreichsgruppe“ bekannt gewordene Gruppierung von Reichsideologen | |
| tatsächlich eine terroristische Vereinigung ist und ob sein Handeln als | |
| Unterstützung gewertet werden kann, vermag er nicht einzuschätzen. | |
| Die Gruppe um die pensionierte Lehrerin und promovierte Theologin Elisabeth | |
| R. hat einen Putsch geplant. Ihre Mitglieder stehen seit Mitte vergangenen | |
| Jahres [1][in Koblenz vor Gericht], weil sie Bundesgesundheitsminister Karl | |
| Lauterbach (SPD) aus einer Talkshow heraus mit Waffengewalt entführen | |
| wollten. Mit Sprengstoffanschlägen sollte die Stromversorgung lahmgelegt | |
| und dann ein neues Parlament installiert werden. Unterstützung erhofften | |
| sie sich von Russlands Präsidenten Wladimir Putin. | |
| Auf M. wurden die Ermittler im Rahmen dieses Verfahrens aufmerksam, durch | |
| Telefonüberwachung und Chats. Und dort spielt sich auch das meiste ab, was | |
| ihm nun vorgeworfen wird. Im November [2][wurde er verhaftet]. Nun muss er | |
| sich vor dem Staatsschutzsenat des Hamburger Oberlandesgerichts unter | |
| anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und | |
| unerlaubten Waffenbesitzes verantworten. | |
| Der Mann im khakifarbenen Hemd und Cargohosen mit einem großen Ring im | |
| linken Ohr sagt, er habe sich „schon immer“ für Geschichte interessiert, | |
| spätestens als er seinen Vater gefragt habe, was er im II. Weltkrieg | |
| gemacht habe. Der sei in der Waffen-SS gewesen, freiwillig, kämpfende | |
| Truppe, wie Frank M. betont, nicht im KZ. Deshalb habe er ihm nie Vorwürfe | |
| gemacht. | |
| ## Unzufrieden wegen Coronamaßnahmen | |
| Den entscheidenden Dreh bekam M.s historisches Interesse während der | |
| Coronapandemie. „Unzufrieden mit der staatlichen Ordnung“ sei er wegen der | |
| Coronamaßnahmen gewesen, sagt er, die Maßnahmen hätten „nicht unbedingt | |
| positive Gefühle gegenüber dem Staat“ ausgelöst. | |
| Mit dem bundesdeutschen Parteiensystem fremdelte er da längst. Ganz früher | |
| habe er mal FDP gewählt, aber nur, bis sie sich zum „Verräter an Helmut | |
| Schmidt aufgespielt hat“. Parteien seien „nur“ Wahlvereine, behauptet er, | |
| die hält er für überflüssig. Er wünscht sich ein „basisdemokratisches | |
| Konstrukt“, in dem das Volk seine Vertreter direkt bestimmt – oder per | |
| Volksabstimmung selbst die Macht ausübt. | |
| Schon früher hatte er im Internet gelesen, dass die Verfassung des | |
| deutschen Kaiserreichs von 1871 noch immer gültig sei. In der vielen freien | |
| Zeit während der Kontaktbeschränkungen suchte er dann gezielt im | |
| Messengerdienst Telegram nach dem Thema. Er fand zahlreiche Gruppen dazu, | |
| begann auch bald, selbst welche zu gründen. Irgendwann habe er außerhalb | |
| der Familie kaum noch andere Kontakte gehabt als zu „1871ern“, wie er sie | |
| nennt. | |
| Wieso er auf seinem Tablet Hunderte Bilder von Nazisymbolen gespeichert | |
| habe? Auch das nur „historisches Interesse“. Und seine Kinder sollten | |
| später mal die Möglichkeit haben, sich das alles anzuschauen und sich „eine | |
| eigene Meinung zu bilden“. Ein Rechter sei er jedenfalls nicht: „Ich bin | |
| Fan des FC St. Pauli“, sagt er, und dass er ein „farbiges“ Ziehkind in | |
| Kenia habe. „Das passt doch gar nicht zusammen!“ Dass der Begriff „farbig… | |
| rassistisch ist, scheint ihm nicht klar zu sein. | |
| Er selbst, sagt er, habe auch nicht der Idee eines Kaiserreichs angehangen, | |
| sondern wollte zunächst Preußen und dann das Deutsche Reich wieder | |
| errichten, in dem der Kaiser allenfalls repräsentative Funktion hätte. Kern | |
| dieses neuen Preußen sollte zunächst Kaliningrad, das frühere Königsberg | |
| sein. | |
| Mit Chat-Bekannten heckte er den Plan aus, zunächst in einem Brief an die | |
| russische Regierung um Unterstützung für ihr Projekt zu werben, den ein | |
| Bekannter in Stockholm dem dortigen russischen Botschafter überreichen | |
| sollte. Später wollten die Preußen-Fans dann mit einem Segelboot über die | |
| Ostsee in russische Gewässer eindringen, sich dort festnehmen lassen und | |
| dann um ein Gespräch im Kreml bitten. Sie wollten Präsident Putin an ein | |
| Angebot Gorbatschows erinnern, Kaliningrad zurückzugeben. | |
| Auch dank dieser „Vorarbeit“ wurde M. dann mit offenen Armen empfangen in | |
| der Chatgruppe „Vereinte Patrioten“ der „Kaiserreichsgruppe“. Diese pla… | |
| ganz konkret den gewaltsamen Umsturz. Bei einem Treffen mit 30 bis 40 | |
| Leuten im niedersächsischen Verden wurden die Pläne im Detail besprochen. | |
| Der 96-jährige Gastgeber habe den „Haftbefehl“ gegen Lauterbach | |
| unterzeichnet, so Frank M. Der habe nämlich nicht entführt, sondern | |
| „verhaftet“ werden sollen, belehrt der Angeklagte die Vorsitzende | |
| Richterin. | |
| Auf dem Verdener Treffen seien auch Vertreter „der Bauernverbände“ anwesend | |
| gewesen, um den Zeitpunkt für den „Black-out“ zu identifizieren, der für | |
| die Landwirtschaft am ehesten verkraftbar wäre. Ergebnis: | |
| September/Oktober. So lange habe Elisabeth R. nicht warten wollen, sie habe | |
| den Putsch in den folgenden drei Wochen durchziehen wollen, so M. Er | |
| vermutet, sie komme aus der anderen Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß, | |
| gegen die [3][in Frankfurt ebenfalls gerade ein Mammutverfahren läuft], und | |
| habe schneller sein wollen, „um die Lorbeeren einzuheimsen“. | |
| Ihm selbst sei bei diesem Treffen klar geworden, dass die Planungen | |
| einerseits [4][nicht realistisch seien], andererseits ein totaler Black-out | |
| unweigerlich zum Bürgerkrieg führen würde. Er habe den Weg der Gruppe daher | |
| für falsch gehalten, auch wenn er ihr Ziel geteilt habe. | |
| Er habe deswegen noch mitten in der Nacht nach dem Verdener Treffen den | |
| Hamburger Verfassungsschutz angerufen. Als er verlangt habe, „jemand | |
| Höheres“ zu sprechen, sei das abschlägig beschieden worden. Am nächsten | |
| Morgen habe er sich mit seinem Sohn beraten. Der habe gesagt: „Papa, das | |
| musst du entscheiden.“ Er habe daraufhin erneut beim Verfassungsschutz | |
| angerufen und von einem „Umsturz“ gesprochen, aber wieder nicht mit einer | |
| leitenden Person sprechen können. Er habe dann gesagt: „Sie sehen ja meine | |
| Nummer, Sie können mich ja zurückrufen, wenn es von Interesse für Sie ist.“ | |
| Das sei aber nie passiert. | |
| ## Frank M. wollte „echte“ Preußen rekrutieren | |
| Trotz seiner Zweifel wiederholte Frank M. auf dem Verdener Treffen sein | |
| Angebot, für die Wiedereinsetzung des preußischen Abgeordnetenhauses bis zu | |
| 100 Menschen aus seinen Chatgruppen zu „liefern“, die eine preußische | |
| Abstammung gemäß Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 nachweisen | |
| können – „in männlicher Linie“, nur bei unehelichen Kindern sollte auch… | |
| weibliche gelten. Warum er das getan habe, möchte die Vorsitzende Richterin | |
| Petra Wende-Spors wissen. „Angst“, sagt Frank M. Diese Leute seien | |
| gefährlich. „Da werden Sie mit dem Tode bedroht, wenn Sie’s Maul | |
| aufmachen.“ | |
| Auch sein Bestreben, über die Gruppe an Waffen zu kommen, hat er nach dem | |
| Treffen fortgesetzt. Der Leiter des „militärischen Flügels“, der behauptet | |
| hatte, über einen „Veteranenpool“ ehemaliger NVA-Soldaten zu verfügen und | |
| Unterstützung in Bundeswehr und den Kommando-Spezialkräften der | |
| Bundespolizei generieren zu können, sollte ihm eine Glock-Pistole sowie | |
| eine Scorpio-Maschinenpistole besorgen. | |
| Und das, obwohl er seit Langem – ebenfalls illegal – einen Revolver im Bad | |
| seines Wohnmobils verwahrte, plus über 100 Schuss Munition. Wofür noch mehr | |
| Waffen? Da wird Frank M. geheimnisvoll. „Nicht für die Pläne der Gruppe | |
| jedenfalls und auch nicht für mich persönlich.“ Es ist bei diesem | |
| Prozessauftakt das einzige, worüber er nicht sprechen möchte. | |
| Sonst plaudert er munter drauflos, nennt freimütig die Namen aller | |
| Beteiligten, wirkt gelöst dabei. Warum, das hat er schon ganz am Anfang | |
| klargemacht: Seine Familie sei ihm das Wichtigste und die leide unter | |
| seiner Haft, er selbst vermisse vor allem seine Enkelin. Und „auch wenn es | |
| mal Streit gab: Meine Frau hält zu mir“, er könne „selbstverständlich“ | |
| wieder zu Hause einziehen. Die Botschaft ist: Sozialprognose günstig. | |
| 27 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Kahlcke | |
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