| # taz.de -- 75 Jahre Ende der Berlin-Blockade: Rettung mit dem Rückflug | |
| > Über die Luftbrücke gelangten 1948/49 Tausende, in Berlin gestrandete | |
| > Juden nach Westdeutschland und weiter. Eine bislang kaum beleuchtete | |
| > Geschichte. | |
| Bild: Planespotting auf Trümmerhaufen: Rosinenbomber über Berlin im Jahr 1948 | |
| Berlin taz | Der etwas pummelige matt-silber-graue Vogel ist für Passanten | |
| an der Clayallee in Dahlem nicht zu übersehen. Die viermotorige | |
| Propellermaschine, im Areal des Alliierten-Museums ausgestellt, dient seit | |
| Jahr und Tag als Symbol der Luftbrücke. Wenn sie dort irgendwann abhebt, | |
| dann nur am Haken eines Kranes, um als Prototyp [1][im Hangar 7 des | |
| ehemaligen Flughafens Tempelhofs] wiederum an die lebensrettenden | |
| ungeheuren Material- und Lebensmittellieferungen in die eingeschnürte | |
| Frontstadt zu erinnern: [2][die Berlin-Blockade der Sowjets], die an diesem | |
| Sonntag vor 75 Jahren aufgehoben wurde. | |
| Doch der beflügelte Berlin-Transport von 1948 und 1949 kannte nicht nur | |
| nonstop One-Way-Lieferungen nach Tempelhof, Gatow und Tegel. Auch in | |
| Gegenrichtung wirkte der „Airlift“ überaus hilfreich. Denn über 5.500 Jud… | |
| gelangten über den besonderen Luftkorridor nach Westdeutschland in die | |
| sichere Freiheit. | |
| „Wir waren das Leergut der Rosinenbomber“, sagt Majer Szanckower, Jahrgang | |
| 1947, verschmitzt lächelnd in der heutigen Rückschau. Denn für den | |
| jüdischen Jungen bleibt die Evakuierungsaktion 1948 eine einmalig rettende | |
| Flugreise. Zusammen mit den aus Polen stammenden Eltern kommt er nach | |
| Süddeutschland in ein Schutzlager speziell für Juden. Dort fühlt sich die | |
| Familie, die den Holocaust überlebte, geborgen, so Szanckower. | |
| Erst 1957, bei Auflösung des letzten [3][Camps „Föhrenwald“ am Starnberger | |
| See], wagt sie mit der Übersiedlung nach Frankfurt am Main den Sprung aus | |
| dieser Obhut in die deutsche Gesellschaft. Als Leiter der dortigen | |
| jüdischen Friedhöfe bleibt Majer Szanckower in seiner Gemeinschaft | |
| gleichwohl bis heute aktiv. | |
| ## Flucht aus Osteuropa nach Berlin | |
| Wohl hatten sich die Militärverwaltungen nach 1945 auf große | |
| Flüchtlingsströme eingestellt, gerade im Drehkreuz Berlin. Dass dann aber | |
| rund 80.000 Juden, hauptsächlich in den Jahren 1946 bis 1948, über Stettin | |
| in die Spreemetropole strömten: Das hatte niemand auf dem Schirm. | |
| Tatsächlich flohen die osteuropäischen Holocaust-Überlebenden nach der | |
| Rückkehr aus der Sowjetunion dann auch noch aus der alten Heimat, vor ihren | |
| eigenen Nachbarn. [4][Pogrome wie das von Kielce mit 42 Toten im Juli 1946 | |
| trieben sie panikartig nach Westen] – nicht zu den Deutschen, dem | |
| Tätervolk, sondern zu den Westalliierten. | |
| Unter dem Druck des Zuzugs gewährten Amerikaner und Franzosen – die Briten | |
| nicht – auch den sogenannten jüdischen Displaced Persons, kurz DPs, den | |
| begehrten Flüchtlingsstatus. Der erlaubte ihnen, in den allgemeinen | |
| DP-Lagern wie dem am Teltower Damm vorläufigen Unterschlupf zu finden. Doch | |
| genau dort trafen die traumatisierten Überlebenden auch auf frühere | |
| Peiniger – ein unhaltbarer Zustand. | |
| So entschlossen sich notgedrungen die Franzosen, am Eichborndamm in | |
| Wittenau ein spezielles DP-Camps nur für Juden einzurichten. Das quoll | |
| rasch über, weshalb die US-Army einsprang und an der Potsdamer Chaussee den | |
| jüdischen Flüchtlingen das Lager Schlachtensee zuteilten. Obwohl ständige | |
| Abtransporte in die westliche US-Zone gingen, geriet auch dieses | |
| Schutzquartier mit bis zu 6.000 Personen bald an seine Belastungsgrenze. | |
| Gleiches passierte zeitversetzt mit einem weiteren Lager an der Eisenacher | |
| Straße in Mariendorf. | |
| ## In den Frachträumen der Bomben | |
| Und dann machten auch noch die Sowjets mit der am 24. Juni 1948 beginnenden | |
| Berlin-Blockade die Fluchtwege in den Westen dicht. Kurzfristig | |
| entschlossen sich die Verantwortlichen, die DP-Lager für Juden aufzulösen | |
| und die noch häufigen Leerflüge, meist Richtung Frankfurt, zum Transport zu | |
| nutzen. | |
| Auf Anordnung von Militärgouverneur Lucius D. Clay begann die Evakuierung | |
| am 23. Juli. In nur zehn Tagen mit rund 160 Flügen gelang die Aktion | |
| überraschend reibungslos. Per US-Laster, oft von der Ladefläche direkt in | |
| die Frachträume der Bomber, ging es für viele, oft verängstigte DPs | |
| erstmals in die Luft, erstmals in einem sicheren Transit, sei es in Hessen, | |
| Baden-Württemberg oder Bayern. | |
| Natürlich transportierten die Lasten-Flieger auch andere Menschen bei ihrer | |
| Rückkehr nach Westdeutschland. Die Schätzungen gehen von mindestens 160.000 | |
| Personen aus. Aber für die DPs aus dem Osten stellte die überquellende | |
| Flüchtlingsstadt Berlin eine weiter traumatisierende Situation dar. | |
| Viele Deutsche zeigten sich [5][verwundert bis verächtlich, dass es | |
| überhaupt noch überlebende Juden gab], mit denen sie die kargen | |
| Lebensmittel teilen sollten. Selbst die Westalliierten brachten keineswegs | |
| immer Verständnis und Empathie auf für die größtenteils aus Polen | |
| Geflohenen, die gerade nicht in ihre bisherige Heimat zurückwollten, | |
| sondern nur weit weg, nach Palästina oder in die USA. Nur ein kleiner Teil | |
| der DPs blieb in Deutschland. Die damalige Luftbrücke bedeutete ihnen | |
| allen, wie auch dem Zeitzeugen Majer Szanckower, den Sprung zurück ins | |
| Leben – nach dem Überleben. | |
| Doch was erinnert heute daran? Dieses Detail der Berliner Blockadezeit | |
| wurde so gut wie nirgends dokumentiert und erzählt. Wer sich auf dem | |
| Tempelhofer Feld an der einstigen nördlichen Startbahn der Rosinenbomber | |
| bewegt, kann jetzt immerhin gedanklich den damaligen Vorgängen nachsteigen. | |
| Eine [6][einsame Erinnerungsstele an einem Wiesenrand], der Senat hat sie | |
| aufstellen lassen, belegt die etwas andere, lange vergessene | |
| Luftbrücken-Geschichte. | |
| 11 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /AlliiertenMuseum-will-neuen-Standort/!5883181 | |
| [2] /Ausstellung-zur-Berliner-Luftbruecke/!5944013 | |
| [3] /Buch-ueber-vertriebene-Juden/!5970421 | |
| [4] /Ausstellung-im-Roten-Rathaus/!5533398 | |
| [5] /Buch-ueber-NS-Elite-nach-1945/!5898538 | |
| [6] https://www.gedenktafeln-in-berlin.de/gedenktafeln/detail/luftbruecke-fuer-… | |
| ## AUTOREN | |
| Hans-Peter Föhrding | |
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