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# taz.de -- Historiker über polnische DP an der Ems: „Die Harener fanden es …
> Haren an der Ems hieß ab 1945 Maczków und war bis 1948 eine polnische
> Stadt. Wie es dazu kam, erklärt Dokumentstionszentrums-Leiter Rüdiger
> Ritter.
Bild: Zeugnis der „polonischen Jahre“ in Haren: „Maczków-Ortsschild von …
taz: Herr Ritter, warum hieß Haren/Ems vom 20. 5. 1945 bis zum 30. 9. 1948
Maczków?
Rüdiger Ritter: Weil Haren am Pfingstsonntag 1945 evakuiert wurde. Alle
Bewohner mussten ihre Häuser verlassen, damit polnische [1][Displaced
Persons] (DP) – ehemalige KZ-Inhaftierte, Zwangsarbeitende und
Kriegsgefangene – einziehen konnten. Der Ort bekam eine polnische
Verwaltung und entwickelte ein reges polnisches Kulturleben. Benannt wurde
er nach Stanisław Maczek, dem Kommandeur der polnischen Truppen, die Haren
befreit hatten.
taz: Aber das Emsland gehörte doch zur britischen Besatzungszone.
Ritter: Ja. Aber unter britischer Oberhoheit standen auch kanadische und
polnische Militärverbände, die Frankreich, Belgien, die Niederlande und
Deutschland befreit hatten. Die polnischen Einheiten hatten keinen
[2][Alliiertenstatus,] waren aber eine selbstständige Armee, die nie vor
der Wehrmacht kapituliert, sondern sich im schottischen Exil reorganisiert
hatte. Im Emsland erfüllten sie Besatzungsaufgaben.
taz: Warum wurde gleich eine ganze Stadt für die DP geräumt?
Ritter: Weil es um Tausende Menschen ging. In Maczków, bis dato ein
3.000-Einwohner-Städtchen, lebten jetzt 5.000 Polen. Und weder die Soldaten
noch die DP wollten zurück ins nun kommunistische Polen, wo sie als
„Feinde“, die mit den Westalliierten gekämpft hatten, Repressalien fürcht…
mussten. Und die als DP-Camps weiter benutzten KZ und die
[3][Emsland-Lager] waren überfüllt. Also haben die Alliierten deutsche Orte
evakuiert, um diese Menschen unterzubringen, bis ihr weiterer Verbleib
geklärt wäre.
taz: Wohin wurden die Deutschen gebracht?
Ritter: Den offiziellen Evakuierungsplänen zufolge sollten sie in die
umliegenden Dörfer ziehen. Da dort der Platz nicht reichte, kamen viele bei
Bekannten, Verwandten, teils in Scheunen nahe gelegener Bauernhöfe unter.
taz: Gab es Spannungen zwischen Polen und Deutschen?
Ritter: Ja. Einerseits, weil die Deutschen zwar das Besitzrecht an ihren
Häusern behielten, aber dadurch auch verpflichtet waren, Reparaturen
vorzunehmen. Zum anderen blieben die deutsche Verwaltung und der
Bürgermeister in Maczków, sodass die Harener für Pass- und
Steuerangelegenheiten nach Maczków mussten. Dafür bekamen sie einen
Passierschein, der Uhrzeit und Route zum Bürgermeister genau vorgab. Das
hat die Stimmung nicht befördert.
taz: Gab es auch binationale Kinder?
Ritter: Darüber wird kaum geredet, aber das gab es natürlich. Wir wissen
von einem Fall, in dem ein polnischer Besatzungssoldat eine Harenerin
geheiratet hat. Und die erhaltenen Standesamtsakten lassen vermuten, dass
es kein Einzelfall war. Aber das ist – wie die ganz Maczków-Zeit – erst
seit rund zehn Jahren kein Tabuthema mehr. Seit die Erlebnisgeneration
durch Jüngere abgelöst wird, die mehr Distanz haben.
taz: Wieso war Maczków überhaupt ein Tabu?
Ritter: Weil die Harener die Evakuierung als großes Unrecht empfanden. Sie
dachten: Warum sollen wir für das büßen, was irgendwelche SS-Männer in
Polen getan haben? Und die Ortswahl war ja wirklich zufällig.
taz: Empfanden die Polen Genugtuung, nach Lagerhaft deutsche Häuser zu
bewohnen?
Ritter: Ja, auch. Eine polnische Soldatin, die 1944 im – von der Wehrmacht
brutal niedergeschlagenen – [4][Warschauer Aufstand] gekämpft hatte, hat
zum Beispiel gesagt: „Uns haben die deutschen Soldaten damals zwei Stunden
gegeben, um unsere Häuser zu verlassen. Wir gaben den Harenern 24 Stunden.“
taz: Im September 1948 wurde der Ort zurückgegeben und hieß wieder
[5][Haren]. Wo waren die Polen?
Ritter: Viele zogen nach Großbritannien, weitere im Zuge des
Resettlement-Programms der UN in die USA, nach Kanada und Südamerika. Ein
kleiner Teil blieb in Deutschland und hatte bis in die 1980er-Jahre den
Status als „Heimatloser Ausländer“.
21 Aug 2024
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## AUTOREN
Petra Schellen
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