| # taz.de -- Antisemitische Angriffe in Berlin: Nirgends sicher | |
| > In Berlin wird ein Jude körperlich angegriffen – niemand schreitet ein. | |
| > Fast zeitgleich wird ein Mann geschlagen, der eine Israelfahne bei sich | |
| > trägt. | |
| Bild: Nach dem Brandanschlag im Oktober: Ein Mann betritt hinter Polizeiabsperr… | |
| Berlin taz | Er sei nach Deutschland gekommen, um sich sicher zu fühlen. | |
| Jetzt habe er Angst. Das erzählt die Frau eines 54-jährigen Juden, der | |
| [1][vergangene Woche in Berlin-Mitte mutmaßlich antisemitisch attackiert | |
| worden ist], nach der Tat. Der Betroffene selbst ist derzeit psychisch | |
| nicht in der Lage, mit Journalisten zu reden, heißt es. | |
| Am vergangenen Freitag hatte ein Unbekannter den aus der Ukraine stammenden | |
| Juden körperlich angegriffen und angeschrien. Die taz konnte mit der Frau | |
| des Betroffenen sprechen. Aus Angst möchte das Paar anonym bleiben. Die | |
| Namen sind der Redaktion bekannt. | |
| Gegen 16 Uhr an jenem Freitag, kurz vor Beginn des Schabbat, habe ihr Mann | |
| sich auf der Brunnenstraße befunden, berichtet seine Frau. Er habe Sushi | |
| gekauft und auf russisch mit seiner Schwester telefoniert, während er in | |
| Richtung Berlin-Gesundbrunnen gegangen sei. Äußerlich sei er als religiöser | |
| Jude erkennbar: Er trägt einen Bart, eine Kappe, unter der die Kippa sitzt, | |
| dazu ein weißes Hemd. Die Fäden der Zizit schauen heraus, Teile des | |
| jüdischen Gebetsmantels. | |
| Der mutmaßliche Täter sei hinter dem Mann her gerannt und habe ihn zunächst | |
| als „russischen Faschisten“ beschimpft. Dann habe der Angreifer, den der | |
| Betroffene als arabischstämmig beschreibt, dem Juden „Free Palastine“ | |
| entgegengeschrien, in seine Richtung gespuckt und ihn zu Boden geschubst. | |
| ## Fehlende Zivilcourage | |
| Als der Mann am Boden lag, soll der mutmaßliche Angreifer einen E-Scooter | |
| vom Straßenrand genommen und ihn damit am Arm verletzt haben. So berichtet | |
| es der Betroffene später seiner Frau und der Polizei. Das Ergebnis: eine | |
| gebrochene Hand, die er später im Krankenhaus behandeln lässt. Außerdem ein | |
| zerrissener T-Shirt-Ärmel und blaue Flecken. | |
| Während der Tat sollen zahlreiche Passanten, insbesondere Männer, zugesehen | |
| und zum Teil Handyaufnahmen gemacht haben. Die Gruppe um ihn herum sei | |
| immer größer geworden, aber niemand habe eingegriffen. [2][Die Polizei] | |
| teilt auf Anfrage der taz mit, dass sie wegen gefährlicher Körperverletzung | |
| ermittelt. Sie geht von einem antisemitischen Tatmotiv aus. Der | |
| Staatsschutz ermittelt. | |
| Der Angegriffene und seine Familie kommen aus der Ukraine. Kurz nach | |
| Ausbruch des erweiterten russischen Angriffskriegs flohen sie nach | |
| Deutschland. Ihr Mann leide seitdem unter einer posttraumatischen | |
| Belastungsstörung, erzählt die Frau des Betroffenen. | |
| Die aktuelle Tat hat das Sicherheitsgefühl des Juden erneut angegriffen. | |
| Schon als Schüler habe ihr Mann antisemitische Angriffe in der Ukraine | |
| erlebt. Auch damals soll seine Hand bei einem Vorfall gebrochen worden | |
| sein. „In den ersten Tagen nach dem Angriff war mein Mann sehr verstört. Er | |
| wollte das Haus nicht verlassen. Er hat Angst und wirkt apathisch, | |
| traumatisiert“, erzählt die Frau. Nach der Tat habe er sie gefragt, wohin | |
| sie als nächstes gehen sollen, wenn sie in Deutschland nicht mehr sicher | |
| wären. Eine Antwort hatte sie nicht. | |
| ## Beschimpft und bespuckt | |
| Unweit des Tatorts befindet sich die jüdische Gemeinde Kahal Adass Jisroel | |
| (KAJ), in der der Angegriffene Mitglied ist. Gemeindevorstand Pasha | |
| Lyubarsky verurteilt die Tat, überrascht ist er allerdings nicht. „Die | |
| Hetze gegen Israel und Juden, die als Zionisten bezeichnet werden, hat seit | |
| dem Massaker der Hamas am 7. Oktober zu einem riesigen Anstieg der | |
| antisemitischen Übergriffe in Deutschland geführt“, sagt er der taz. | |
| Es sei nicht das erste Mal, dass in dem Stadtteil Gemeindemitglieder, auch | |
| Kinder, beschimpft, bespuckt oder physisch angegriffen würden. Mitte | |
| Oktober vergangenen Jahres hatte es [3][einen versuchten Brandanschlag] auf | |
| die Gemeinde gegeben. Unbekannte hatten zwei Molotowcocktails in Richtung | |
| des Gebäudes geworfen. | |
| Lyubarsky fordert, dass die Ängste seiner Gemeindemitglieder ernster | |
| genommen werden. Antisemitismus sei für ihn und die Mitglieder keine | |
| abstrakte Gefahr, sondern Realität. Die Sicherheitsbehörden müssten alle | |
| Maßnahmen ergreifen, um jüdisches Leben zu schützen. „Wir lassen uns nicht | |
| einschüchtern und werden uns weiterhin für ein friedliches Miteinander und | |
| den Dialog einsetzen“, sagt er. „Keine Person – jüdisch, christlich oder | |
| muslimisch – sollte Angst haben, die Berliner Straßen zu betreten.“ | |
| ## Zwei Angriffe an einem Tag | |
| Am selben Tag, an dem der ukrainische Jude im Stadtteil Mitte attackiert | |
| wurde, gab es in Berlin einen weiteren Vorfall: Im Bezirk Moabit wurde ein | |
| Mann verletzt und beraubt, der mit einer Israelfahne in einem Café saß. Der | |
| 34-Jährige saß im Außenbereich, als ein Unbekannter auf einem E-Scooter an | |
| ihm vorbeifuhr, dann zurückkehrte und ihm ins Gesicht schlug. Er soll | |
| [4][laut Polizei] israelfeindliche Parolen von sich gegeben haben. | |
| Das Opfer gab später an, seine Geldbörse sei bei dem Vorfall geklaut | |
| worden. Die Polizei spricht von einem „israelfeindlichen Hintergrund“. Der | |
| Staatsschutz ermittelt auch in diesem Fall. | |
| 9 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Antisemitische-Attacke-in-Berlin/!6008519 | |
| [2] https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/2024/pressemitteilung.144383… | |
| [3] /Versuchter-Anschlag-auf-Synagoge/!5963814 | |
| [4] https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/2024/pressemitteilung.144381… | |
| ## AUTOREN | |
| Erica Zingher | |
| ## TAGS | |
| Antisemitismus | |
| Berlin-Wedding | |
| Jüdische Gemeinde | |
| GNS | |
| Mauerfall | |
| Kolumne Grauzone | |
| Kolumne Grauzone | |
| Israel | |
| Antisemitismus | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wochenvorschau für Berlin: Nahost, Mauerfall, Nahost | |
| In Berlin wird Tacheles geredet: Es dreht sich um Nahost, 35 Jahre | |
| Mauerfall und auch die Friedensapostel um Sahra Wagenknecht bekommen Gehör. | |
| Antisemitismus in Berlin: Luft anhalten und untertauchen | |
| In Berlin fühlt sich unsere Kolumnistin nicht mehr wohl. Bei | |
| antisemitischen Angriffen würde den Juden hier niemand beistehen. Nicht so | |
| in Frankfurt. | |
| Zu Besuch beim Jüdischen Filmfestival: Trauma, Terror – und Widerstand | |
| Die Kinoabende beim Jüdischen Filmfestival in Berlin und Brandenburg sind | |
| intensiv wie immer – und doch ist diesmal alles ganz anders. | |
| Video von Entführung der Hamas-Geiseln: Wann endet der Albtraum? | |
| Die menschenverachtende Strategie der Hamas ist aufgegangen. Daran werden | |
| auch neu veröffentlichte Aufnahmen vom 7. Oktober nichts ändern. | |
| Antisemitische Attacke in Berlin: Knochenbruch nach Beleidigung | |
| Ein Jude ist offenbar wegen seiner Kleidung auf offener Straße attackiert | |
| worden. Auf seine Synagoge war im Oktober ein Brandanschlag verübt worden. | |
| Jüdisches Leben in Deutschland: Keine Sicherheit | |
| Brandanschläge auf Synagogen, antisemitische Parolen, großes Schweigen der | |
| vermeintlich Progressiven. Es bleibt ein Gefühl der Unsicherheit. | |
| Versuchter Anschlag auf Synagoge: „Vor einer Woche noch unvorstellbar“ | |
| Nach einem versuchten Brandanschlag auf eine Synagoge in der Brunnenstraße | |
| in Berlin-Mitte äußern Jüdinnen und Juden Ängste vor weiteren Attacken. |